Vor dem Oldenhorn-Gipfel in der Nähe des Tsanfleurongletscher in der Schweiz hat sich eine große Pfütze gebildet.

Studie zu Klimakrise Schmilzt jeder zweite Gletscher weg?

Stand: 06.01.2023 09:10 Uhr

Mindestens die Hälfte der Gletscher auf der Welt verschwindet bis zum Ende des Jahrhunderts - so die Prognose einer neuen Studie. Doch es gebe Handlungsspielraum. Für die deutschen Gletscher sehen die Autoren aber keine Hoffnung.

Als Folge des Klimawandels wird einer im Fachmagazin "Science" veröffentlichten Studie zufolge rund die Hälfte der Gletscher auf der Welt bis zum Ende des Jahrhunderts verschwinden. Selbst bei einer begrenzten Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter dürften nach Schätzungen der Forscherinnen und Forscher 49 Prozent aller 215.000 Gletscher bis zum Jahr 2100 abschmelzen.

Doch die Autorinnen und Autoren haben auch eine positive Botschaft: Sofortige Maßnahmen zum Klimaschutz und jede um ein Zehntelgrad geringere Erwärmung können den Prozess verlangsamen.

"Tatsache, dass die Hälfte aller Gletscher bis 2100 verschwunden sein wird ist unumstößlich", Olaf Eisen, Glaziologe Alfred-Wegener-Institut, zur Gletscherschmelze

tagesschau24 15:00 Uhr

Pariser Klimaschutzabkommen nicht genug

Der Studie zufolge steht das Schmelzen der Gletscher in linearem Zusammenhang mit dem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg. Bei einem Anstieg um zwei Grad - dem im Pariser Abkommen vereinbarten Ziel für die maximale Erwärmung - könnten knapp 70 Prozent der Gletscher bis zu einer Größe von einem Quadratkilometer verschwinden. Von den Gletschern zwischen einem und zehn Quadratkilometern würden fast 20 Prozent komplett abschmelzen.

Ausgehend von den Klimazusagen der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im Jahr 2021 - auf deren Grundlage ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert wurde - werden Gletscher in vielen Regionen nahezu ganz verschwinden, wie es in der Studie weiter heißt. Dazu zählten die der europäischen Alpen, im westlichen Kanada, den Vereinigten Staaten sowie Neuseeland.

Überschwemmungen wie Wasserknappheit

Bei einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von vier Grad würden der Studie zufolge 83 Prozent aller Gletscher weltweit bis 2100 verschwinden. Das hätte dramatische Folgen. Denn das Schmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen. "Jeder Millimeter mehr Meeresspiegelanstieg führt zu mehr Überschwemmungen an den Küstengebieten, und die Gletscher sind eben einer der Hauptantriebe des Meeresspiegelanstiegs", sagt Fabien Maussion von der Universität Innsbruck, der Co-Autor der Studie ist.

Außerdem seien die Gletscher natürliche Süßwasserspeicher. "Wenn sie weg sind, heißt es zwar nicht, dass wir kein Wasser mehr haben, aber dass das Wasser nicht mehr dann kommt, wenn es benötigt wird - nämlich in trockenen, heißen Sommermonaten", so Matthias Huss von der ETH Zürich, ein weiterer Co-Autor der Studie. Wenn das Eis verschwunden sei, sei vor allem in Dürrephasen mit Wasserknappheit zu rechnen. "Das ist ein Problem für Bewässerung, Trinkwasser, Warentransport, Fauna und Flora und so weiter", sagt er.

"Brauchen einen kompletten Wechselkurs"

Trotzdem unterstreicht das Team: Es sei durchaus möglich, die Schmelze durch sofortige und umfassende Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Skala mittelfristig zu verlangsamen. "Auch, wenn wir die Gletscher nicht so retten können, wie sie aktuell aussehen, bewirkt jedes Zehntelgrad eingesparter Erwärmung einen geringeren Rückgang und damit auch geringere negative Auswirkungen", so Huss. "Wir brauchen einen kompletten Wechselkurs, was unsere Emissionen angeht", sagt Maussion.

Mit seinen Berechnungen bestätigt das internationale Team um David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß der Gletscherschmelze. "Die Studie hat diverse Prozesse, die bisher nicht betrachtet werden konnten, sehr detailliert angeschaut. Aber es ist nicht so, dass etwas völlig Neues aus der Studie herauskommt, was vorher nicht bekannt war", sagt Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Er war nicht an der Untersuchung beteiligt.

Deutsche Gletscher nicht mehr zu retten

Gletscher sind große Massen aus Schnee, Firn und Eis, die meist von Bergen langsam in Richtung Tal strömen. Die deutschen Gletscher sind nach Eisens Worten nicht mehr zu retten: "Das Thema ist durch." Im vergangenen Jahr sei mit dem Südlichen Schneeferner einer weggeschmolzen, somit gebe es in Deutschland nur noch vier Gletscher. "Die wird das gleiche Schicksal ereilen", so Eisen.

Wie schnell die Schmelze in Deutschland vorangehe, hänge lediglich von den Temperaturen in den kommenden Wintern ab. "Wenn wir solche Winter kriegen wie 2020 oder 2021, als es im Frühjahr kalt und nass war, dann werden sie vielleicht noch ein Jahrzehnt länger halten, aber die deutschen Gletscher werden 2050 vermutlich nicht erreichen."