Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation in einem Klinikum in Braunschweig einen an Covid-19 erkrankten Patienten

Komplizierte EU-Zulassung Medizinprodukte sind teilweise Mangelware

Stand: 05.11.2022 08:24 Uhr

Kliniken in der EU fehlen Instrumente oder Ausrüstung, um teils lebensnotwendige Behandlungen durchzuführen. Der Grund sind aber nicht nur Lieferengpässe in Krisenzeiten, sondern das schwierige Zulassungsverfahren.

Wer in diesen Krisenzeiten an eine Mangelversorgung im Medizinbereich denkt, der denkt möglicherweise an manche Arzneimittel, die wegen Lücken in den Lieferketten oder Energieknappheit nicht mehr produziert werden könnten. Oder an den Personalmangel in der Pflege, oder immer noch an die Corona-Pandemie. Aber wohl weniger daran, dass auch medizinische Instrumente sowie Medizintechnik fehlen könnte. Doch das ist tatsächlich der Fall - jedenfalls in manchen Bereichen, wo man meist nicht genau hinschaut, wenn man nicht betroffen ist. Und das hat nichts mit der Krise oder Pandemie zu tun, sondern auch mit einer EU-Regulierung, die es zwar gut meint, aber nicht gut macht.

Es geht um Dinge, die erst einmal bürokratisch und komplex klingen, nach europäischen Regeln eben. Die scheinbar kaum zu verstehen sind. Tatsächlich aber geht es in diesem Fall um Menschenleben.

Die Rede ist von der EU-Medizinprodukteverordnung, der sogenannten Medical-Device-Regulation. Es ist eine Regelung, die sicherstellen soll, dass nur solche Medizinprodukte in Arztpraxen oder Krankenhäusern eingesetzt werden, die ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen haben - und dieses Zulassungsverfahren muss in aller Regel alle fünf Jahre erneuert werden.

Mangel mit tödlichen Konsequenzen

Klingt nach dem Versuch, die Gesundheit und das Leben von Patientinnen und Patienten möglichst gut zu schützen, hat im Zweifel derzeit aber offensichtlich nicht immer diesen Effekt - im Gegenteil.

Professor Nikolaus Haas ist Kinderkardiologe und Spezialist für angeborene Herzerkrankungen an den Münchner Unikliniken. Er nennt beispielsweise einen sogenannten Ballonkatheter, den er und seine Kolleginnen und Kollegen brauchen. "So einen Ballon brauchen wir, damit wir einen Eingriff im Neugeborenenalter im Inkubator machen können - um einer ganzen Menge Kindern das Leben zu retten, wenn ein Kind mit einem speziellen Herzfehler geboren wurde", erläutert Haas.

Doch die Ballonkatheter sind zur Zeit Mangelware, weil sie kaum noch zertifiziert und zugelassen werden. "Die Folge ist, dass wir andere Produkte nehmen müssen, uns behelfen müssen", sagt Haas weiter:

Deswegen sind in Europa schon eine ganze Menge Kinder gestorben, weil dieses Produkt einfach nicht mehr auf dem Markt ist.

Zulassung für Hersteller kompliziert und teuer

Vielen Herstellern dieses speziellen Medizinprodukts ist das Zulassungsverfahren, das in der EU gilt, zu kompliziert und zu teuer. Und deshalb verzichten sie im Zweifel lieber auf die Zulassung und bieten es einfach nicht mehr an.

So wie bei den Ballonkathetern sei es auch bei vielen anderen Dingen, die im Krankenhausalltag immer wieder notwendig seien, so Haas. Da geht es um Schläuche, Sonden oder Prothesen - und je seltener sie zum Einsatz kommen, um so größer der Mangel. Denn bei vergleichsweise kleinen Stückzahlen in der Produktion lohnt sich die Zertifizierung für die Herstellung praktisch nicht mehr, was sich etwa in der Kinderkardiologie dann besonders bemerkbar macht.

CDU fordert schnellen Vorschlag für einfacheres Prozedere

Peter Liese ist CDU-Gesundheitspolitiker im Europaparlament. Er betrachtet die Situation mit Sorge und will, dass die EU-Verordnung schnell angepasst wird. Liese selbst hat vor vielen Jahren als Kinderarzt gearbeitet und dabei auch immer wieder mit dem Herzzentrum im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen zu tun gehabt.

"Ich habe jetzt die Rückmeldung aus Bad Oeynhausen, dass konkret Instrumente für die Behandlung von herzkranken Kindern fehlen", sagt Liese. Das dürfe so nicht bleiben, weshalb die EU-Kommission schnell einen Vorschlag machen müsse, um die Medizinprodukteverordnung zu vereinfachen.

Ausnahmen für EU-Länder möglich

Die EU hatte die Verordnung 2017 nach dem Brustimplantate-Skandal eingeführt, als einige Hersteller für solche Implantate billiges Industrie-Silikon verwendet hatten - zum Schaden für die Gesundheit Tausender Frauen in Europa. Doch jetzt zeige sich, so Liese, dass man mit der Regelung die Menschen nicht besser, sondern weniger schütze.

Immerhin: Bis die Verordnung angepasst ist, können Mitgliedsstaaten sich per Ausnahmegenehmigung darüber hinwegsetzen, um bedrohliche Mangelsituationen zu verhindern. Deutschland hat das bislang noch nicht gemacht.

Holger Beckmann, Holger Beckmann, WDR Brüssel, 05.11.2022 06:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 05. November 2022 um 07:16 Uhr.