"Zählt jede Stimme!", haben zivilgesellschaftliche Organisationen auf eine Wand vor das Michigan State Capitol projiziert.
FAQ

Nach der US-Wahl Kann Trump in die Auszählung eingreifen?

Stand: 04.11.2020 15:27 Uhr

Mehrere Gerichte haben inzwischen US-Präsident Trumps Klagen abgewiesen, mit denen er die Stimmauszählung stoppen will. Welche Rechtsmittel bleiben ihm - und den Demokraten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Kann Trump wirklich in die laufende Stimmauszählung und damit in den Wahlprozess eingreifen?

Trumps Aussagen allein haben noch keinerlei rechtliche Wirkung. Anders als von ihm behauptet muss das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl nicht am Morgen nach dem Wahltag vorliegen. Wenn er die Auszählung oder das Ergebnis einzelner Bundesstaaten anfechten will, muss er vor Gericht ziehen.

Da es in den USA auf Bundesebene weder ein Wahlamt noch einen Bundeswahlleiter gibt, sondern die 50 Bundesstaaten und die Hauptstadt Washington D.C. jeweils eigene Wahlgesetze haben, müssten Streitfälle über den Wahlprozess an den jeweiligen höchsten Gerichten der Bundesstaaten ausgetragen werden. Gibt es dort keine Lösung - etwa, weil Trump eine ihm missliebige Entscheidung nicht akzeptiert - , können die Klagen am Ende vor dem Supreme Court in Washington, dem Obersten Gericht laden.

Wogegen richten sich Trumps Klagen - und seine Ausführungen über angeblich "illegale Stimmen"?

Mehrere Staaten hatten in diesem Jahr ihre Regeln für die Briefwahl geändert, um das Abstimmen in der Corona-Pandemie einfacher zu machen. Viele Republikaner lehnten das ab - nicht zuletzt, weil Trump immer wieder mit der Behauptung Stimmung machte, bei der Briefwahl komme es verstärkt zu Wahlbetrug.

Tatsache ist, dass die US-Post stellenweise mit der Flut an Briefwahlstimmen überfordert war und einige Stimmen erst nach dem Wahltag eintrudelten. Trump versucht diese seit Tagen irreführend als "illegale" Stimmen zu diskreditieren und gerichtlich durchzusetzen, dass sie nicht mehr gezählt werden können.

Inzwischen hat er in mehreren Bundesstaaten Klagen gegen den geltenden rechtlichen Rahmen der Stimmauszählung gerichtet - offenkundig mit dem Ziel, einen Stopp zu erzwingen. In Philadelphia, Michigan, Georgia und Pennsylvania haben die Gerichte einige Klagen vorerst abgewiesen. In Nevada lehnten die Richter es ab, die Auszählung zu stoppen, machten aber Zugeständnisse an die Wahlbeobachter vor Ort.

Wie könnten die Demokraten gegen Trumps Bestrebungen vorgehen?

Bislang konzentriert sich der demokratische Kandidat Joe Biden darauf, Trumps Behauptungen als "skandalösen" Angriff auf die Demokratie zurückzuweisen und den Wählern zuzusichern, jede Stimme werde ausgezählt - das dauere eben, betont sein Stab immer wieder. Bidens Wahlkampfchefin Jen O'Malley Dillon kündigte zudem an, gleich mehrere Teams aus Rechtsexperten für die Demokraten seien für eine gerichtliche Auseinandersetzung gerüstet.

Sollte Trump sich mit seinen Forderungen vor einem Gericht durchsetzen, könnte Bidens Team etwa gegen die Entscheidung klagen und eine Fortsetzung der Auszählung fordern - oder sogar in die Offensive gehen und die Wahl in einzelnen Bundesstaaten insgesamt anfechten. "Ob Biden gegen alles vorgeht, was möglich wäre, ist abzuwarten. Es sieht auf jeden Fall nach einer 'Justizschlacht' aus", sagt Alexander Thiele, der Staatslehre und Öffentliches Recht unter anderem an der Universität Göttingen unterrichtet.

Welchen Spielraum hat das Oberste Gericht?

Die Verfassung der USA enthält hierzu keine ausführlichen Regelungen. Das eröffnet den Richtern am Obersten Gericht großen Freiraum bei ihrer Entscheidung. Sie können zwar nicht über den Ausgang der Wahl an sich befinden, aber zum Beispiel über zulässige Fristen, Auszählungsregeln und die Gültigkeit von Stimmen urteilen. Das könnte letztlich dazu führen, dass ein vorläufiger Ergebnisstand gekippt oder als endgültig bestätigt wird. Dass sechs der neun Richter am Obersten als konservativ gelten und Trump von ihnen allein drei selbst nominiert hat, könnte sich für ihn nun als günstig erweisen.

Welche zeitlichen Vorgaben für eine Entscheidung gibt es?

Alle Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Am 14. Dezember wählt das "Electoral College", also die Wahlleute der einzelnen Bundesstaaten, dann gemäß dem "Der Sieger erhält alles"-Prinzip den US-Präsidenten. Auch dort könnte es noch zu Spannungen kommen - denn theoretisch sind die Wahlleute in ihren Entscheidungen frei. Bei knappen oder uneindeutigen Wahlergebnissen liegt es unter Umständen an ihnen, welchem der zwei US-Präsidentschaftskandidaten sie ihre Stimmen geben. Dass aber republikanisch eingestellte Wahlleute einen Sieg Bidens gleichsam "ignorieren" würden, ist unwahrscheinlich - denn in solchen Fällen würden sich beide Kammern des US-Kongresses einschalten und versuchen, die Situation zu lösen.

Spätestens am 20. Januar ist so oder so Schluss: Am "Inauguration Day" wird der Wahlsieger vereidigt und in sein Amt eingeführt. Bis zu einer Entscheidung bleibt also verhältnismäßig wenig Zeit - das gereicht Trump und den Republikanern zum Vorteil. Denn etwaige Gegenklagen der Demokraten gegen Gerichtsentscheidungen auf Ebene der Bundesstaaten sind mühsam und zeitraubend - und auch das Oberste Gericht könnte aus Zeitgründen pragmatisch urteilen.

Gibt es einen Präzedenzfall, mit dem das sich nun abzeichnende Szenario vergleichbar ist?

Bei der US-Wahl 2000 hing es von nur 537 Stimmen im Bundesstaat Florida ab, ob der Republikaner George W. Bush oder der Demokrat Al Gore der nächste US-Präsident wird. Der Rechtsstreit um das Wahlergebnis dauerte Wochen und kam vor das Oberste Gericht. Damals entschieden die Richter mit fünf zu vier Stimmen, dass die Auszählung der Stimmen gestoppt werden müsse - mit einer Urteilsbegründung, die viele Juristen schon damals als fragwürdig beurteilten. Sie sprachen damit de facto Bush den Sieg in Florida zu.

Gore beugte sich dem Urteil des Obersten Gerichts als Teil der institutionellen Demokratie und erklärte daraufhin seine Niederlage. Beobachter zweifeln allerdings daran, dass Trump eine Entscheidung des Obersten Gerichts, die gegen ihn ausfällt, ohne weiteres akzeptieren wird.

Ist das, was Trump plant, mit einem Staatsstreich zu vergleichen?

Verfassungsrechtler Thiele spricht von einer "Justizschlacht", die in eine Verfassungskrise münden kann. Denn die US-Verfassung sieht für die vorliegende Situation keine eindeutige Regelung vor - letztlich könnte der Wahlausgang von der Entscheidung des Obersten Gerichts abhängen - und davon, wie Trump und seine Anhänger sich nach dem Urteil verhalten.

Dass Trump während eines laufenden Wahlvorgangs den Rechtsweg eingeschlagen hat, ist ungewöhnlich und entspricht nicht dem Demokratieverständnis. Einige politische Beobachter aber entwerfen bereits noch extremeres Szenario: Trump könnte am Amt des US-Präsidenten festhalten, Unruhen zwischen seinen Gegnern und Unterstützern - darunter etwa rechtsextreme Paramilitärs - entstehen. Dass in einigen Städten wie Phoenix, Detroit und Philadelphia aufgebrachte Trump-Unterstützer aufmarschierten und lautstark ein Auszählungsende forderten, unter denen Bewaffnete waren, löste bei vielen Gemäßigten daher Beunruhigung aus. Im äußersten Fall könnte Trump versuchen, mit der Unterstützung republikanischer Gouverneure die Nationalgarde zu mobilisieren und das Kriegsrecht auszurufen. So etwas ist in der US-Geschichte aber bislang nicht vorgekommen.

Was bedeutet der Ausgang der US-Wahl für andere Demokratien?

Nachdem Trump sich vorzeitig zum Wahlsieger erklärt hatte, bekam er erste Glückwünsche von anderen Staats- und Regierungschefs - darunter mit Sloweniens Regierungschef Janez Jansa auch ein EU-Mitglied.

Sollte Trump eine etwaige Niederlage und damit Bidens Wahl zum US-Präsidenten nicht hinnehmen, entsteht daraus "möglicherweise eine Art völkerrechtliches Problem, da unterschiedliche Staaten unterschiedliche Kandidaten als US-Präsidenten anerkennen", sagt Thiele. "Das ist eine Situation, die wir eigentlich aus fragil-demokratischen bis autoritären Staaten kennen."

Wichtiges Merkmal der Demokratie ist, dass amtierende Regierungen Wahlen auch dann als maßgeblich betrachten, wenn sie sie verlieren. "In autoritären Systemen gibt es keinen geregelten Weg der Machtübergabe - das ist das Fundamentale, was die demokratische Ordnung prägt, die geordnete Machtübergabe", sagt Thiele. "Wenn das in einer demokratischen Ordnung wie den USA in Zweifel steht, dann wäre das durchaus eine Verfassungskrise." Als älteste Demokratie der Welt hätten die USA eine Vorbildfunktion - "und wenn die jetzt bröckelt oder jedenfalls in einer Krise steckt, ist das schon ein Problem der demokratischen Ordnungen insgesamt."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Sondersendung zur US-Wahl am 04. November um 16:00 Uhr.