Eine liegende Frau schaut auf ihre Uhr

Zeitumstellung Besser nach der inneren Uhr leben

Stand: 31.03.2024 03:07 Uhr

Die Wissenschaft rät, besser nach der inneren Uhr zu leben und die Leistungshochs der unterschiedlichen Chronotypen bei der Arbeit und in der Schule stärker zu beachten. Sie rät auch zur Abschaffung der Zeitumstellung.

Von Anja Braun, SWR

In der Nacht zum Sonntag wurde die Uhr auf Sommerzeit umgestellt, für uns beginnt der Tag eine Stunde früher. Das hat Auswirkungen auf unsere innere Uhr, da viele Vorgänge im menschlichen Körper rhythmisch organisiert sind, zum Beispiel Herzschlag und Atmung und auch unser Schlaf.

Im Projekt CIRCADIA haben das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und der FOM-Hochschule für Ökonomie und Management untersucht, wie wir den Alltag besser mit unserer inneren Uhr in Einklang bringen könnten.

Leistungshoch je nach Chronotyp unterschiedlich

Der Zeitpunkt, an dem Menschen besonders leistungsfähig sind, ist individuell unterschiedlich. Man kann dabei verschiedene Chronotypen ausmachen. Manche Menschen sind gern früh wach, erreichen am Vormittag bereits ihr Leistungshoch und gehen auch früh ins Bett - sie werden Lerchen genannt.

Andere erreichen ihr Leistungshoch erst am frühen Abend und stehen entsprechend spät auf, sie nennt man Eulen. Dazwischen gibt es noch diverse Abstufungen. Denn wir alle sind durch unsere "innere Uhr" getaktet. Doch darüber ist noch viel zu wenig bekannt.

"Die meisten kennen dieses Wort circadiane Rhythmen, innere Uhren gar nicht. Sie denken, das ist etwas Esoterisches. Die meisten Menschen wissen auch gar nicht, was das für gesundheitliche Schäden auslösen kann, wenn man eben entgegen seiner eigenen inneren Uhren arbeitet, rund um die Uhr", sagt Wissenschaftlerin Kerstin Cuhls vom Fraunhofer Institut ISI in Karlsruhe.

Immer häufiger gegen die innere Uhr

Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt fördern die Tendenz, dass Menschen nicht mehr im Einklang mit ihrer inneren Uhr arbeiten. Seit der Corona-Pandemie hat sich das noch verstärkt.

Das zeigt auch eine Umfrage unter fast 2.000 Menschen, die im Rahmen des CIRCADIA-Projektes durchgeführt wurde. Die Teilnehmenden beantworteten Fragen zu Schlaf- und Wach-Gewohnheiten, zur Bildschirmnutzung und wie sich diese Art der Techniknutzung seit der Pandemie verändert hat.

"Wir haben vor allem gefunden, dass Menschen immer mehr Bettzeit-Prokrastination betreiben. Das heißt, sie lassen sich immer mehr Zeit noch für Filme oder Serien gucken, spielen am Smartphone oder Laptop abends und gehen dadurch immer später ins Bett", so Forscherin Cuhls.

Ein modernes Dilemma

40 Prozent der Befragten sagten, sie würden ihre Schlafenszeit bewusst verschieben, auch wenn sie genau wüssten, dass sie es am nächsten Tag bereuen würden. Das ist ein modernes Dilemma und nicht das einzige.

Menschen sind offenbar nicht besonders gut darin, ihr Schlafverhalten zu steuern. Doch Schlafmangel hat großen Einfluss auf die innere Uhr.

CIRCADIA-Projektleiterin Cuhls meint: "Wir haben jetzt schon einen hohen Anteil an Menschen, die mentale Probleme und Störungen haben. Einige dieser Störungen sind sicherlich auch auf mangelnden Schlaf zurückzuführen. Einige Depressionen, einige ADHS-ähnliche Phänomene, die derzeit aufkommen, die wir immer stärker auch bei jüngeren Personen schon sehen, werden durch mangelnden Schlaf noch mal ganz stark forciert."

Abschaffung der Sommerzeit gefordert

Doch es gibt einige Stellschrauben, um besseren und mehr Schlaf zu ermöglichen - und damit auch mehr Ausgeglichenheit, bessere Leistungsfähigkeit und größeres Wohlbefinden.

Die Projektbeteiligten nennen als erste und einfach umzusetzende Maßnahme die Abschaffung der Sommerzeit. Aus chronobiologischer Sicht passe in Mitteleuropa die Standardnormalzeit ganzjährig am besten, damit die Menschen ausreichend Schlaf bekommen.

Das Team empfiehlt außerdem einen späteren Schulbeginn für Teenager, am besten bereits ab der fünften Klasse. Denn obwohl lange bekannt sei, dass sich im Teenager-Alter der Schlaf- und Aufsteh-Rhythmus nach hinten verlagerten, beginne der Unterricht in der Regel um 8 Uhr. Das sei bei den meisten Teenagern - also auch bei den frühen Typen - mitten in der Nacht.

Mehr Aktivitäten nach draußen verlagern

Ein dritter wichtiger Punkt ist es, den längeren Aufenthalt im Tageslicht für alle zu fördern. Also möglichst viele Aktionen und Begegnungen ins Freie zu verlagern. Denn das natürliche Tageslicht hilft dabei, mit der inneren Uhr im Einklang zu bleiben.

So könnte man nicht nur den Schulunterricht teilweise, sondern auch manche Besprechungen und andere Tätigkeiten unter den freien Himmel verlegen. Und wenn schon nicht bei der Arbeit, so doch wenigstens in der Freizeit mehr draußen zu unternehmen, um den natürlichen Lichteinfall zu nutzen.

Tageslicht sollte zentrales Gesundheitsthema werden

Die Chance auf Arbeit, Schule und Freizeit bei Tageslicht sollte in Zukunft als zentrales Gesundheitsthema mehr Beachtung finden, fordert Kerstin Cuhls. Zudem sollte bei Neubauten der Einfall von Tageslicht intelligenter genutzt werden. Zurzeit würden im Sommer große Fensterflächen in Büros oft verdunkelt, um an den Bildschirmmonitoren blendfrei arbeiten zu können.

Nicht zuletzt müsse auch der Einfluss des Klimawandels mit den sich in unseren Breitengraden steigenden Temperaturen bedacht werden, warnt Cuhls. "Denn wir könnten auch hier solche Temperaturen bekommen, dass wir quasi kaum noch schlafen könnten."

Schlafmangel gesamtgesellschaftliches Problem

Wenn durch Schlafmangel die inneren Uhren aus dem Takt geraten, können Menschen daran erkranken. Zurzeit gebe es einen starken Anstieg vor allem von mentalen Krankheiten und Störungen, so Cuhls.

Das wird eher noch zunehmen. Wir konnten es bisher nicht stoppen. Und wenn wir über lange Zeit weiter so mit uns umgehen, dann sind wir wirklich entkoppelt. Das kann dann zu Stoffwechselprobleme führen bis hin zum metabolischen Syndrom. Aber wir bekommen auch gesellschaftliche Probleme im Gesundheitssystem, weil das damit gar nicht mehr umgehen kann.
Kerstin Cuhls, Projektleiterin CIRCADIA

Stärker auf Chronotypen eingehen

Die Forschenden empfehlen, eine Gesellschaft anzustreben, die im Alltag bewusster auf die unterschiedlichen Chronotypen eingeht. So könnten zum Beispiel Arbeitgeber Wechselschichten so einteilen, dass die Frühschichten von den Frühtypen gemacht werden und die Spätschichten von den späten Typen.

Anja Braun, SWR, tagesschau, 31.03.2024 08:39 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 im Radio am 30. März 2024 um 11:45 Uhr.