Die Silhouette eines toten Baumes in Niedersachsen

Studie zu Klimafolgen für Junge 19 Hitzewellen in einem Leben

Stand: 23.11.2021 11:42 Uhr

Junge Menschen in Deutschland werden weit öfter unter Hitzewellen, Überschwemmungen und anderen Wetterextremen leiden als ihre Eltern. Ein internationales Forscherteam hat die Häufigkeiten konkret berechnet.

Die 18-jährige Schülerin Yara Prasse macht sich Sorgen um ihre Klima-Zukunft. Mit Recht: In ihrem Leben wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dreizehn extreme Hitzewellen mitmachen, dreimal mehr als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Luciano Klamt aus Eichwalde in Brandenburg, 15 Jahre alt, wird statistisch sogar mindestens 14 extreme Hitzewellen erleben.

Das ist das Ergebnis einer Generationen-Studie eines internationalen Forscherteams rund um den Klimawissenschaftler Wim Thiery aus Brüssel und um die Mathematikerin Katja Frieler vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Bei der konkreten Berechnung, die die beiden Jugendlichen betrifft, sind die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Erde sich in diesem Jahrhundert um 2,4 Grad erwärmt, was derzeit nicht unwahrscheinlich ist.

Jugendliche von heute werden mehr und mehr Wetterkatastrophen erleben

Torsten Madalka, RBB, tagesschau 12 Uhr

Aber auch für alle anderen Temperaturszenarien haben sie Modellrechnungen vorgelegt. Erstmals haben die Forscher die Ergebnisse ihres ursprünglich für die globalen Klimafolgen gedachten Modells auf einzelne Regionen heruntergebrochen. Die Zahlen für Deutschland liegen der Redaktion rbb24-Recherche exklusiv vor.

In dieser Welt noch ein Kind bekommen?

Für die Abiturientin Yara, die auch Schülervertreterin in Berlin ist, bedeuten diese Aussichten, dass sie sich Gedanken darüber macht, ob sie in einer solchen Welt noch ein Kind bekommen will. Schon jetzt hat sie ständig Katastrophenbilder im Kopf: "Sturm, Zerstörung, Überflutungen, Waldbrände." Yara hat das Gefühl, dass sie in ihrem Leben von Katastrophe zu Katastrophe "wandern" wird. Ständig macht sie sich Sorgen wegen der schlechten Nachrichten aus aller Welt.

Corona hat dieses Grundgefühl nicht verbessert. Und ihre eigenen Wahrnehmungen aus den vergangenen Sommern in Berlin mildern ihre Sorgen nicht. "Ich kann überhaupt nicht gut mit Hitze umgehen, ich finde es super anstrengend", sagt sie. Die Hitzesommer der vergangenen Zeit mit Temperaturen deutlich über 30 Grad machten ihr die Veränderungen in ihrem Leben klar: "Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass wir ein Land, eine Stadt sind, die so extreme Sommer überhaupt erleben kann, und dass das überhaupt normal ist. Das ist mir auch nicht in den Sinn gekommen."

Kunstschnee im Alpbachtal

Auch der Brandenburger Schülervertreter Luciano Klamt erlebt den Klimawandel am eigenen Leibe. Seine Familie kommt aus Bayern, im Tiroler Alpbachtal Ski zu fahren ist Familientradition. Mittlerweile gibt es dort immer mehr Kunstschnee: "Wenn ich dann die Piste runterfahre und um mich herum sind grüne Bäume und teilweise grüne Wiesen und ich fahre dann auf einem weißen Streifen Schnee, sieht das irgendwie nicht richtig aus", sagt Luciano. "Es ist auch kein schöner Schnee, es ist viel zu warm und es macht keinen Spaß mehr."

Auch ihm wird "mulmig", wenn er an die Naturkatastrophen denkt, die der Klimawandel verursacht: "Beispielsweise die Hochwasser, die wir dieses Jahr in Deutschland hatten. Aber auch, wenn die Meeresspiegel steigen, so dass irgendwelche Länder oder Inseln überschwemmt werden. Aber auch Stürme und so weiter." Luciano will später lieber ein Kind adoptieren, als ein eigenes in die Welt zu setzen.

Second-Hand-Mode und Rad fahren

Yara und Luciano versuchen, Konsequenzen aus diesen Wahrnehmungen zu ziehen. Yara ist Vegetarierin, geht zu den Klima-Demonstrationen und kauft ihre Mode auf dem Second-Hand-Markt. Luciano engagiert sich bei den Grünen, fährt fast nur Fahrrad und ÖPNV und hat sich grundsätzlich entschieden, nicht mehr zu fliegen, solange das nur mit fossilen Energieträgern geht. Dass man nicht völlig widerspruchsfrei leben kann, ist ihnen bewusst. Beide sind Vertreter einer Generation, für die die Umsetzung der Beschlüsse der unlängst in Glasgow zu Ende gegangenen Klimakonferenz lebensprägend sein werden.

Sollte es nicht gelingen, den Klimawandel auf unter zwei Grad zu begrenzen, rechnet Katja Frieler vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vor, werden sich die Lebensbedingungen von Yara und Luciano sehr deutlich verschlechtern. Danach wird die Jugend in Deutschland - je nachdem, wie weit der Klimawandel fortschreiten wird - bis zu vier Mal mehr Hitzewellen erleben als ihre Vorgänger-Generationen.

Klimawandel trifft Jugendliche weltweit

Das heißt zum Beispiel, dass ein heute geborenes Kind bei einem globalen Temperaturanstieg von 2,4 Grad rund 19 Hitzewellen in seinem Leben mitmachen wird. Erhöhte Risiken ergeben sich auch aus Überschwemmungen, Waldbränden, Orkanen, Dürren und Missernten. Im Vergleich zu den Lebensumständen der Menschen im vorindustriellen Zeitalter wird ein heute in Europa geborenes Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar einem rund 25-fachen Hitzewellen-Risiko ausgesetzt sein - wenn der menschenverursachte Klimawandel nicht aufgehalten wird.

Mit der Modellrechnung haben die Wissenschaftler erstmals eine Brücke zwischen Klimawissenschaft und Demografie geschlagen und mathematisch berechnet, welche Folgen der Klimawandel für die unterschiedlichen Generationen haben wird. Zwar gibt es dabei noch statistische Ungenauigkeiten, weil nicht alle Klimaszenarien zu jeder Zeit für jeden demografischen Faktor vorlagen und dann Annäherungsrechnungen vorgenommen werden mussten. Deutlich wird aber, dass der Klimawandel die Jugendlichen auf der ganzen Welt treffen wird, im globalen Süden noch viel härter als in Europa.

Studie liefert Klimaschützern konkrete Argumente

Die Berechnungen geben der jungen Generation jetzt konkretes Argumentationsmaterial an die Hand - nicht nur in der politischen Debatte, sondern möglicherweise auch in weiteren juristischen Auseinandersetzungen um Klimaschutzmaßnahmen, die vor den Verfassungsgerichten der Welt mehr und mehr ausgefochten werden.

Der Potsdamer Wissenschaftlerin Frieler ist das sehr bewusst: "Ich glaube, die Fridays-for-Future-Bewegung hat sehr viel bewegt. Die politische Situation wäre eine andere, wenn es diese Proteste nicht geben würde. Ich halte das für ziemlich wichtig. Und eigentlich trifft das nicht nur die Kinder. Eigentlich sollten die Erwachsenen dafür genauso auf die Straße gehen."

Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Glasgow wollen weder die Wissenschaftlerin noch die SchülerInnen Yara und Luciano in Bausch und Bogen verdammen. Jetzt komme es auf die schnelle Umsetzung an. "Wir haben immer noch sehr viele Schwierigkeiten, ernst genommen zu werden von der Politik", sagt Yara. Das mache sie wütend. Ebenso wie die Versäumnisse der vorhergehenden Generationen, "dass sie uns alles so hinterlassen haben, wie es jetzt ist, und dass wir jetzt mit dem extremen Problem noch weiterleben müssen. Es löst in mir Angst und Erstaunen aus."

Luciano macht zwar nicht allen in der Eltern- und Großelterngeneration Vorwürfe, aber den Leuten, "die immer noch dasitzen und sagen: 'Das ist gar nicht wahr.' Und die immer noch nichts machen wollen. Denen würde ich schon Vorwürfe machen". Denn seiner Meinung nach kann jede und jeder Einzelne durchaus etwas bewirken: "Wenn genug Leute sich dazu entscheiden, mit der Bahn zu fahren, dann sagen Fluggesellschaften, es lohnt sich nicht mehr, fünfmal am Tag zwischen Berlin und München zu fliegen. Das ist nicht der einzige Weg, der gegangen werden sollte, aber es ist auch ein Weg, etwas zu verändern."

Klimaschutz senkt das Katastrophenrisiko

Die Berechnungen des internationalen Forscherteams geben ihm recht. Sie zeigen, dass konkrete Klimaschutzmaßnahmen sich positiv auswirken. So wird durch die Zahlen deutlich, dass bei einer Begrenzung der Erderwärmung das Katastrophenrisiko deutlich sinkt und sich die Lebensperspektive der jungen Generation verbessert. Bei einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad würden sich in Europa die Aussichten auf gute landwirtschaftliche Erträge sogar verbessern - der Missernten-Faktor läge bei 0,7. "Wir müssen hoffnungsvoll bleiben", so Frieler, "und es ist ja auch nicht so, dass diese Aufgabe nicht schaffbar ist."

Torsten Mandalka, Thorsten Mandalka, ARD Berlin, 23.11.2021 12:27 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 23. November 2021 um 07:10 Uhr.