Soloselbständige demonstrieren vor dem Wirschaftsministerium (Mai 2020)

Corona-Krise Millionen Freiberuflern droht Überschuldung

Stand: 10.11.2020 11:39 Uhr

Für zwei Millionen Solo-Selbstständige, Kleinunternehmer und Freiberufler wird es gerade finanziell sehr eng. Experten erwarten, dass viele ihre Schulden schon bald nicht mehr zurückzahlen können.

Von Nicole Kohnert, WDR

Schulden machen will Christophe Colbeau nicht, das ist das letzte Mittel. "Mein Geld, um den Lebensunterhalt zu sichern, ist jetzt am Ende, mein Erspartes nähert sich dem Ende und wenn ich jetzt so weitermachen würde, muss ich meine Altersversorge angreifen, Bausparverträge auflösen, Rentenfonds", sagt der Veranstaltungstechniker aus dem nordrhein-westfälischen Titz. "Soweit kann es nicht kommen. Ich habe Kinder, ich habe Verantwortung." Seit Anfang der Pandemie im Frühjahr verdient der gelernte Meister kein Geld mehr. Sechs Monate Hartz IV hat er bereits bezogen - und musste es mit dem Ersparten noch aufstocken, um seine Fixkosten zu bedienen.

Mehr als sieben Millionen Kurzarbeiter

Schätzungsweise zwei Millionen Freiberufler und Solo-Selbständige stehen am Rande einer Überschuldung, heißt es im aktuellen Schuldner-Atlas Deutschland 2020, eine Analyse der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Das bedeutet: Sie werden ihre Schulden aus eigener Kraft nicht mehr zurückzahlen können. Zwar hat die Überschuldung der Verbraucher trotz Corona-Pandemie mit zehn Prozent leicht abgenommen: 6,85 Millionen Bürger sind überschuldet - 69.000 Personen weniger als im Vorjahr. Dennoch sei die Lage besorgniserregend. Denn rund 700.000 Menschen haben zwischenzeitlich den Job verloren, bis zu 7,3 Millionen Menschen waren oder sind in Kurzarbeit.

"Die Solo-Selbstständigen, die Kleinunternehmer und kleinen Unternehmen haben es besonders schwer. Die ganze Wirtschaft wird durch die Corona-Pandemie getroffen - und gerade sie haben es besonders schwer, durch die Lockdown-Maßnahmen weiterhin ihren Tätigkeiten nachzugehen", sagt Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. "Das heißt, versetzt und trotz staatlicher Hilfen werden wir sehen, dass diese im kommenden Jahr mehr verschuldet sind. Und das wird sich dann auch in Privatinsolvenzen äußern."

Über 50-Jährige häufiger überschuldet

Auch die steigende Alters-Überschuldung bereitet den Autoren der Studie Sorge: Die Zahl überschuldeter Verbraucher über 50 Jahre hat im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. "Es gibt eine Spreizung zwischen Jung und Alt", sagt Hantzsch. "Die Jüngeren sind weniger verschuldet, im Schnitt mit 7000 Euro, während die Alten mit 43.600 Euro in der Kreide stehen - und dieser Trend setzt sich fort."

Grund dafür sei, dass ältere Verbraucher ein höheres Einkommen hätten und damit auch gewohnt seien, mehr zu konsumieren. Allerdings kämen diese Schuldner schlechter aus der so genannten Verschuldungsspirale heraus, denn sie hätten nur noch wenige Berufsjahre vor sich, um mit ihrem Einkommen alles abzubezahlen.

Im Westen mehr Verschuldete als im Osten

Bundesweit gibt es klare Unterschiede, stellen die Autoren der Studie fest. "Wir haben bei der Verschuldungs-Problematik ein Ost-West-Gefälle zugunsten des Ostens. Wir haben im Westen mehr Verschuldete", sagt Creditreform-Experte Hantzsch. "Das liegt an Ballungszentren wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet." Wegen der Strukturwandels seien viele Menschen dort auf Hilfen angewiesen.

Auch Ralf Berg von der Schuldnerberatung NRW in Leverkusen hat seit Frühjahr, seit Anfang der Pandemie, mehr Arbeit. Viele Mittelständler und Solo-Selbständige kämen in seine Beratung und schilderten ihm eine katastrophale Situation. "Die halten noch ein paar Wochen durch, dann ist Feierabend", sagt Berg. "Wenn nicht ein paar neue Programme aufgelegt werden, die nicht auch wieder zurückbezahlt werden müssen, dann sehe ich für Januar ein Riesen-Problem auf Deutschland zukommen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 10. November 2020 um 17:00 Uhr.