Polizisten gehen in Formation auf einer Straße in Myanmar.

Junta in Myanmar Der fatale Irrtum der Militärs

Stand: 01.02.2023 19:46 Uhr

Zwei Jahre nach dem Militärputsch ist die Lage in Myanmar angespannter denn je. Die Junta führt einen rücksichtslosen Kampf gegen die Opposition und hat doch die Kontrolle über große Teile des Landes verloren.

Die Straßen leer, die Läden geschlossen: Die Gegner der Militärjunta haben in Myanmar still protestiert. Vor zwei Jahren hatte das Militär die zivile Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gestürzt und die Macht übernommen. Kurz zuvor war Suu Kyi mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden. Die Junta begründete ihren Putsch mit Wahlbetrug.  

In den Tagen nach dem Putsch gingen Hunderttausende gegen das Militär auf die Straße. Sie trommelten auf Töpfe und Pfannen und forderten eine Rückkehr der demokratisch gewählten Regierung. Die Menschen im Land hatten gerade knapp zehn Jahre Öffnung, Reformen und Demokratie erlebt. 

Auch die 26-jährige Su Myat Noe ging damals friedlich auf die Straße. Sie musste mit ansehen, wie drei Freunde von Soldaten erschossen wurden. "Das Militär hatte Waffen. Wir hatten gar nichts. Wir konnten uns nicht verteidigen. Nur Waffen können gegen Waffen kämpfen", erzählt die junge Frau dem ARD-Studio Singapur.  

Mit Waffengewalt gegen die Junta

Su Myat Noe sitzt am Grenzfluss zwischen Myanmar und Thailand. Bis zum Putsch war sie Modedesignerin in Yangon. Jetzt ist sie Teil der Peoples Defence Force, der Volksverteidigungskräfte, die mit Waffengewalt gegen das Militär kämpfen.

Im Grenzgebiet zu Thailand, das von der ethnischen Minderheit der Karen kontrolliert wird, lässt sie sich wie tausende andere Städter an der Waffe ausbilden. Die ethnischen Minderheiten in Myanmar kämpfen seit Jahrzehnten für ihre Unabhängigkeit. Seit dem Putsch haben sie einen gemeinsamen Feind: die Militärjunta.  

Was das Militär unterschätzte

Das Militär habe die Widerstandskraft und den Willen der Bevölkerung unterschätzt, sagt die burmesische Politikwissenschaftlerin Moe Thuzar. Sie arbeitet am Yusof Ishak Forschungsinstitut in Singapur. Bis heute habe das Militär das Land nicht unter seine Kontrolle gebracht. 

Stattdessen teilt es die Macht mit einer Schattenregierung, die sich rund zwei Monate nach dem Putsch gebildet hatte. Ihr Sprecher U Kyaw Zaw erklärt im Interview: "Zusammen mit den bewaffneten Kräften der ethnischen Minderheiten kontrollieren wir mehr als 50 Prozent des Staatsgebiets von Myanmar. Wir betreiben Schulen, Krankenhäuser und sind dabei, Gerichte und eine Polizei aufzubauen."

Sanktionen mit wenig Wirkung

Bei ihrem Kampf gegen die Generäle wünscht sich die Opposition mehr Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Zwar gab es Wirtschaftssanktionen von der EU und den USA gegen die Militärführung, doch sie haben bisher wenig Wirkung gezeigt. Zum Jahrestag verhängten die USA, Großbritannien, Kanada und Australien neue Sanktionen und Einreiseverbote für Mitglieder der Militärregierung.  

Der UN-Sicherheitsrat hatte im Dezember zum ersten Mal eine Resolution zu Myanmar verabschiedet, ein Ende der Gewalt gefordert und die Freilassung der entmachteten Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die inzwischen zu 33 Jahren Haft verurteilt wurde. Aber ein weltweites Waffenembargo gibt es weiterhin nicht. 

Myanmar bezieht einen Großteil seiner Waffen von seinem Verbündeten Russland, darunter auch Kampfjets und Hubschrauber. Damit bombardieren Soldaten ganze Dörfer, besonders häufig in der Grenzregion zu Thailand, wo die Soldaten viele Rebellen vermuten. Es ist ein ungleicher Kampf. Die Volksverteidigungskräfte bauen ihre Waffen teils selbst.  

Ein brutal geführter Kampf

Laut der Gefangenenhilfsorganisation AAPP sind bis heute mehr als 2900 Menschen vom Militär getötet worden - bei Demonstrationen, im Gefängnis, in ihren Häusern. Die Soldaten brennen teils ganze Dörfer nieder. Fast 40.000 Häuser, Kliniken und Schulen wurden zerstört, darunter auch buddhistische Tempel oder Kirchen, wo Menschen Schutz suchten.

Mehr als 17.000 Menschen wurden verhaftet. Fast 14.000 sitzen bis heute im Gefängnis. Mehrere große Massenfreilassungen hatten vor allem den Zweck, ein positives Bild nach außen zu vermitteln. Viele der Freigelassenen waren keine politischen Gefangenen, standen kurz vor dem Ende ihrer Haftzeit oder wurden kurz darauf wieder festgenommen.  

Deutliche ASEAN-Kritik

Der Verband Südostasiatischer Staaten, kurz ASEAN, hat sich für seine Verhältnisse schon überraschend deutlich zur Situation in Myanmar geäußert. Der Konflikt bedeutet Instabilität für die gesamte Region, und aufgrund vieler Flüchtlinge sind einige Nachbarländer direkt vom Bürgerkrieg in Myanmar betroffen.

Laut Amnesty International haben 70.000 Menschen das Land verlassen, mehr als 1,5 Millionen Menschen seien auf der Flucht im eigenen Land. Bis auf die Forderung der ASEAN, dass die Militärjunta einen gemeinsam verabschiedeten Fünf-Punkte-Plan endlich umsetzt, ist allerdings wenig passiert. Der neue ASEAN-Vorsitz Indonesien setzt auf Dialog mit dem Mitgliedsland, will in Kürze einen hohen General für Gespräche nach Myanmar schicken.  

Verschieben sich die Wahlen noch einmal?

Die politische, wirtschaftliche und humanitäre Situation im Land ist zum zweiten Jahrestag des Putsches auf einem Tiefpunkt. Staatsmedien melden, dass der Ausnahmezustand in Myanmar um weitere sechs Monate verlängert wird. Ein Verstoß gegen die Verfassung, die eine solche Verlängerung eigentlich verbietet. 

Damit verschieben sich vermutlich auch die für August angekündigten Wahlen. Dabei hatte General Min Aung Hlaing 2021 noch angekündigt: "Wir müssen die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen mit mehreren Parteien schaffen. Ich verpflichte mich, die Wahlen auf jeden Fall abzuhalten." Er hatte jedoch auch erklärt, dass das Land dafür friedlich und stabil sein müsse. Ein Zustand, von dem Myanmar derzeit weit entfernt ist. 

Die USA hatten bereits damals von Scheinwahlen gesprochen. Der UN-Sonderberichterstatter Tom Andrews sagte, freie und faire Wahlen seien unmöglich, wenn die Opposition verhaftet, gefoltert und hingerichtet wird.

Im vergangenen Jahr hatte die Militärjunta zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder Todesurteile vollstreckt und vier Demokratie-Aktivisten hingerichtet. Die Militärs begründen ihren Machtanspruch damit, dass nur sie in der Lage seien, für Stabilität zu sorgen und das Land zusammenzuhalten. Seit der Staatsgründung hatte das Militär in Myanmar immer eine wichtige Rolle gespielt. 

Ein Gesetz nach Maß

Vor wenigen Tagen hat die Militärjunta nun ein neues Parteiengesetz veröffentlicht. Es legt unter anderem Regeln für Mitgliederzahlen, die Menge an Büros und die finanzielle Ausstattung der Parteien fest. Wer mit terroristischen Organisationen in Verbindung steht, und als das gilt auch die Parallelregierung, die NUG, sei von der anstehenden Wahl ausgeschlossen.

Die Kriterien des 20-seitigen Regelwerks scheint derzeit nur eine Partei zu erfüllen, und die steht dem Militär nahe. Die UN-Sondergesandte für Myanmar, Noeleen Heyzer, warnte daher, die Wahlen würden die Gewalt befeuern, den Konflikt verlängern und die Rückkehr zu Demokratie und Stabilität noch schwieriger machen.  

"Ich kämpfe für mein Kind"

Für die 26-jährige Su Myat Noe steht fest: sie will weiterkämpfen, bis sie das Militär besiegt haben. Vor wenigen Monaten hat sie ein Kind zur Welt gebracht. Der Vater ist ihr Ausbilder, ein Kämpfer der ethnischen Minderheit der Karen. "Mein Leben ist völlig anders ,als ich es mir vorgestellt hatte. Aber das ist egal. Ich kämpfe für mein Kind, für eine bessere Zukunft für unsere nächste Generation." 

Der Wunsch von ihr, anderen Widerstandskämpfern und Demokratie-Aktivsten ist ein föderaler, demokratischer Bundesstaat, der zum ersten Mal in der Geschichte Myanmars alle Minderheiten und ethnischen Gruppen vereint. 

Jennifer Johnston, Jennifer Johnston, ARD Singapur, 01.02.2023 14:02 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. Februar 2023 um 18:00 Uhr in den Nachrichten.