Blick in den Hochofen A
reportage

Zukunft des Stahlwerks Salzgitter Hochofen auf seiner letzten Reise

Stand: 01.11.2023 08:15 Uhr

Bei der Stahlherstellung wird enorm viel CO2 ausgestoßen - noch. Die Umstellung auf "grünen" Wasserstoff kostet Milliarden. Um das zu finanzieren, investiert der Salzgitter-Konzern noch in alte Anlagen.

Ingenieurin Tatjana Mirkovic rückt noch einmal den weißen Helm und die Schutzbrille zurecht. Dann kniet sich die 51-Jährige auf ein schmales Brett und wird über ein Rollband langsam durch die Luke geschoben - mittenrein in den Hochofen A. Normalerweise herrschen hier, in dem riesigen Kessel des Stahlwerks von Salzgitter, Temperaturen um die 1.500 Grad, erzeugt mit Hilfe von Koks und Kohlenstaub. Aber jetzt ist der Ofen für 100 Tage nicht in Betrieb, er wird generalüberholt, "neu zugestellt", wie sie in der Stahlbranche sagen.

Es sind denkwürdige 100 Tage für das niedersächsische Unternehmen. Denn der alte Hochofen wird für seine letzte "Ofenreise" fit gemacht, er soll noch einmal zehn Jahre laufen. Und Mirkovic und ihre Leute werden diese Reise begleiten. Jeden Tag werden eine Million Euro verbaut. "Neuzustellung heißt: Im Hochofen werden mehr als 3.000 Tonnen feuerfestes Material eingebaut", erklärt Mirkovic. "Das sind riesige Dimensionen". Riesig ist auch die Menge, die der Hochofen im Normalbetrieb ausspuckt: knapp 6.000 Tonnen Roheisen - pro Tag.

Stahlhersteller gehören zu größten CO2-Emittenten

Warum es damit in zehn Jahren trotzdem vorbei sein soll, erklärt Konzernchef Gunnar Groebler im Besucherzentrum des Stahlwerks vor einem schneeweißen Modell. Kleine Windräder drehen sich, Türme in unterschiedlicher Höhe reihen sich aneinander, in grüner Leuchtschrift werden verschiedene Emissionswerte angezeigt. Sie sind der Grund, warum Hochofen A bald Geschichte ist und warum es mitten auf dem Konzerngelände seit kurzem eine riesige Baustelle gibt.

Blick auf eine große Baustelle

Investitionen in Milliardenhöhe - die Produktion soll nahezu komplett auf "grünen" Wasserstoff umgestellt werden.

Stahlhersteller gehören zu den größten CO2-Emittenten überhaupt. Allein der Salzgitter-Konzern ist für ein Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands verantwortlich. Groeblers Job ist es, das zu ändern. Er will den Konzern fit machen für die Produktion von "grünem“ Stahl", wie die klimafreundlichere Variante genannt wird. "Wir müssen uns stufenweise verändern und die bestehende Technologie muss das Geld verdienen, um den Wandel möglich zu machen." Es ist wie in der Autoindustrie, wo die Verbrenner noch das Geld bringen müssen, um den Wechsel zur Elektromobilität zu finanzieren.

Größte Investition in der Konzerngeschichte

Um in Zukunft klimafreundlichen Stahl produzieren zu können, wagt der Konzern die größte Investition in seiner Geschichte: ein mittlerer einstelliger Milliardenbetrag wird in das Projekt "Salcos" fließen. Bund und Land haben bereits eine Milliarde Euro an Fördermitteln genehmigt, der Konzern selbst legt allein für die erste Ausbaustufe etwa dieselbe Summe noch einmal drauf. Das Ziel: Die CO2-Emissionen in der Stahlproduktion um ganze 95 Prozent zu reduzieren. Mit Hilfe von Wasserstoff und Erneuerbaren Energien - statt Kohle und Koks wie bisher.

Damit der Stahl am Ende tatsächlich "grün" ist, wird der Konzern riesige Mengen Wasserstoff brauchen, die mithilfe von Strom aus Sonne und Wind erzeugt werden. In der Übergangsphase soll noch Erdgas eingesetzt werden, aber 2033 sind es dann ganze 300.000 Tonnen Wasserstoff, die der Konzern jährlich braucht. Und den es dann im Gegensatz zu jetzt auch geben soll, so die Hoffnung.

Gunnar Groebler

Salzgitter-Konzernchef Gunnar Groebler hat schon erste Kunden für klimafreundlich produzierten Stahl.

"Es stimmt, Grüner Wasserstoff ist eine Herausforderung", räumt Konzernchef Groebler ein. "Einen kleinen Teil werden wir selbst produzieren und den Rest am Markt beschaffen, so wie wir auch heute Energieträger kaufen. Diesen Markt gibt es zwar noch nicht, aber wir sind mit verschiedenen Playern im Gespräch." Als Kunde sei man interessant, weil die Abnahmemenge riesig sei. Ein weiterer Vorteil: Salzgitter werde Teil eines Wasserstoff-Startnetzes und damit gut an Küstenregionen angebunden sein, wo in Zukunft Wasserstoff ankommen soll.

Wird es genug Wasserstoff geben?

In Groeblers weißem Miniatur-Modell funktioniert der neue Weg. Und in der Realität? "Die Frage ist nicht, ob dies eine interessante Option für die deutsche Stahlindustrie ist", sagt Nicole Voigt, Stahlexpertin bei der Unternehmensberatung BCG. "Es ist die einzige Option." Die gesamte europäische Stahlindustrie müsse "grün" werden, also möglichst schnell CO2-frei produzieren.

Auch Thyssenkrupp hat diesen Weg daher schon eingeschlagen. Und doch bleibt die wichtigste Frage, ob es ausreichend Wasserstoff geben wird, der umweltfreundlich hergestellt wurde. "Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist entscheidend", erklärt Voigt. "Wenn es hier zu Verzögerungen kommt, wird die Stahlindustrie im harten Wettbewerb mit anderen Industrien stehen, die ebenfalls Grünen Wasserstoff benötigen."

Gut für die Stahlbranche ist aber: Die Nachfrage nach "grünem" Stahl ist groß, Auto- und Haushaltsgerätehersteller stünden schon jetzt Schlange und seien auch bereit, mehr zu zahlen, so Groebler. Und er bestätigt, dass die erste Charge klimafreundlichen Stahls, die 2026 in Salzgitter produziert werden soll, schon jetzt verkauft ist.

Der Zeitplan ist straff, der Druck groß

In 41 Metern Höhe, auf einer Plattform außerhalb des Hochofens A, blickt Ingenieurin Mirkovic auf die ersten Spuren dieser neuen Stahlwelt. Nur einen Steinwurf entfernt wühlen sich Bagger und riesige Bohrer durch aufgeweichte Erde - das Fundament für den neuen Elektroofen wird vorbereitet.

Der Zeitplan ist straff, der Druck ist groß: Weltweit gibt es bisher kein Vorbild für ein Stahlwerk, das im laufenden Betrieb in Richtung Klimaschutz umgerüstet wird. Damit das Milliardenprojekt tatsächlich umgesetzt werden kann, ist die Arbeit von Mirkovic entscheidend: Der Hochofen verdient das Geld, mit dem der Wandel finanziert wird. Deshalb müssen sie sich bei Salzgitter sputen - damit nach 100 Tagen wieder heißes Roheisen aus ihrem überarbeiteten Hochofen fließt. Und am Ende als Stahl möglichst teuer verkauft werden kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der SWR in der Sendung "SWR2 Wissen" am 17. Februar 2020 um 08:30 Uhr.