Kernfusion EU-Experiment erzielt Energierekord
Energie erzeugen wie unsere Sonne: An einer europäischen Forschungsanlage für Kernfusion in Großbritannien ist die bislang größte Energiemenge aus einem Fusionsexperiment erreicht worden.
Die Energiequelle der Sterne auf der Erde nachzubauen - das ist das Ziel der Forschung an Kernfusionsreaktoren. Denn beim Verschmelzen von Wasserstoffkernen im Inneren der Sonne werden offensichtlich gewaltige Energiemengen frei. Ein Nachbau dieser sagenhaften Energiequelle auf der Erde würde zudem nur wenig Müll produzieren, der schwach radioaktiv ist.
Und die in seinem Inneren ablaufende Fusionsreaktion würde bei kleinsten Störungen von selbst erlöschen - ein katastrophales Aufschaukeln bis zum Super-GAU wie in einem herkömmlichen Kernkraftwerk, in dem Atomkerne gespalten und nicht verschmolzen werden, ist im Fusionsreaktor nicht möglich.
Aber die technischen Voraussetzungen für eine Fusionsreaktion sind komplex.
Weltrekord beim letzten Experiment
Ein erstes Kraftwerk könnte vielleicht in Jahrzehnten gebaut werden. Die jetzt im Betrieb befindlichen Reaktoren dienen alle lediglich der Erforschung der technischen Grundlagen. Einer dieser Reaktoren, JET (Joint European Torus), steht seit 1983 in Culham in Großbritannien.
Nach 40 Jahren wurde die Forschungsanlage, an der mehrere europäische Staaten beteiligt sind, im Herbst 2023 außer Betrieb genommen - aber zuvor technisch bis an die Grenze ausgereizt. So kam es dazu, dass im Oktober 2023 nochmals ein Weltrekord erzielt wurde - was der Forschungsverbund EuroFUSION nun im Februar 2024 mitgeteilt hat. Eine Energiemenge von 69 Megajoule sei durch das Verschmelzen von Wasserstoffisotopen freigesetzt worden.
Bislang noch ernüchternde Energiebilanz
69 Megajoule Energie reichen aus, um das Wasser in drei gut gefüllten Badewannen auf Wellnesstemperatur zu bringen. Mit der Energie, die für den Betrieb des JET-Reaktors insgesamt aufgewendet wurde, hätte man allerdings mehr als 100 Badewannenfüllungen erwärmen können.
Für den Bau eines Kraftwerks müsste man in der Lage sein, dieses Verhältnis von Energieaufwand zu Energiegewinn umzukehren. Das ginge dann, wenn das im Reaktor enthaltene Gemisch aus Atomkernen und Elektronen - das Plasma - zur Zündung gebracht werden könnte.
Die Zündung: Das ist der Punkt, ab dem sich die Fusionsreaktion von selbst aufrechterhalten kann, weil sie so viel Energie freisetzt, dass das Plasma Millionen Grad heiß bleibt und darüber hinaus noch mit einem Wärmeüberschuss ein Kraftwerk betrieben werden kann.
Plasmazündung in den USA kein Durchbruch
Immerhin wurde bereits von einer ersten erfolgreichen Plasmazündung berichtet, in den USA im November 2022. Am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA hatte man eine winzige Probe aus gefrorenem Wasserstoff mit mächtigen Lasern beschossen. Unter der schlagartig einsetzenden Hitze fusionierten die Atomkerne, Energie wurde frei - und zwar tatsächlich mehr als der Laser reinschoss. Aus 2,05 Megajoule wurden 3,15 Megajoule.
Allerdings wurde in der Bilanz nicht berücksichtigt, dass auch die Herstellung der Laserstrahlung Energie benötigte - rechnet man die mit ein, wird auch beim Livermore-Experiment die Bilanz negativ. Außerdem ist auf diese Art und Weise die Zündung des Plasmas nur für Bruchteile einer Sekunde möglich - dann ist der Brennstoff auch schon verbraucht.
Es gibt noch keine technischen Konzepte, um daraus einen Reaktor im Dauerbetrieb zu bauen. Dieser Ansatz taugt deshalb zur Erforschung von gezündeten Plasmen, aber nicht zum Bau von Reaktoren. Das ist bei JET und dem gerade in Südfrankreich im Bau befindlichen Experimentalreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) anders.
Energieerzeugung nach dem Vorbild der Sonne
Im JET-Kernfusionsreaktor wird in einer 4,2 Meter hohen und 2,5 Meter breiten, zum Ring geschlossenen Röhre sehr dünnes Gas erhitzt. Bei hohen Temperaturen trennen sich Atomkerne und die Atomhülle, die aus Elektronen besteht, voneinander. Ein Plasma entsteht und die hüllenlosen Atomkerne kollidieren so heftig, dass sie miteinander verschmelzen und Energie frei wird - in Form von Wärme.
In der Sonne läuft ein ähnlicher Prozess ab. Da im Sonneninneren aber ein sehr hoher Druck herrscht, reichen dort 15 Millionen Grad aus, um die Atomkerne zur Fusion zu zwingen. In Fusionsreaktoren auf der Erde ist ein so hoher Druck nicht zu erreichen. Stattdessen muss das in ihnen eingeschlossene Plasma auf über 100 Millionen Grad erhitzt werden, um die Schwelle zur Kernfusion zu erreichen. Dieses superheiße Plasma darf die Reaktorwände nicht berühren - nicht nur, weil das Hitzeschäden verursachen könnte, sondern weil das Plasma beim Kontakt mit den Wänden sofort auskühlen und die mühsam gestartete Fusionsreaktion zusammenbrechen würde.
Die Situation ähnelt einer Wärmflasche, die auf einen Eisberg gelegt wird. Sie kann den tonnenschweren Eisberg nicht schmelzen, sondern kühlt selbst aus und gefriert. Ebenso würden die massiven, tonnenschweren Reaktorwände die dünn im Raum schwebende Plasmawolke, die gerade mal ein Zehntel Gramm wiegt, augenblicklich auskühlen. Superstarke Magnetfelder hindern die Plasmawolke deshalb daran, die Reaktorwände zu berühren.
Technische Herausforderungen zur Erzeugung einer Kernfusion
Die technisch notwendigen starken Magnetfelder lassen sich wirtschaftlich nur mit Supraleitern herstellen - Materialien, die elektrischen Strom ganz ohne Widerstand leiten, die dafür aber aufwändig gekühlt werden müssen.
Die bislang favorisierte Bauweise für Fusionsreaktoren ist der sogenannte Tokamak. Er bringt allerdings eine große technische Herausforderung mit sich: Damit die Plasmawolke im Tokamak schön kompakt zusammenbleibt, muss ein elektrischer Strom in ihrem Inneren fließen. Dieser Plasmastrom wird durch ein Magnetfeld angeregt.
Um dieses Magnetfeld aufzubauen, muss um das Reaktorgefäß herum ein beständig ansteigender elektrischer Strom fließen. Da der Strom nicht ins Unendliche steigen kann, muss der Tokamak zwischendurch abgeschaltet und abgekühlt werden. Diese Zyklen belasten die Maschine enorm.
Das Gegenkonzept zum Tokamak ist der Stellarator. Er kommt ohne den Plasmastrom aus. Dafür ist die Berechnung der in ihm notwendigen Magnetfelder so kompliziert, dass sie lange Zeit gar nicht durchgeführt werden konnte. Mit Hochleistungsrechnern wurde das aber möglich und der Stellarator, den viele schon auf dem Abstellgleis wähnten, ist wieder ein Konzept mit Zukunft. Wahrscheinlich werden künftig technische Elemente des Tokamak im Stellarator verbaut und umgekehrt - die technischen Unterschiede zwischen den beiden Konzepten könnten verschwimmen.
Erstes Kraftwerk nicht vor 2050
Der Nachfolger von JET ist ITER - das steht für International Thermonuclear Experimental Reactor -, ein Fusionsreaktor, der gerade in Südfrankreich gebaut wird. 35 Staaten sind an diesem Projekt beteiligt. Im Jahr 2007 wurde mit der Erschließung des Geländes begonnen. Nach vielen Verzögerungen soll ITER 2025 in Betrieb gehen. Dann werden dort Tests gefahren, in deren Rahmen in den 30er-Jahren schließlich eine mehrere Minuten dauernde Zündung des Plasmas zustande kommen soll.
Bei optimalem Lauf der Dinge könnte ITER in etwa genauso viel Energie produzieren, wie der Betrieb der Anlage verschlingt. Doch erst der Nachfolger von ITER mit Namen DEMO (DEMOnstration Power Plant) wäre dann ein erstes experimentelles Fusionskraftwerk, das zu einem Nettogewinn in der Energiebilanz in der Lage wäre und 300 bis 500 Megawatt ins Stromnetz einspeisen könnte. DEMO wird allerdings nicht vor 2050 den Betrieb aufnehmen.