EU-Ratspräsident Charles Michel vor dem EU-Gipfel

Finanzgipfel in Brüssel Harte Fronten beim Milliardenpoker

Stand: 20.02.2020 17:50 Uhr

Tief zerstritten sind die EU-Staaten in den Milliardenpoker um den Haushalt der Europäischen Union für die nächsten sieben Jahre gestartet. Sie sind uneinig darüber, wie der britische Beitrag ersetzt wird.

Der niederländische Premier Mark Rutte ist ein überaus freundlicher Mann. Stets lächelnd, verbindlich, ein Brückenbauer. Also eigentlich, denn an diesem Nachmittag merkt man davon nicht viel. Mark Ruttes Worte haben aber eher die Schärfe von Rasierklingen. Sein Tenor: Vergesst es, für diese veraltete Haushaltsstruktur der EU kriegt ihr aus Den Haag nicht noch Geld obendrauf.

"Ein Drittel geht noch immer in die Landwirtschaft, ein anderes Drittel in die Strukturhilfen. Aber die Niederlande haben nun mal auch mit den Auswirkungen des Brexits zu tun", sagt Rutte zur Begründung. "Gemeinsam mit Deutschland und Schweden mussten wir viel stärker bei der Flüchtlingskrise anpacken als andere. Klar, dass da was passieren muss."

Der österreichische Bundeskanzler Kurz, der niederländische Ministerpräsident Rutte, sein schwedischer Amtskollege Löfven und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen

Nettozahler unter sich: Der österreichische Bundeskanzler Kurz, der niederländische Ministerpräsident Rutte, sein schwedischer Amtskollege Löfven und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen am Rande des Gipfels.

Klare Worte der "sparsamen Vier"

Ruttes Worte haben bei diesem Gipfel Gewicht, denn Rutte ist quasi Präsident des kleinen Clubs der "frugal Four", der "sparsamen Vier" - allesamt Nettozahler, also Länder, die mehr nach Brüssel überweisen, als sie durch Förderprogramme und ähnliches direkt wieder herausbekommen.

Gemeinsam mit Österreich, Dänemark und Schweden kämpfen die Niederländer deshalb dafür, dass sich an der bisherigen Höhe der Mitgliedsbeiträge von 1,0 Prozent des Bruttonationalprodukts nichts ändert. Schwedens Premier Stefan Löfven sagt, er dürfe nicht nur an die armen Osteuropäer denken, sondern auch mal an meine Leute: "Wir haben mit einer sich ändernden Demographie zu kämpfen."

Sein Land müsse Schulen bauen, für die Alten sorgen, das Rentensystem stabilisieren, sagt Löfven. "Und das ist mein Hauptinteresse: Ich muss für die Schweden ihren Wohlstand erhalten. Darüber hinaus kann ich sagen: Ja, wir bleiben Nettozahler, aber nicht mit diesen Steigerungen!"

Der britische Beitrag fehlt

Denn genau darum geht es im Kern: Weil die Briten die EU verlassen haben, klafft ein Loch von etlichen Milliarden im Haushalt. Das muss gestopft werden, und nach dem Willen der EU-Kommission sollen alle Länder ihre Mitgliedsbeiträge deutlich erhöhen, auf bis zu 1,07 Prozent der Wirtschaftsleistung, das Europaparlament will sogar 1,3 Prozent.

Das klingt alles sehr technisch, heißt aber übersetzt, dass ein Land wie Deutschland unter Umständen locker zweistellige Milliardenbeträge mehr überweisen müsste. Von daher findet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer verfahrenen Situation wieder. Einerseits will sie verhindern, dass Deutschlands Beitrag zu stark steigt, andererseits will sie auch Geld aus Brüssel zurückhaben: "Wir haben ein hohes Interesse daran, für unsere neuen Bundesländer auch weiter Hilfen zu erhalten, denn die Entwicklung zwischen Ost und West ist noch lange nicht ausgeglichen, obwohl wir schon 30 Jahre deutsche Einheit haben."

Die große Mehrheit der EU-Staaten will jedenfalls am jetzigen System nichts ändern und lieber den Beitragssatz für alle heraufschrauben, ganz einfach weil diese Länder auch am meisten von Zahlungen aus Brüssel profitieren - Polen, Ungarn, Griechenland oder Portugal zum Beispiel.

Mehrjähriger EU-Finanzrahmen

Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.

Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.

Aber auch Litauen, dessen Präsident Gitanas Nauséda in die Kameras schaut und sagt: "Wir sind doch auch Nettozahler" - zwar nicht in Euro, sondern in Menschen: "Wir haben innerhalb von zehn Jahren rund zehn Prozent unserer Bevölkerung verloren. Diese Menschen sind nach England, Deutschland oder in andere westeuropäische Länder gegangen, um haben sich da Arbeit gesucht. Sie haben dort viel zum Wachstum beigetragen, während wir in Litauen Arbeitskräfte verloren haben."

Es wird mit langen Verhandlungen gerechnet, die vielleicht morgen Mittag enden - oder abgebrochen und in einigen Wochen fortgesetzt werden. Es ist alles offen in Brüssel.

Malte Pieper, Malte Pieper, ARD Brüssel, 20.02.2020 16:48 Uhr