Attentat in der Slowakei Was über den Anschlag bekannt ist
Das Attentat auf den Premier Fico hat die Slowakei in einen Schockzustand versetzt. Wie kam es zu den Schüssen auf den Politiker, was ist über den mutmaßlichen Täter bekannt und warum ist Fico so umstritten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was genau ist passiert?
Das slowakische Kabinett hatte sich gestern zu einer Sitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlova getroffen. Nach der Sitzung begab sich der Premierminister Robert Fico gegen 14.30 Uhr ins Freie, um wartende Anhänger zu begrüßen. Dort fielen dann die Schüsse. Der lokale Fernsehsender RTV Prievidza veröffentlichte später ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt.
Nach Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Personenschützer schleppten den schwer verletzten Premierminister in ein Fahrzeug und brachten ihn vom Anschlagsort fort. Mit einem Hubschrauber wurde er ins nächstgrößere Krankenhaus nach Banska Bystrica geflogen. Eigentlich hätte er weiter in die Hauptstadt Bratislava transportiert werden sollen, das sei aber zu riskant gewesen, hieß es.
Wie ist der Gesundheitszustand von Robert Fico?
Fico wurde durch die Schüsse schwer im Bauchraum und im Gesicht verletzt. Über Stunden hieß es, er schwebe in Lebensgefahr. Das Krankenhaus in Banska Bystrica verhängte zunächst eine Informationssperre, was den Abend über zu vielen Spekulationen führte. Später teilten die Ärzte mit, Fico sei fünf Stunden lang operiert worden. Der Regierungschef habe ein sogenanntes Polytrauma, also mehrere schwere Verletzungen erlitten, teilte der Innenminister Matus Sutaj Estok den Medien mit.
Heute sagte Verteidigungsminister Robert Kalinak, der Ficos erster Stellvertreter in der Regierung ist, Ficos Zustand habe sich stabilisiert, sei aber aber weiterhin ernst. Nach Krankenhausangaben liegt der Regierungschef weiter auf der Intensivstation. Er soll laut Medienberichten inzwischen wieder bei Bewusstsein sein.
Fico ist 59 Jahre alt. In der Vergangenheit wurde er am Herzen operiert und erhielt nach übereinstimmenden Medienberichten einen dreifachen Bypass.
Was wissen wir inzwischen über den mutmaßlichen Attentäter?
Der mutmaßliche Täter wurde noch am Tatort festgenommen. Slowakischen Medienberichten zufolge handelt es sich um einen 71-jährigen Mann, der früher als Sicherheitskraft in einem Einkaufszentrum tätig war. Deshalb habe er auch einen Waffenschein und sei im legalen Besitz einer Waffe.
Innenminister Sutaj Estok bestätigte die Identität des mutmaßlichen Attentäters. Der Mann ist außerdem Mitglied der slowakischen Schriftstellervereinigung, schreibt Gedichte und hat sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber Migration geäußert sowie gegenüber Extremismus und Gewalt. Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren.
Innenminister Sutaj Estok sagte weiter, er gehe von einem politischen Hintergrund aus. Bei dem Attentäter handele es sich nach jetzigem Stand um einen Einzeltäter. Das investigative Portal VS Square schreibt, der mutmaßliche Täter Juraj C. habe Verbindungen zu einer prorussischen paramilitärischen Gruppe namens Slovenski Branci gehabt.
Wie sind die Reaktionen auf das Attentat?
Das Attentat hat das Land in einen Schockzustand versetzt. Es war das erste Attentat auf einen Spitzenpolitiker in der Geschichte des Landes. Die Schüsse auf Fico wurden über alle Parteigrenzen hinweg verurteilt. Die meisten Parteien sagten alle weiteren Veranstaltungen vor der Europawahl ab. Die Opposition will zunächst nicht zu weiteren Protesten gegen den geplanten Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufrufen. Die laufende Parlamentssitzung mit der Aussprache über die Neugründung eines staatlich kontrollierten Medienhauses wurde mindestens bis kommende Woche unterbrochen.
Der slowakische Generalstaatsanwalt kündigte ein kompromissloses Vorgehen gegenüber dem mutmaßlichen Täter an, aber auch gegenüber allen, die jetzt Hass und Falschmeldungen verbreiten.
Der Innenminister Sutaj Estok will einzelne Politiker besser schützen, auch einzelne Medienschaffende. Heute tagt das Sicherheitskabinett, unter anderem muss entschieden werden, wer Fico als Regierungschef vertreten soll.
Präsidentin Zuzana Caputova verurteilte das Attentat und bezeichnete es als einen Angriff auf die Demokratie, auf die ganze Slowakei und rief zur Überwindung der Spaltung auf. Caputovas Wortmeldung hat auch deshalb ein besonderes Gewicht, weil sie in den vergangenen Jahren oft von Fico beschimpft und verunglimpft wurde. Sie erhielt Morddrohungen und trat deshalb zur Präsidentenwahl vor wenigen Wochen nicht wieder an. Auch Vertreter der Opposition sprachen sich für einen anderen Umgang miteinander in der Politik aus. Ähnlich äußerte sich Innenminister Sutaj Estok, der hier beide Seiten in der Pflicht sieht - also auch die Regierungsparteien.
Aus dem politischen Lager von Sutaj Estok wurden jedoch zum Teil schwere Vorwürfe gegen liberale, proeuropäische Politiker und gegen kritische Medien erhoben. Der Vize-Chef der Fico-Partei, Lubos Blaha, sagte, ihn erfülle mit "tiefem Abscheu" was "die liberalen Medien" und die Opposition in den vergangenen Jahren "angestellt" hätten. Sie hätten Hass gegenüber Fico geschürt und "ihm den Galgen errichtet".
Warum ist Fico so umstritten?
Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der bekanntesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert wie kaum ein anderer. Erst vor Kurzem warf er der liberalen Opposition vor, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Im vergangenen Jahr kehrte Fico nach der Parlamentswahl an die Macht zurück. Seither versucht er, den Rechtsstaat umzubauen. Änderungen am Strafrecht und in der Justiz würden dabei auch Ficos Umfeld betreffen, in dem die Justiz wegen Korruptionsverdacht ermittelt. Kritiker bezeichnen die geplanten Änderungen deshalb als "Pro-Mafia-Paket".
Zudem versucht Fico, die Medien stärker unter staatliche Kontrolle zu stellen, indem die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt RTVS aufgelöst und durch eine neue Sendeanstalt namens STVR ersetzt wird. Seine Gegner werfen ihm deshalb vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Ungarn unter dem Regierungschef Viktor Orban führen zu wollen.
Ficos Rhetorik ist deutlich Russland-freundlich. So bezeichnete er die Ukraine als nicht souverän, sondern vollständig von den USA kontrolliert. Einen NATO-Beitritt des Landes werde die Slowakei blockieren, denn ein Beitritt wäre "Grundlage für einen Dritten Weltkrieg".
Allerdings hat die Slowakei im Unterschied zu Ungarn seit Ficos Rückkehr in die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU.
Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland gezielt empfindlicher treffen.
Mit Material von Marianne Allweiss, ARD Prag.