Theresa May spricht im Unterhaus
Kommentar

Brexit-Abstimmung May muss nach diesem Desaster gehen

Stand: 16.01.2019 00:15 Uhr

Nach diesem Desaster kann es für Theresa May nur eines geben: den Rücktritt. Aber nicht nur sie, sondern die gesamte britische Politik hat sich blamiert. Jetzt muss ein zweites Referendum her.

Ein Kommentar von Jens-Peter Marquardt, NDR

Was für eine krachende Niederlage: Die Historiker können sich nicht erinnern, dass ein britischer Premierminister schon einmal im Parlament so vernichtend geschlagen wurde. 1924 hatte mal der Chef einer Labour-Minderheitsregierung mit einer Differenz von 166 Stimmen verloren - diese Hürde hat Theresa May locker übersprungen.

Sie hat jetzt einen traurigen Rekord von 230 aufgezählt – um diese Marge überstieg gestern Abend die Zahl der Nein-Stimmen die Zahl der Ja-Stimmen zu ihrem Austrittsvertrag. Mehr als ein Drittel ihrer eigenen konservativen Abgeordneten hat dagegen gestimmt, dazu so gut wie geschlossen die Opposition.

Eine politische Katastrophe

Der Ausdruck historische Niederlage ist angesichts dieser Dimension eine höfliche Untertreibung. Desaster beschreibt das Ausmaß schon besser. Eine politische Katastrophe ist das, und das nicht etwa bei einer Abstimmung über Dosenpfand oder ähnliches, sondern bei der wohl wichtigsten Frage, die das Land seit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu beantworten hat.

Der politische Anstand, jede politisch Vernunft lässt nach diesem Ergebnis nur eine Konsequenz zu: Theresa May muss weg. Sie hat gezeigt, dass sie es nicht kann. Sie muss jetzt zurücktreten, im Interesse ihres Landes. Ein Anderer, oder eine Andere muss versuchen, es besser zu machen und das Land aus der Brexit-Sackgasse zu befreien.

Diejenigen, die seit Monaten Mays Hartnäckigkeit und Standhaftigkeit bewundern, müssen endlich einsehen, dass diese Eigenschaften in dieser Situation nicht ausreichen, in dieser Lage wahrscheinlich sogar fehl am Platze sind. Als erstes muss May das selber einsehen. Sie muss jetzt den Weg frei machen. Schlimmer kann es kaum werden.

Auch Corbyn ist eine traurige Figur

Jeremy Corbyn macht heute den Versuch, die Premierministerin über ein Misstrauensvotum zu stürzen. Würde er es besser machen? Sicher ist das nicht. Die Briten wissen bisher nur, dass der Labour-Chef in die Downing Street Nummer 10 einziehen möchte. Was er dort anstellen will, wissen sie nicht, jedenfalls nicht, ob der alte EU-Skeptiker das Land in der Europäischen Union halten halten oder es heraus holen will. In dieser nationalen Krise ist Corbyn eine weitere traurige Figur, weit entfernt von einer Lichtgestalt.

Es ist leider so: Angesichts der gigantischen Herausforderung, die der Brexit darstellt, versagt die gesamte politische Klasse Großbritanniens.

Jetzt muss es ein zweites Referendum geben

Deshalb gibt es jetzt für das Land nur einen Ausweg: Die Politik muss ihr Versagen eingestehen, sie muss die Entscheidung an die Bürger zurückgeben.

Die Briten brauchen ein zweites Referendum. Der Weg dorthin ist schwierig. Das Ergebnis nicht sicher. Und die Folgen werden auch nicht nur erfreulich sein. Aber alles ist besser, als Theresa May weiter gegen die Wände laufen zu lassen.  

Jens-Peter Marquardt, Jens-Peter Marquardt, ARD London, 16.01.2019 00:12 Uhr
Redaktioneller Hinweis

Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 16. Januar 2019 NDR Info um 07:08 Uhr und die tagesschau um 09:00 Uhr.