
Rasant steigende Preise Wie stark der Lohndruck in der Inflation ist
Wenn alles teurer wird, wollen die Gewerkschaften mehr Geld für die Beschäftigten durchsetzen. Doch die Arbeitgeber wollen mehr sparen. Beides gleichzeitig geht nicht. Was bedeutet das für die Tarifrunden dieses Jahres?
Über den Ratschlag, in Zeiten hoher Inflation mehr zu sparen, dürften sich Menschen aus unteren Lohngruppen zu Recht aufregen. Blieb bei ihnen schon vorher kaum etwas für die hohe Kante übrig, weil alles für die Lebenshaltungskosten drauf ging, fragen sich mittlerweile große Teile Vollzeitbeschäftigter, wie sie immer teureres Benzin, Lebensmittel, die Krankenversicherung oder die Heizkosten noch bezahlen sollen. Was sie schnell brauchen, ist ein sogenannter Inflationsausgleich - also mindestens so viel mehr Lohn, wie gestiegene Lebenshaltungskosten sie ärmer gemacht haben.
Doch genau das wollen die Unternehmen vermeiden, und sie haben gute Argumente: Die Preise für Rohstoffe und Energie haben ebenfalls noch vor kurzem nicht für möglich gehaltene Höhen erreicht. Außerdem wäre es wahrscheinlich, dass Unternehmer, die höhere Löhne zahlen müssen, auch ihre Preise erhöhen, wodurch die Inflation noch mehr Fahrt aufnehmen würde.
Sparen bei Löhnen, klotzen bei Dividenden?
"Die Tarifpolitik kann sich der inflationären Entwicklung nicht verweigern", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Für ihn führt ein Verschieben von Tarifabschlüssen, wie es zuletzt in der Chemie- und Pharmabranche passiert ist, nicht automatisch zu besseren Ergebnissen, weil die Beschäftigten jetzt enorme Kaufkraftverluste einstecken müssen und derzeit niemand weiß, wie lange Pandemie und Ukraine-Krieg die Wirtschaft noch negativ beeinflussen. Außerdem seien die Dividenden für die Aktionäre der meisten DAX-Unternehmen im vergangenen Jahr sogar gestiegen. Da falle es schwer, Belegschaften zu erklären, warum ihre Löhne nicht auch kräftig steigen sollten.
Für Schroeder zählt das Wohl der arbeitenden Bevölkerung viel, weil deren Zufriedenheit Garant für Sicherheit sei: "Lebensunzufriedenheit wirkt sich aus auf Neigungen in Richtung Rechtspopulismus und Ablehnung des politischen Systems. Auch die Tendenz zu höherer Kriminalität weist signifikante Zusammenhänge zu sinkender Lebensqualität auf."
Arbeitgeber fühlen sich nicht zuständig
Aber der Appell der Arbeitgeber an die Gewerkschaften, in den wichtigen, noch in diesem Jahr anstehenden Lohnrunden gemäßigte Forderungen zu stellen, geht in die andere Richtung. "Unternehmen sind nicht für einen Inflationsausgleich zuständig", sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. "Politisch getriebene Energiepreise müssen auch von der Politik korrigiert werden." Massive Lohnerhöhungen, befürchtet er, könnten eine "Lohn-Preis-Spirale" auslösen, also die Inflation weiter anfachen, und in die wirtschaftliche Stagnation, wenn nicht sogar in eine Rezession führen. "Der Kaufkraftausgleich kann nicht der Maßstab für Tariflohnerhöhungen sein. Er war es ja auch nicht in den vergangenen zehn Jahren, in denen die Preise kaum gestiegen sind, die Löhne aber kräftig angehoben wurden."
Gewerkschaftsvertreter sehen in der aktuellen Situation eher eine "Preis-Lohn-Spirale" und nicht umgekehrt. Die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, die die Gründe für die Inflation nicht in steigenden Löhnen, sondern in gestörten Lieferketten und fehlenden Rohstoffen sieht, hält Lohnzurückhaltung für das völlig falsche Signal: "Wir lassen uns nicht den Unsinn einer Lohn-Preis-Spirale aufquatschen", sagte sie in ihrer Antrittsrede. Den Beschäftigten solle die Krisenbewältigung aufgeladen werden, "das machen wir nicht mit".
"Entlastungspaket hat Lücken"
Gemäßigter klingt das bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Hier sieht man neben den Unternehmen auch die Politik in der Pflicht, die Verteilungsprobleme zu lösen. Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung, sagt: "Wichtig sind politische Maßnahmen wie das aktuelle Entlastungspaket der Bundesregierung. Es hat Lücken und ist wahrscheinlich nicht ausreichend, so dass über weitergehende Maßnahmen, wie etwa einen Gaspreisdeckel diskutiert werden muss."
Nicht wenige Unternehmen hätten trotz der Krise im vergangenen Jahr exzellente Gewinne gemacht, die sie in Form von Dividenden an ihre Aktionäre weitergeben würden. "Es gibt also durchaus Spielräume für Lohnsteigerungen", so Schulten.
Entlastung der Geringverdiener als Option
Das sieht auch Politikwissenschaftler Schroeder so. Viele Unternehmen hätten die gestiegenen Kosten bereits auf ihre Kunden abgewälzt und der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten werde, insbesondere in der verarbeitenden Industrie, sowieso immer kleiner. Er plädiert für eine differenzierte Betrachtung der unteren Lohngruppen. Sie seien von der Inflation am stärksten betroffen und brauchten eine deutlichere Lohnerhöhung als ihre besserverdienenden Kollegen.
Vielleicht liegt ja in solch gesplitteten Abschlüssen die Lösung für die scheinbar unlösbare Situation. Und die Inflation wird doch ausgeglichen - zumindest für die, denen sie zuvor die Existenzgrundlage entzogen hat.