Ein Glas mit Bier steht am Tresen in einer Gaststätte.
Mittendrin

Krise in der Gastronomie Rettung für die Stammkneipe

Stand: 19.03.2024 08:33 Uhr

Das "Christian's", eine Kneipe im Städtchen Herdorf im Westerwald, stand kurz dem Aus. Aber eine Gruppe von Menschen aus dem Ort hat ihre Kneipe gerettet - und hält sie als Genossenschaft am Laufen.

Wie beliebt eine Kneipe ist, lässt sich auch an der Uhr ablesen. Um kurz nach 17 Uhr am Freitagabend sind schon die ersten Stammgäste im "Christian's". Die Gaststätte ist einer der letzten Treffpunkte im Städtchen Herdorf im Westerwald: Eichenholz und Gardinen, Rockklassiker aus dem Radio, der Zapfhahn geht langsam in den Dauerbetrieb über. Das "Christian's" ist aber alles andere als eine gewöhnliche Dorfkaschemme. Das liegt an den Menschen hier im Ort - vor allem an 14 "Genossen".

#mittendrin in Herdorf rettet eine Genossenschaft die älteste und einzige Kneipe

Christian Kretschmer, SWR, tagesthemen, 18.03.2024 22:15 Uhr

Mit einer "Schnapsidee" zum Erfolg

Vor fünf Jahren stand das "Christian's" kurz vor dem Aus, als das Gebäude verkauft werden sollte. Elf Einwohnerinnen und Einwohner von Herdorf schlossen sich kurzerhand zusammen, um die Kneipe zu erhalten. Aus der "Schnapsidee", eine Genossenschaft dafür zu gründen, sei dann schnell ernst geworden, erzählt Johanna Bohl. Mit Mitte 20 ist sie die jüngste der inzwischen vierzehn Genossinnen und Genossen, die das "Christian's" betreiben.

Für mindestens 1.000 Euro hat jeder einen gewissen Anteil der Kneipe erworben, um sie zu retten. "Wir wollten einfach nicht bei irgendjemandem im Garten sitzen müssen, weil es sonst nichts mehr gibt", sagt Genosse Andree Schneider.

Johanna Bohl sitzt mit anderen am Tisch in der Gaststätte.

Zusammen mit 14 Mitstreitern hat Johanna Bohl (3. v. l.) das "Christian's" vor der Schließung bewahrt.

Einst viele Kneipen im Ort wegen der Bergbautradition

Ohne die Genossenschaft wäre es Herdorf so ergangen wie vielen anderen Ortschaften auf dem Land: Kneipensterben - ein Wort, das hier jeder kennt. Vor ein paar Jahrzehnten habe es mehr als 30 Kneipen im 7.000-Einwohner-Ort Herdorf gegeben, berichten die Menschen im "Christian's".

Die ursprünglich mal ausgeprägte Kneipenkultur: eine Begleiterscheinung der Bergbautradition in der Region. Doch der Strukturwandel hat auch vor den Gaststätten nicht Halt gemacht. Mittlerweile gebe es nicht einmal mehr eine Handvoll Kneipen, erzählt Johanna Bohl. Die Älteste: das "Christian's".

Kneipe überlebt auch dank vieler Veranstaltungen

Aus dem Betrieb zieht keiner von ihnen Gewinn, wie die Genossin betont, aber immerhin: Die Kneipe lebt, vor allem auch dank der vielen Veranstaltungen, die im "Christian's" stattfinden.

"Ohne Events wird es finanziell eng. Mit dem normalen Kneipenbetrieb haben wir kämpfen müssen, vor allem nach Corona lag ja alles flach", erzählt Peter Bohl, Johannas Vater, ebenfalls Mitglied der Genossenschaft. "Im vergangenen Oktober ging es wieder los: Wandertage, Oktoberfest, Schlachtfest. Und jetzt läuft es richtig gut." Von den Einnahmen wird etwa der Kredit für die Immobilie abbezahlt.

Die Kneipe: ein echtes Gemeinschaftsprojekt. Nicht immer leicht bei 14 Eigentümerinnen und Eigentümern. "Auch bei zwei Leuten, in einer Ehe, gibt es ja schon Streit", sagt Thomas Otterbach. "Aber wir kriegen das immer hin und entscheiden demokratisch." Außer den Genossen halten zwei Aushilfen auf Minijob-Basis den Betrieb am Laufen. Trotzdem packt auch jeder Genosse mit an und opfert einen Teil seiner Freizeit. Johanna Bohl, eigentlich Junior-Chefin in einem Handwerksbetrieb, erstellt den Schichtplan für die Aushilfen; andere kümmern sich wiederum um Getränkelieferungen, Buchhaltung, anfallende Reparaturen.

Gaststättenschild Christians Quelle

Einst gab es in Herdorf mehr als 30 Gaststätten. Das "Christian's" ist die älteste von ihnen.

Vereine nutzen Kneipe für Versammlungen

Vom Engagement der Genossenschaft profitiert der Ort - vor allem auch die ansässigen Vereine. Gegen 18 Uhr ist der Saal, ein großer Nebenraum im "Christian's", gut gefüllt: Der örtliche Fußballverein hält seine Jahreshauptversammlung ab. Es geht um den Nachwuchs, um die Kasse, um das gesamte Vereinsleben.

Orte, um all das zu diskutieren, gibt es in Herdorf immer weniger. "Jeder Verein braucht doch ein Vereinslokal", sagt Uwe Stock, Vorsitzender der Sportfreunde Herdorf. "Wir sind als Verein ja auch eine Interessengemeinschaft. Und die verschiedenen Interessen muss man irgendwo besprechen können. Das geht eben am besten in einer Kneipe." Am Ende profitieren so beide: Verein und Gaststätte. 

Im "Christian's" kommen die Herdorferinnen und Herdorfer aber auch spontan zusammen, nicht zuletzt, weil die Alternativen schwinden. "Wir haben in den letzten Jahren viele Treffpunkte verloren", sagt Matteo Probst, mit 20 Jahren einer der Jüngeren an diesem Abend. "Ansonsten müsste man zum Beispiel nach Siegen, um abends wegzugehen. Aber da kommt man dann auch schwer wieder zurück."

Kneipensterben kein Naturgesetz

Nicht zuletzt die jungen Menschen in Herdorf sind also auf das "Christian's" angewiesen. Auch, wenn das keine hippe Bar ist: Die Kneipe punktet mit Gelassenheit und Offenheit. "Hier kann man sich zu jedem an den Tisch setzen", sagt Probst. "Auch zu den Siebzigjährigen."

Gegen 21 Uhr ist dann jeder Tisch im "Christian's" besetzt. Und es wirkt, als sei ein Querschnitt des Ortes eingekehrt: junge wie alte Gäste, Männer und Frauen, Sportler und Thekensportler. Aushilfe Fabienne Lorenz wirbelt zwischen Tresen und Tischen hin und her. Sechs Jahre lang habe sie in einer anderen Gaststätte gearbeitet, erzählt sie beim flinken Spülen der Pilsgläser. Nun für die Genossenschaft zu arbeiten, das sei schon etwas Besonderes, sagt sie. "Ich würde die gar nicht als Vorgesetzte sehen. Das ist eine Familie."

Das Kneipensterben ist also kein Naturgesetz, merkt man an so einem Abend im "Christian's". Es braucht nur genügend Menschen, die ihre Kneipe unbedingt am Leben halten wollen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 18. März 2024 um 22:15 Uhr.