
Italiens Arbeitsmarkt Reformen dringend benötigt
Italien hat mit 10,5 Prozent die dritthöchste Arbeitslosenquote der EU - und das, obwohl es während der Pandemie einen Entlassungsstopp gab, der schätzungsweise 330.000 Arbeitsplätze rettete. Nun ist die Regierung gefordert.
Proteste in Florenz: Drei Männer tragen ein Transparent. "Insorgiamo" steht darauf, "Wir rebellieren". Mehr als 400 Arbeitern hat der britische Autozulieferer GKN gekündigt - per Mail. Einer der Protestierenden erklärt: "Wir fordern in diesem Moment nur, arbeiten zu dürfen. Nichts anderes." Knapp 500 Kilometer südlich, in Neapel, gehen ebenfalls Männer und Frauen auf die Barrikaden. Der amerikanische Konzern Whirlpool schließt sein Werk; es rentiere sich nicht, heißt es zur Begründung. Mehr als 300 Angestellte sind betroffen.
Die Probleme sind seit Jahrzehnten dieselben
Nach einem monatelangen Kündigungsverbot wegen der Corona-Pandemie sind in Italien seit dem 1. Juli Entlassungen wieder möglich. An der generellen Situation im Land habe sich nichts geändert, so der Präsident der nationalen Sozialversicherungsanstalt INPS, Pasquale Tridico. "Italien hat die Probleme von eh und je: einen starken Nord-Süd-Dualismus mit einem Süden, der sehr viel höhere Arbeitslosenzahlen hat als der Norden, die bis zu 20 Prozent erreichen. Auch ist die Beschäftigung der Frauen im Süden sehr niedrig", erklärt er.
Außerdem gebe es in Süditalien einen starken Anteil an Schwarzarbeit, der circa drei bis dreieinhalb Millionen Arbeitnehmer betreffe. Und: "Dazu kommt eine Kluft zwischen Nord und Süd, was die Infrastruktur angeht."
Vor allem die Jungen trifft es hart; während der Pandemie haben gerade sie ihren Job verloren. Bei fast 32 Prozent liegt die Jugendarbeitslosigkeit. Und hat jemand einen Job, ist dieser oft nur befristet oder Teilzeit. Auf der anderen Seite kehren viele ihrer Heimat den Rücken, so Tridico. "Es gibt eine Art 'Mismatching' auf dem italienischen Arbeitsmarkt - vor allem was junge Menschen betrifft. Sie gehen weg, weil sie hier nicht dieselben Chancen bekommen." Ein weiteres Problem: Nur jede zweite Frau in Italien ist erwerbstätig, und während der Pandemie hat sich die Situation verschärft.
Draghi will Reformen auf den Weg bringen
Die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi will nun mit viel Geld aus dem europäischen Recovery Fund den Arbeitsmarkt reformieren und etwa spezielle Jobs für Junge fördern oder in eine bessere Ausbildung an den Universitäten investieren. Hilfen vom Staat gab es vor allem während der Corona-Pandemie - von Zuschüssen über Boni hin zum Kurzarbeitergeld, wobei dieses oft viel zu spät kam. Momentan spiele es keine große Rolle mehr, so Tridico. "Vor allem ist die Kurzarbeit nicht durchgehend. Es sind zeitliche Abschnitte, Monate", sagt er. Gegenüber dem vorigen Jahr sei der Bedarf an Kurzarbeit sehr gering, er liege um nur noch die 20 Prozent. "Letztes Jahr hat es auch Momente mit 67 bis 70 Prozent gegeben."
Alle Hoffnung richtet sich nun auf die Wirtschaft, die schon wieder richtig in Fahrt gekommen ist. Für nächstes Jahr sind die Aussichten gut, die EU-Kommission rechnet mit einem Zuwachs von 4,2 Prozent. Außerdem werden gerade langjährige strukturelle Probleme angegangen, wie etwa eine schleppende Justiz. Und auch die Menschen, die ihre Kündigung erhalten haben, hoffen auf Hilfe von ihrem Land - so wie der Demonstrant in Florenz: "Wenn Italien den Arbeitnehmern nicht mehr beisteht, ist es vorbei."