Französischer Brie
reportage

Trockenheit und teure Energie Der Brie trotzt Frankreichs Käsekrise

Stand: 27.08.2023 09:06 Uhr

Frankreich gilt als Käsenation schlechthin. Es gibt Hunderte Sorten, davon 46 mit dem Siegel für die geschützte Herkunft. Doch das nationale Kulturgut steckt in der Krise. Die Hersteller halten dagegen.

Fragt man Pariser, welchen Käse sie am häufigsten essen, ist die Antwort ernüchternd - zumindest aus französischer Sicht. "Mozzarella - der ist auf der Pizza, ein Klassiker im Restaurant. Comté esse ich noch mehr. Brie nicht immer", antwortet der erste. Und der zweite meint: "Mozzarella - als Vorspeise mit Tomaten. Der Brie gehört eher auf eine Käseplatte als Nachtisch. Ich bin zwiegespalten."

Auch die Statistik besagt: Frankreich bevorzugt Mozzarella. Und manches Ranking im Internet führt unter den Käse-Top-Ten der Welt keine französische Sorte mehr.

Käse mit Charakter

In Meaux im hügeligen Marne-Tal, einer 50.000-Einwohner-Stadt 50 Kilometer östlich von Paris, bietet Verkäuferin Lorine selbstbewusst auch Mozzarella an. Im Schaufenster der Fromagerie de Meaux in der Fußgängerzone aber liegt nur lokaler Käse.    

"Hier habe ich den Brie de Meaux fermier - nur aus der Rohmilch eines Bauernhofs, der hat Charakter", schwärmt Lorine. "Hier Brie aus einer Molkerei, der ist milder. Und der Schwarze Brie - den lassen wir ein Jahr in unserem Keller trocknen. Man kann ihn reiben, er ist wie ein Cousin des Parmesans."

Ein französischer Käseladen

In Lorines Käse-Geschäft in Meaux kaufen auch Touristen aus aller Welt gerne ein.

Bis zu acht Wochen Reife

Konkurrenz? Die fürchtet der Präsident der Brie-Bruderschaft, Thierry Bitschené, nicht. Er empfängt im kleinen Brie-Museum neben der gotischen Kathedrale von Meaux. Wie der Brie sei, sagt er im Duett mit seinem Vize Bernard: "Cremig, sahnig, köstlich."

"Zum Abtropfen legte man die Brie-Laiber auf Strohmatten. Was herablief, bekamen die Ferkel. Der Brie reift sechs bis acht Wochen", erklärt Bitschené vor einer nachgebauten Reifekammer. Zu den Geräuschen einer Sommerwiese erfährt man im Museum alles über den Brie: Dass man für jeden 25 Liter Milch braucht, er bis zu drei Kilo wiegt, drei Zentimeter dick ist und im Durchmesser stattliche 37 Zentimeter misst. Wie ein Brie sieht der cremefarbene Hut der Bruderschaft aus.

"Nein, einen echten haben wir nicht auf dem Kopf, aber er wird mit einer Brie-Form als Vorbild genäht", sagt Bitschené. Karl der Große soll den Brie schon im achten Jahrhundert gekostet und gelobt haben. Später wurde der Brie nobles Neujahrsgeschenk am Hof, und hätte Ludwig XVI. nicht noch ein Stück Brie essen wollen, so eine Legende, wäre vielleicht seine Flucht vor der Guillotine geglückt.

Talleyrands diplomatischer Erfolg dank Brie

Der Brie hat auch schon mal Frankreichs Ansehen gerettet. "Auf dem Wiener Kongress 1815 wollte der Diplomat Talleyrand nach den verlorenen Napoleonischen Kriegen Frankreichs Image aufpolieren", erzählt Bitschené. Talleyrand habe die Idee gehabt, ein großes Bankett abzuhalten. "Jedes Land sollte einen Käse mitbringen. Ich glaube, es waren am Ende 60. Und der Brie de Meaux wurde zum König der Käse und Prinz der Desserts erklärt. Darauf sind wir stolz."

Bitschené ist ein gemütlicher, aber agiler Rentner mit silbernem Haar und ein bisschen Bart. Er will das Erbe bewahren. Er zeigt auf ein Foto von 1991. "Das sind unsere Gründungsmitglieder: Käsehersteller, Veredler, Restaurantbesitzer, Abgeordnete, Leute aus Kultur und Tourismus", sagt er. "Damals sprach man viel über die USA, die den Rohmilchkäse verbieten wollten. Da haben wir die Bruderschaft gegründet, auch um gegen die Großkonzerne zu kämpfen."

"Wir wollen keinen pasteurisierten Käse"

Schon seien einige AOP-Käse - AOP steht für "Appelation d'Origine Protégée", übersetzt in etwa "geschützte Herkunftsbezeichnung" - nicht mehr aus Rohmilch. "Bei uns gibt es da ein Veto. Wir wollen keinen pasteurisierten Käse." Die einzige direkt in Meaux arbeitende Käserei mietet ihre Räume aber schon vom Milchmulti Lactalis. Nicht Bitschenés einzige Sorge.

Er zeigt auf eine Landkarte: "Hier ist das Gebiet Seine-et-Marne. Wir haben nur noch 50 Milch-Produzenten. Deshalb wurde 1980 das Gebiet erweitert, in dem Milch für den Brie mit geschützter Herkunft gesammelt werden darf. Das Gras ist ja überall gleich." Immerhin bringt Milch für AOP-Käse höhere Preise.

Schon in der Blütezeit im 19. Jahrhundert hieß es in der Region: Der Käse bezahlt den Hof. Während der Pandemie aber mussten die Bauern Milch wegschütten. Die Märkte waren zu. Im vergangenen Jahr war es trocken. Die Folge: weniger Milch, weniger Käse und wegen der Hitze weniger Konsum. Nun sind die Energiekosten explodiert.

"Kein einfaches Jahr für die Käsehersteller. Wir haben nur noch acht, die 7.500 Tonnen Brie im Jahr produzieren", sagt Bitschené. "Vorletzte Saison haben wir noch um neun Prozent zugelegt, letztes Jahr um zwei, und dieses Jahr wird es wohl ein Nullwachstum. Kompliziert mit der Krise."

Original französische Brie-Etiketten

Echter Brie aus Meaux trägt das AOP-Siegel für die geschützte Herkunftsbezeichnung - so wie insgesamt 46 französische Käsesorten.

Hadern mit den EU-Auflagen

Auch EU-Auflagen und Käseersatz sind dem Brie-Präsidenten ein Dorn im Auge. "Den mögen wir nicht. Hätte man mal allen richtige Milch gegeben, wären Allergien und Intoleranzen bestimmt nicht so verbreitet", sagt Bitschené. "Und mit dem Methan reicht es auch mal. Frankreich und Deutschland respektieren doch die Umwelt recht gut. Wenn jetzt weniger Kühe gehalten werden sollen - das nervt."

Früher war Bitschené für Kommunikation in einem Großkonzern zuständig. Er ist zuversichtlich: Der Brie werde in seiner Marktnische, zehn Mal kleiner als die des Comté, trotz allem bestehen - dank seiner Qualität. "Wir entwickeln uns, gehen mit der Mode", sagt er. Früher hätten sie für Ostern oder Weihnachten Brie mit Trüffeln hergestellt, den gebe es jetzt das ganze Jahr. "Und wir machen einen mit unserem traditionellen Senf. Auf Messen, Märkten und Festivals kommen immer mehr junge Leute und bekommen glänzende Augen, wenn sie ein Stück Rohmilch-Brie kosten." 

"Frankreich - das heißt Gastronomie"

Sorgsam hat Verkäuferin Lorine inzwischen von ihren sechs Brie-Sorten je einen Streifen eingewickelt. 9,21 Euro: ein Schnäppchen für so viel AOP-Käse. Sie ist sicher: "Frankreich - das heißt Gastronomie. Ich denke, auch alle Ausländer werden weiter unsere Sorten kosten, nicht nur Deutsche. Heute hatte ich Niederländer hier. Andere Kunden schicken unseren Brie bis Kanada oder Brasilien."

Bald soll die große Markthalle in Meaux - früher Drehscheibe des Brie-Handels - renoviert werden. Und im Oktober feiert die Bruderschaft zukunftsgewiss ihren Geburtstag - mit Käsewettbewerb und einem 100 Meter langen Brie. Das Motto: "Brie Happy!"

Stefanie Markert, ARD Paris, zzt. Meaux, tagesschau, 21.08.2023 14:48 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR 5 Neugier genügt am 22. August 2023 um 10:04 Uhr.