Finanzzentrum von Mumbai (Archivbild)
Hintergrund

Deutschland und Indien Wichtige Beziehung mit einigen Problemen

Stand: 25.02.2023 10:18 Uhr

Das Interesse an Indien wächst: Neben Kanzler Scholz ist Finanzminister Lindner im Land, Außenministerin Baerbock war vor wenigen Wochen da. Ein Grund: der Wirtschaftsboom im 1,4-Milliarden-Einwohner-Land.

Von Cosima Gill, ARD Berlin

Prominenten Flugverkehr gibt es seit Monaten auf der Langstrecke von Berlin nach Neu-Delhi. Im Dezember war Außenministerin Annalena Baerbock in Indien. Jetzt, zum Jahrestag des russischen Angriffskrieges, ist Finanzminister Christian Lindner bereits seit einigen Tagen in dem Land. Und seit heute ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz da.

Zum einen lockt der G20-Vorsitz Indiens die deutsche Politik nach Südasien, zum anderen versucht Deutschland, Indien als Unterstützer für die europäische Linie im Ukraine-Krieg zu gewinnen. Dabei hat sich Indien gerade erst erneut bei der UN-Resolution enthalten. Darin wurde ein sofortiger Abzug russischer Truppen gefordert.

"Es ist Frage, ob Indien es sich leisten kann, bei Sanktionen mitzumachen", Markus Spieker, ARD Neu-Delhi, zu neutraler Haltung Indiens zu Ukraine-Krieg

tagesschau24 11:00 Uhr

"Europa muss aus dem Denkmuster herauswachsen"

Wie Indien die derzeitige Lage bewertet, zeigt ein Zitat des indischen Außenministers Subrahmanyam Jaishankar. Dieser forderte jüngst: "Europa muss aus dem Denkmuster herauswachsen, dass Europas Probleme die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas." Das fasst das Grundproblem Indiens und vieler anderer Staaten des globalen Südens mit der europäischen Haltung zusammen.

Scholz griff das Zitat bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf. An dem Satz sei etwas dran. Aber um als Europäer oder als Nordamerikanerin in Jakarta, Neu-Delhi oder Pretoria glaubwürdig zu sein und etwas zu erreichen, reiche es eben nicht, gemeinsame Werte zu beschwören. Dafür brauche es eine ehrliche Beschäftigung mit den Anliegen dieser Länder als Grundvoraussetzung für gemeinsames Handeln.

Statement von Kanzler Scholz während seines Besuchs bei indischem Premier Modi

tagesschau24 10:00 Uhr

Auf Augenhöhe miteinander verständigen - so will die Bundesregierung mit Indien umgehen. Wohl auch deshalb lud Scholz vergangenen Sommer Staaten wie Indien, Indonesien oder Südafrika zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau ein.

Indien wählt eine Position zwischen den Blöcken

Doch nicht immer ist es einfach, Verständnis für die indische Perspektive aufzubringen. Denn die russisch-indischen Beziehungen sind weiter eng: Indien kauft russisches Öl und Gas auf dem Weltmarkt. Zudem schätzt der US-Thinktank "Stimson Center", dass etwa 85 Prozent der indischen Waffensysteme russischen oder noch sowjetischen Ursprungs seien.

"Außerdem ist Russland für Indien auch der zuverlässigste Partner im UN-Sicherheitsrat, das übersehen wir gerne", sagt Christian Wagner, Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Denn im Sicherheitsrat kann immer ein Thema wie der Kaschmir-Konflikt auftauchen, und dann brauchen die Inder Russland."

Diese Nähe zu Russland kritisiert der Vorsitzende der deutsch-indischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Ralph Brinkhaus. Er meint, man müsse immer wieder darauf hinweisen, dass auch Indien Interesse daran hätte, dass die gemeinsame regelbasierte Welt jetzt von den Russen verletzt worden ist: "Wenn Russland sich durchsetzt, wird das auch bei anderen Konflikten und auch in der indischen Umgebung so sein."

Doch Indien wählt die Position zwischen den Blöcken. Ein Wechsel dieser Außenpolitik sei nicht abzusehen, sagt Wagner: "Der Ukraine-Krieg ist für Indien ein geopolitischer Moment, den es nutzen kann, weil es sowohl seine Beziehungen mit Russland weiter ausbaut und auf der anderen Seite der Westen um Indien buhlt." Der Aufstieg Indiens sei im europäischen Interesse als Gegengewicht zu China.

"Indien als wirtschaftliche Lokomotive"

Der wirtschaftliche Aufstieg Indiens ist eine jahrelange Erwartung, die jetzt in Erfüllung gehen könnte. Der internationale Währungsfonds (IWF) spricht von Indien als "Lichtblick". Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent erwartet. Im darauffolgenden Jahr sogar 6,8 Prozent. Laut IWF-Prognose könnte Indien 2025-2026 die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sein und damit an Deutschland vorbeiziehen.

"Das Land hat unglaublich viel Potenzial und kann auch zu einer Lokomotive der Weltwirtschaft werden", sagt Professor Nils Stieglitz, Präsident der Frankfurt School of Finance & Management. Die private Hochschule legt einen Schwerpunkt auf deutsch-indische Wirtschaftsbeziehungen. Stieglitz meint, unter Premierminister Narendra Modi seien viele wirtschaftsfreundliche Reformen durchgeführt worden.

Herausforderungen sieht er bei der Korruptionsbekämpfung und dem Abbau von Bürokratie und Protektionismus. "Deswegen ist das Freihandelsabkommen sehr wichtig, sowohl für die EU als auch für Indien." Lange lagen die Handelsgespräche auf Eis. Die EU und Indien hatten im vergangenen Jahr beschlossen, diese wieder aufzunehmen. Bis Ende 2023 soll ein Freihandelsabkommen stehen.

Milliardendeals mit Extrawünschen

Auf der Reise des Bundeskanzlers nach Indien soll auch ein milliardenschweres U-Boot-Geschäft vorangebracht werden. Indien möchte sechs konventionelle U-Boote im Wert von 4,9 Milliarden Euro kaufen. Die deutsche ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) ist einer von nur noch zwei internationalen Bietern des Projekts.

Indien gilt als schwieriger Partner bei Rüstungskooperationen. Die Regierung besteht nämlich darauf, Waffen im eigenen Land herzustellen. Auch der U-Boot-Deal würde vorsehen, dass ein ausländischer Konzern eine Partnerschaft mit einem indischen Unternehmen eingeht.

Indien und der deutsche Fachkräftemangel

Voraussichtlich im April wird Indien wohl China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholen. Ein Potenzial, das auch in Deutschland längst bekannt ist. Ende 2022 hatte Deutschland mit Indien ein Mobilitätsabkommen geschlossen. "So können auch verstärkt indische Fachkräfte angeworben werden," sagt Indien-Experte Wagner. Gerade im Bereich hochwertiger Dienstleistungen sei das interessant, beispielsweise in der Software-Industrie.

Autokratische Tendenzen belasten Beziehungen

Obwohl Indien gerne die größte Demokratie der Welt genannt wird, machen Experten autokratische Tendenzen unter der hindunationalistischen Regierung von Modi Sorgen, so Wagner: "Die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, ein Abbau von Gewaltenteilung und eine Rückstufung bei verschiedenen Demokratie-Indizes." Zudem hat die Gewalt gegenüber muslimischen Minderheiten zugenommen. Zuletzt hatte auch die Durchsuchung von BBC-Büroräumen für Aufsehen gesorgt. Zuvor hatte der Sender eine kritische Dokumentation über Modi ausgestrahlt.

Das sind Themen, die den Ausbau der deutsch-indischen Beziehungen belasten könnten. Letztendlich überwiegen aktuell wohl die geostrategischen Interessen, die Deutschland in Indien sieht. In unsicheren Zeiten sucht Deutschland neue Freunde im globalen Süden, das gibt den deutsch-indischen Beziehungen neuen Aufwind.

Markus Sambale, Markus Sambale, ARD Berlin, 25.02.2023 05:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 25. Februar 2023 um 12:00 Uhr.