Ein Heizkörper in einer Wohnung
FAQ

Öl- und Gasversorgung Neue Regeln für die Energiesicherheit

Stand: 13.05.2022 08:21 Uhr

Mit dem veränderten Gesetz zur Energiesicherung soll Deutschland besser gewappnet sein für den Fall eines russischen Gaslieferstopps. Es sieht notfalls Enteignungen vor. Auch für Verbraucher gibt es Neuerungen. Was ändert sich konkret?

Von Notker Blechner, tagesschau.de

Der Bundestag hat die Novelle des Energiesicherungsgesetzes verabschiedet. Wenn außerdem der Bundestag zugestimmt hat, soll die Reform im Juni in Kraft treten. Damit will die Bundesregierung sicherstellen, dass es trotz der massiven Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht zu Verwerfungen auf dem deutschen Energiemarkt kommt. Was sind die wichtigsten Neuerungen? Antworten auf einige Fragen.

Was ist das Energiesicherungsgesetz?

Das Energiesicherungsgesetz datiert aus dem Jahr 1975. Damals diente es dazu, die Folgen des Ölpreis-Schocks abzufedern. Das Gesetz ermächtigte die Regierung, bei einer Gefährdung der Energieversorgung Gegenmaßnahmen im Bereich von Energieproduktion, -transport und -verteilung zu ergreifen. Sogar Tempolimits auf Autobahnen und Fahrverbote zählten dazu. So gab es an vier Tagen ein Sonntagsfahrverbot. Zudem wurde zeitweise eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Kilometern auf Autobahnen und 80 Kilometern auf Landstraßen verordnet.

Warum ist eine Novelle nötig?

Als das Gesetz 1975 in Kraft trat, gab es noch die Sowjetunion und kein Internet. Deshalb soll das seither kaum veränderte Gesetz nun an die aktuelle Energiekrise angepasst werden. Wie nötig das ist, zeigt der Fall von Gazprom Germania. Nur wegen eines zufällig entdeckten Formfehlers konnte die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Gas-Monopolisten unter die Treuhand der Bundesnetzagentur gestellt werden. Das neue Gesetz soll eine solche Maßnahme künftig offiziell ermöglichen. Manche sprechen daher von einer "Lex Gazprom".

Ein ähnlicher Fall ist die PCK-Raffinerie in Schwedt, die vom russischen Staatskonzern Rosneft kontrolliert wird. Mit der Novelle des Energiesicherungsgesetzes will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Grundlage schaffen, die Raffinerie in Schwedt unter staatliche Treuhandverwaltung zu stellen. Insofern ist die Novelle auch schon als "Lex Rosneft" bezeichnet worden.

Was ist die wichtigste Änderung?

Deutschland kann künftig ein Unternehmen der kritischen Energieinfrastruktur unter staatliche Treuhänderschaft stellen, wenn die Versorgung gefährdet ist. Notfalls ist sogar eine Enteignung möglich. Die treuhänderische Verwaltung könnte vom Bundeswirtschaftsministerium angeordnet werden, wenn die Gefahr besteht, dass ein Unternehmen seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Bereich der Energie dienenden Aufgaben nicht erfüllen wird und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht, heißt es in der Gesetzesvorlage. Das Ministerium würde dann eine solche Anordnung für sechs Monate treffen. Sie könnte später um weitere sechs Monate verlängert werden.

Wenn eine Treuhand-Verwaltung nicht ausreicht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, gäbe es die Enteignung als letztes Mittel. Es könne nicht sein, dass jemand, der eine kritische Infrastruktur für die Energieversorgung besitze, diese gefährde, so der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Oliver Krischer von den Grünen.

Als erstes könnte die PCK-Raffinerie in Schwedt, die dem russischen Rosneft-Konzern gehört, unter staatliche Treuhandverwaltung kommen. Das Geschäftsmodell von Rosneft sei es, russisches Öl zu kaufen, so Bundeswirtschaftsminister Habeck. Wenn man dieses Öl nicht mehr haben wolle, brauche man für Schwedt eine Alternative. Eine solche Alternative könnte es sein, die Raffinerie unter staatliche Aufsicht zu stellen - wie Gazprom Germania.

Welche Regeln gelten für Gashandel, Preise und Speicher?

Um für ein mögliches Gasembargo oder einen Lieferstopp gerüstet zu sein, sieht das novellierte Gesetz die Einrichtung einer digitalen Gasplattform vor. Auf dieser sollen sich große Industriefirmen und Gashändler registrieren. Auf Grundlage ihrer Daten soll dann im Ernstfall entschieden werden, wo Gas eingespart werden kann und wo Abschaltungen erfolgen müssen. Die entsprechende Gassicherungsverordnung muss dafür geändert werden.

Eine weitere Änderung ist die Preisanpassungsnorm. Damit es im Falle eines Gasmangels nicht zu Schieflagen und Pleiten von Anbietern kommt, sollen sofortige Preiserhöhungen über die gesamte Lieferkette bis zum Endkunden möglich sein. Damit soll eine Kaskade in der Energiewirtschaft verhindert werden.

Änderungen sind auch im Energiewirtschaftsgesetz geplant. So soll in Zukunft eine geplante Stilllegung von Gasspeichern bei der Bundesnetzagentur gemeldet und von ihr genehmigt werden müssen. Damit könne verhindert werden, dass ohne das Wissen der Bundesregierung Gasspeicher stillgelegt werden, heißt es im Gesetzesentwurf.

Was bringt das Gesetz den Verbrauchern?

Energieanbieter können künftig nicht mehr so einfach ihre Verträge kündigen. Die Bundesnetzagentur muss die Vertragskündigungen der Anbieter genehmigen. Zudem soll im Fall einer Pleite von Energieanbietern der Insolvenzverwalter verpflichtet werden, Energieverträge weiter zu erfüllen. Insofern erhöht sich für die Kunden die Versorgungssicherheit. Andererseits ist die Preisanpassungsnorm mit jederzeit möglichen Preiserhöhungen bei akutem Gasmangel eine schlechte Nachricht für Verbraucher.

Welche Kritik gibt es am Gesetz?

Die Wirtschaft sieht die Enteignungspläne kritisch. Eingriffe in privates Eigentum sollten nur im absoluten Notfall erfolgen, wenn kein milderes Mittel mehr zur Verfügung stehe, heißt es vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Eine Kontrolle durch den Bundestag sei daher wünschenswert. Der Verband deutscher Energiehändler hält die Vorschriften zur Treuhandverwaltung und Enteignung ebenfalls für zu weitgehend. Vor einem solchen Schritt sollten zumindest Energieversorgern mit mehrheitlich deutschen Anteilseignern Finanzhilfen ermöglicht werden.

Auch die Preisanpassungsregeln kritisiert der Interessenverband der Energiehändler scharf. Wegen der individuellen Gestaltung und der Vielzahl von Handelsverträgen könne ein Eingriff in die Privatautonomie zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen. Der Verband rechnet mit einer Welle von Vertragskündigungen, finanziellen Schieflagen und Insolvenzen.

Regelt das Gesetz, wer notfalls noch Gas erhält?

So weit geht das Gesetz nicht. Wo das Gas notfalls rationiert wird, regelt der dreistufige Gas-Notfallplan. Dieser sieht eine Priorisierung vor. Demnach werden Privathaushalte bevorzugt behandelt. Das heißt: Zuerst muss bei einer Gas-Krise die Industrie Anlagen abschalten, erst als letztes wären die Privathaushalte an der Reihe. Welche Betriebe Vorrang haben, entscheidet die Bundesnetzagentur.

Das Wirtschaftsministerium will bei Engpässen möglicherweise mit zusätzlichen Verordnungen in das private Heizverhalten eingreifen. Es gebe "keinen Anspruch" auf eine Raumtemperatur von 25 Grad, sagte jüngst der Staatssekretär Patrick Graichen. Kontrollieren ließen sich solche Einschränkungen aber wohl kaum.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. April 2022 um 12:10 Uhr.