EU-Innenkommissarin Ylva Johansson

Flucht aus der Ukraine EU-Beratungen über rasche Aufnahme

Stand: 03.03.2022 03:06 Uhr

Wegen des Krieges in der Ukraine richtet sich die EU auf Millionen Vertriebene ein - sie fürchtet eine humanitäre Krise "von historischem Ausmaß". Die Innenminister beraten heute über eine unbürokratische Aufnahme.

"Europa unterstützt Schutzbedürftige", schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. Aber sie schrieb es nicht nur auf Englisch, sondern auch in ukrainischer Sprache. Ein Signal an alle, die "vor Putins Bomben fliehen", so von der Leyen wörtlich. Man werde außerdem Asylsuchende schützen und all denen helfen, die "einen sicheren Weg nach Hause suchen." 

Wie sie das erreichen will, hat von der Leyen am Dienstag im EU-Parlament erklärt: "Wir schlagen vor, den befristeten Schutzmechanismus zu aktivieren, damit  Geflüchtete einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, damit ihre Kinder in die Schule gehen können, damit sie medizinische Versorgung bekommen und arbeiten dürfen. Sie alle verdienen das - und wir müssen nun handeln!"

Richtlinie aus den 1990er Jahren

"Massenzustrom-Richtlinie": So wird dieser Mechanismus in sperrigem Amtsdeutsch genannt. Danach kann die EU Menschen vorübergehenden Schutz gewähren - und das ohne langes Asylverfahren. Wie lange dieser Schutz gelten soll, ist noch nicht abschließend geklärt.

Die Richtlinie wurde in Folge der Kriege in den 1990er Jahren im ehemaligen Jugoslawien geschaffen - genutzt wurde sie noch nie. Nun sollen die Innenminister der Mitgliedsstaaten darüber beraten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will dafür werben, sie spricht von einem Paradigmenwechsel:  "Es ist zum ersten Mal wieder Krieg in Europa, und da wäre es natürlich ein sehr starkes Signal, wenn Europa sich heute auf diese humanitäre Aufnahme - und möglichst unbürokratisch - auch verständigt."

Entlastungen für Polen und die Slowakei

Auch für die zuständige Innenkommissarin Ylva Johansson wäre dies der richtige Moment, um die Regelung zu aktivieren. Zwar bleibe das Recht auf einen Asylantrag bestehen, zudem könnten Ukrainerinnen und Ukrainer sich schon nach bestehenden Regeln 90 Tage lang frei in der EU bewegen - wenn sie einen biometrischem Reisepass haben. Doch nun müsse man mit einer ganz neuen Dimension von Flucht und Vertreibung rechnen, und die lasse sich nur pragmatisch bewältigen, sagte Johansson.

Außerdem gehe es darum, Länder wie Polen, die Slowakei, Rumänien und Ungarn zu entlasten - die EU-Länder also, die an ihren Grenzen zur Ukraine die Erstaufnahme bewältigen müssten. Schließlich, so die Innenkommissarin, seien seit Beginn des Krieges allein in Polen Hunderttausende angekommen, stündlich würden es mehr. "Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass noch sehr viel mehr Menschen zu uns kommen, und wir wollen sie willkommen heißen."

"Allen ist klar, worum es geht"

Willkommen sind gemäß der Richtlinie ausdrücklich auch Migrantinnen und Migranten aus Drittländern - auch solche, die schon in der Ukraine Asyl beantragt oder einen anderen Schutzstatus hatten. Mit Sorge, so heißt es, verfolge die Kommission Berichte von Studierenden aus afrikanischen Ländern. Sie haben dokumentiert, wie sie nach ihrer Flucht aus der Ukraine etwa von polnischen Behörden am Grenzübertritt gehindert wurden, zum Teil mit Gewalt.

Auch diese Vorwürfe liegen nun auf dem Tisch der EU-Innenministerinnen und -minister, wenn sie über Grenzkontrollen, den Schengen-Raum und die so genannte "Massenzustrom-Richtlinie" beraten. Damit die Regelung in Kraft treten kann, müssen mindestens 15 EU-Länder zustimmen. Aber auch wenn heute keine endgültige Entscheidung  erwartet wird, ist allen klar, worum es geht. Janez Lenarcic, EU-Kommissar für Krisenmanagement, hat es vor kurzem so auf den Punkt gebracht: "Was wir gerade erleben, könnte sich zur größten humanitären Krise auf unserem Kontinent seit vielen, vielen Jahren entwickeln."

Alexander Göbel, Alexander Göbel, ARD Brüssel, 02.03.2022 01:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. März 2022 um 05:17 Uhr.