Ein 100-Dollar-Schein liegt auf Banknoten von argentinischen Pesos.
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Milei gewinnt Argentinien-Wahl Dollars statt Pesos: Warum eigentlich nicht?

Stand: 20.11.2023 19:38 Uhr

Der selbsternannte Anarchokapitalist Javier Milei strebt die Dollarisierung Argentiniens an. Das klingt verrückt - und könnte doch die zweitbeste Lösung für das Land sein.

Eine Analyse von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Der Peso diene nicht einmal zum "Abputzen von Exkrementen": Diese Meinung hat Javier Milei schon im Wahlkampf offensiv vertreten. Der Rechtspopulist strebt die vollständige Dollarisierung Argentiniens an - inklusive Abschaffung der Zentralbank. Nach seinem Sieg bei der Stichwahl um das Präsidentenamt könnte der radikale Plan, die Währung der USA einzuführen, nun womöglich Realität werden. Doch ist das wirklich eine so gute Idee?

Offizielle Inflationsrate bei 143 Prozent

Fakt ist: Die Inflation in Argentinien gehört zu den höchsten der Welt. Erst im Oktober war die Teuerungsrate auf ein Rekordhoch von knapp 143 Prozent gestiegen, ein Jahr zuvor hatte sie noch bei 88 Prozent gelegen. Ein Ende des Aufwärtstrends bei den Verbraucherpreisen ist nicht in Sicht.

Befeuert wird der Anstieg der Teuerungsrate durch die rasante Abwertung des argentinischen Peso: Spätestens seit der fast 18-prozentigen Abwertung durch die Regierung Mitte August befindet sich die heimische Währung zum Dollar im freien Fall. Der offizielle Kurs liegt bei 350 Pesos, die für einen Dollar gezahlt werden müssen, während der Schwarzmarktkurs ("Dollar Blue") zeitweise auf über 1.000 Pesos gestiegen ist. Der Peso-Absturz wiederum erhöht die importierte Inflation - ein Teufelskreis.

Experte: Dollarisierung in Argentinien "leichter als anderswo"

Mit einer Abschaffung des Peso und einer Einführung des Dollar als Ersatz für die nationale Währung würde dieser Kreislauf durchbrochen; die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas hätte eine echte Chance, der Inflation wieder Herr zu werden. Dabei dürfte eine Dollarisierung in Argentinien "leichter sein als anderswo". Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Ulrich Leuchtmann, Devisenexperte der Commerzbank. Er verweist auf die Zentralbankmenge von 7,7 Billionen Pesos und die Dollar-Reserven von 21,5 Milliarden. Die Zentralbank könne so ihre Forderungen zu einem Dollar-Peso-Kurs von etwa 360 bedienen - also nicht weit von aktuellen Kursniveaus.

"Die Dollar-Eröffnungsbilanz der Geschäftsbanken würde somit kaum belastet, und die Bargeldbestände der Unternehmen und Haushalte würden kaum Wertverlust verzeichnen", erklärt Leuchtmann. Selbst der bei einer Dollarisierung übliche und teils heftige finale Inflationsschub entfiele. "Eine Dollarisierung Argentiniens käme einer Währungsumstellung ziemlich nahe (…) und wäre damit weniger disruptiv, als die Dollarisierung in den Lehrbüchern oft dargestellt wird."

Auf Gedeih und Verderb der Fed ausgeliefert

Die üblichen "praktischen" Probleme bei einer Dollarisierung scheinen somit im Falle Argentiniens beherrschbar. Anders sieht es jedoch womöglich bei der Geldpolitik aus. Denn mit dem Dollar kaufen sich die Argentinier nicht nur eine stabilere Währung ein, sondern auch eine Währung, deren Geschicke von einer Zentralbank geleitet werden, die in einem anderen Land sitzt. Mit der Einführung des Dollar und der nur folgerichtigen Abschaffung der eigenen Zentralbank würde sich Argentinien auf Gedeih und Verderb der US-Notenbank ausliefern.

Um es konkret zu machen: Die Fed ist aller Voraussicht nach am Zinsgipfel angelangt. An den Märkten werden bereits erste Zinssenkungen ab Mai eingepreist. Doch ob ein Zinsniveau von aktuell 5,25 bis 5,5 Prozent und baldige Zinssenkungen wirklich das sind, was eine Wirtschaft wie Argentinien derzeit braucht, ist zumindest fraglich. In jedem Fall hätte die Geldpolitik der Fed in Zukunft auch direkte Auswirkungen auf die argentinische Wirtschaft - ohne dass zu erwarten ist, dass sich die US-Währungshüter bei ihren Entscheidungen darum auch nur eine Sekunde scheren werden.

40 Prozent der Argentinier leben in Armut

Ist eine Dollarisierung also wirklich das Mittel der Wahl, um Argentiniens wirtschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen, wie es der selbsternannte Anarchokapitalist Milei suggeriert? In ökonomischen Lehrbüchern finden sich für ein so großes inflationsgebeuteltes Land wie Argentinien ganz andere Empfehlungen: Zinserhöhungen, Zurückfahren der Anleihenkäufe, Verkleinerung der Geldmenge.

Tatsächlich aber leben die Argentinier nicht in solch einer idealen Welt. Stattdessen können sie zuschauen, wie ihre Währung minütlich an Wert verliert. Der Preisanstieg zehrt Löhne und Ersparnisse auf, zwei von fünf Argentiniern führen ein Leben unterhalb der Armutsgrenze.

Gelddruckmaschinen laufen rund um die Uhr

Zwar hat die argentinische Zentralbank die Zinsen stark erhöht - zuletzt im Oktober. Aktuell liegt der Leitzins bei 133 Prozent. Doch Experten zufolge war sie mit ihren Zinsschritten stets zu spät dran. Sie ist somit "hinter die Kurve" geraten, sprich: die Inflationserwartungen sind außer Kontrolle. In einer solchen Situation sind jedoch immer noch höhere Zinserhöhungen erforderlich, um der Inflation wieder Herr zu werden. Die Flucht raus dem Peso und rein in den Dollar ist quasi nicht mehr zu stoppen.

Hinzu kommt: Die massiven Subventionen, die Argentinien seinen Einwohnern seit Jahrzehnten gewährt, haben zu einem massiven Haushaltsdefizit geführt. Um es zu finanzieren, druckt die Zentralbank beständig riesige Mengen frisches Geld. Das aber heizt die Inflation nur noch weiter an.

Zweitbeste Lösung als Alternative für Argentinien?

Keine Frage: Eine ökonomisch sinnvoll selbst gemanagte Währung und eine der Währungsstabilität verpflichtete eigene Zentralbank wären für ein Land der Größe Argentiniens eigentlich die beste Wahl. Doch Argentiniens Institutionen haben diesbezüglich versagt - und das seit Jahrzehnten. Leidtragende ist die argentinische Bevölkerung. Vielleicht es also wirklich an der Zeit, die zweitbeste Lösung in Betracht zu ziehen.