In den kommenden Monaten werden viele Firmeninsolvenzen in Deutschland befürchtet.

Überschuldete Unternehmen Droht jetzt eine Pleitewelle?

Stand: 29.12.2020 16:36 Uhr

Ab Januar gilt für viele Unternehmen, die wegen der Corona-Pandemie überschuldet sind, wieder die zuletzt ausgesetzte Insolvenzantrag-Pflicht. Ist nun mit einer Pleitewelle zu rechnen?

"Verluste und Insolvenzen werden im Januar so reichlich rieseln wie die trockenen Nadeln vom Weihnachtsbaum", warnte kürzlich der Berliner Spitzenkoch Tim Raue. Auch Branchenverbände befürchten im kommenden Jahr eine Pleitewelle in Deutschland.

Verschleppte Insolvenzwelle

"Die deutsche Wirtschaft schiebt seit Monaten eine Welle von Insolvenzen vor sich her", konstatiert der Vorsitzende der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Thomas Langen.

"Erst wenn ab Januar sowohl überschuldete als auch zahlungsunfähige Unternehmen wieder einen Insolvenzantrag stellen müssen, werden wir erkennen, wie groß dieser Anstieg ist und welche wirtschaftlichen Verwerfungen die Corona-Pandemie tatsächlich angerichtet hat", meint Langen.

Der Gesetzgeber hatte die Insolvenzantragspflicht für Firmen ausgesetzt, deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der Covid-19-Pandemie beruht. Diese seit März geltende Sonderregelung lief Ende September für die Fälle von Zahlungsunfähigkeit aus und endet am 31. Dezember nun auch für die Firmen mit Überschuldung.

In Ausnahmefällen Verlängerung bis Ende Januar 2021

Firmen, die im Zeitraum vom 1.November 2020 bis 31.Dezember 2020 einen Antrag auf die staatlichen November- und Dezemberhilfen gestellt haben oder dazu berechtigt gewesen wären, den Antrag aber nicht gestellt haben, können sogar bis zum 31. Januar warten, bis sie Insolvenz anmelden müssen.

Ursprünglich sollte diese Regelung bereits Ende September enden, wurde jedoch bis Jahresende verlängert. Hintergrund dieser Entscheidung war der Gedanke, dass Unternehmen, die lediglich überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind, mehr Zeit bekommen, um Sanierungs- und Refinanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Denn bei diesen Unternehmen bestehe die Aussicht auf eine dauerhafte Sanierung, wodurch Arbeitsplätze erhalten und bestehende Strukturen bewahrt werden können, so die Hoffnung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).

"Unsicherheit wächst täglich"

Mittlerweile richte die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht aber mehr Schaden an als sie nutze, denn die Unsicherheit im Markt wachse täglich, so GDV-Experte Langen. "Jeder Lieferant muss sich fragen, ob sein Geschäftspartner tatsächlich noch solvent und stabil ist - oder doch längst insolvent, aber noch keinen Antrag stellen musste." Das verstelle den Blick auf die eigentliche Lage. "Es ist klar, dass die Welle bald brechen wird", so Langen. 

Auch die Experten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform warnen. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung, stellt fest: "Im laufenden Jahr hat sich das Insolvenzgeschehen als Seismograph für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vom wirklichen Zustand der deutschen Unternehmen entkoppelt."

Künstlich am Leben gehaltene Unternehmen

Problematisch ist laut Hantzsch auch, dass durch die Staatshilfen sehr viele Unternehmen am Markt blieben, die unabhängig von der Corona-Krise eigentlich nicht mehr überlebensfähig seien. Längst warnen viele Volkswirte vor "Zombie-Firmen", die nur künstlich am Leben gehalten werden. Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft( IW) aus dem September könnte es bis Jahresende 4300 Zombieunternehmen geben.

"Einige der staatlichen Hilfsmaßnahmen haben leider unerwünschte Nebenwirkungen", sagt auch Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. "Sie begünstigen, dass auch Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden, die kein überzeugendes Geschäftsmodell haben."

Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank, hatte schon im August geschrieben, dass es nach Ablauf des Insolvenzmoratoriums zu einem Dominoeffekt kommen könne, bei dem auch gesunde Unternehmen durch die Häufung von Zahlungsausfällen in die Knie gezwungen werden.

Mehr Pleiten in kommenden Jahr

Creditreform geht für das laufende Jahr von 16.300 Firmenpleiten aus, also 13,4 Prozent weniger als 2019. Es wäre der niedrigste Stand seit 1993. Allerdings ist die Zahl wegen der Sonderregelung im Insolvenzrecht nicht so aussagekräftig, wie sie sein sollte. Schon 2020 entfiel laut Creditreform mehr als die Hälfte aller registrierten Insolvenzfälle (58,1 Prozent) auf das besonders betroffene Dienstleistungsgewerbe.

Aber wie wird die Lage im kommenden Jahr aussehen? Insbesondere bei kleineren Unternehmen rechnet die Auskunftei 2021 mit einer steigenden Zahl an Pleiten. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung", hatte Creditreform-Hauptgeschäftsführer Volker Ulbricht Vorstellungen über die Größenordnung vermittelt.

Bis zu 24.000 Verfahren mehr

Ulbricht spricht dort von bis zu 24.000 oder mehr Verfahren: "Ich rechne damit, dass die Insolvenzwelle im ersten Quartal 2021 ihren Höhepunkt erreichen und sich auch dann erst zeigen wird, wie sich der zweite Lockdown zusätzlich auswirkt". Die Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) erwartet, dass die Zahl der Insolvenzen von derzeit circa 4500 pro Quartal ab nächstem Jahr auf dann 6000 bis 7000 pro Vierteljahr in die Höhe schnellt.

GDV-Experte Langen traut sich dagegen keine genaue Prognose für 2021 zu: Insgesamt seien die wirtschaftlichen Risiken für die Kreditversicherer so schwer einzuschätzen wie schon lange nicht mehr.

Steigende Risiken für die Banken

Steigende Zahlen von Unternehmenspleiten werden insbesondere auch die Banken zu spüren bekommen. Unlängst warnte die Europäische Bankenaufsicht EBA vor steigenden Risiken in Bankbilanzen als Folge der Corona-Krise. Im zweiten Quartal 2020 sei das Volumen ausfallgefährdeter Darlehen nach jahrelangen Rückgängen erstmals wieder leicht gestiegen, teilte die Behörde anhand einer Untersuchung von 135 Banken mit.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 2. Dezember 2020 um 06:49 Uhr.