Joachim Nagel, neuer Präsident der Deutschen Bundesbank, spricht während der Amtswechselfeier | dpa
Analyse

Bundesbankpräsident Nagel Der neue Falke in der Notenbank

Stand: 11.01.2022 13:04 Uhr

Der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel ist am Vormittag feierlich in sein Amt eingeführt worden. Er übernimmt sein Amt in schwierigen Zeiten - und startet mit hohen Erwartungen.

Von Lothar Gries, tagesschau.de

Joachim Nagel übernimmt die Führung der Bundesbank in unruhigen Zeiten. Die Inflationsrate in Deutschland ist zuletzt auf 5,3 Prozent gestiegen, in der Euozone waren es 4,9 Prozent - weit entfernt vom Zwei-Prozent-Stabilitätsziel der Notenbanken. Doch genau dafür - für die Rückkehr zu mehr Preisstabilität - will sich Nagel im Rat der Europäischen Zentralbank, ihrem obersten Beschlussorgan, nun einsetzen.

Er sehe derzeit die Gefahr, "dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet", sagte Nagel bei der feierlichen Amtsübergabe am Vormittag. Zwar seien die aktuellen Inflationsraten auch auf Sondereffekte zurückzuführen, "aber nicht nur", sagte Nagel weiter. Das bereits vielen Menschen Sorgen., zumal auch der mittelfristige Preisausblick "außergewöhnlich unsicher" sei.

Vorschusslorbeeren - und hohe Erwartungen

Damit trifft Nagel die Erwartungen von Politikern, Ökonomen und Bankern. Der neue Bundesbankpräsident müsse die neu entflammte Inflation "mit aller Entschiedenheit" angehen, sagt Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. "Es gilt, im Zusammenspiel der Notenbanken im Eurosystem den Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik vorzubereiten. Dazu sollte perspektivisch auch der Ausstieg aus den Negativzinsen gehören."

Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing lobte Nagel in seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands deutscher Banken. "Damit kommt ein Experte mit langjähriger Notenbankerfahrung und ausgezeichneter Kenntnis der Finanzmärkte an die Spitze der deutschen Zentralbank." Die Ernennung Nagels passe zur Rolle Deutschlands als "Stabilitätsanker in Europa", wie sie die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten habe. Otmar Issing, Ex-Chefvolkswirt von Bundesbank und EZB, nannte Nagel einen "Glücksfall für die Institution". Er stehe für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik.

Nagel soll also der Linie seines Vorgängers Jens Weidmann und damit der Bundesbank treu bleiben und sich für eine straffere Geldpolitik einsetzenden - mit höheren Zinsen und dem Ende einer Politik mit der Notenpresse. Ein neuer "Falke" also. Die Chancen dafür stehen gut. "Joachim Nagel ist in der Bundesbank sozialisiert und ein erfahrener Zentralbanker", sagt Ökonom Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW. Ihm sei zuzutrauen, dass er sich in der EZB für die Stabilitätspolitik der Bundesbank einsetzt.

Eigengewächs der Bundesbank

Der studierte Volkswirt Nagel war 17 Jahre bei der Bundesbank tätig, davon sechs im Vorstand, in den er 2010 als Nachfolger von Thilo Sarrazin berufen wurde. Danach wechselte er zur staatlichen Förderbank KfW. Zuletzt arbeitete er bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die auch als Zentralbank der Notenbanken bekannt ist. Politisch auf sich aufmerksam gemacht hat Nagel bereits in den frühen neunziger Jahren als Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik beim SPD-Parteivorstand in Bonn.

Nagel gehört dem gemäßigten Flügel der Sozialdemokraten an und gilt nun als Garant dafür, dass er den eher vorsichtigen Kurs seines Vorgängers fortsetzen wird. So warnte er bereits 2013 in einem Interview mit der "Börsenzeitung", dass eine zu lockere Geldpolitik Blasen bei Vermögenspreisen auslösen könne. "Wir haben mehrfach betont, dass wir die Preisentwicklung am Wohnimmobilienmarkt sehr genau beobachten", sagte er damals. Ein Anhänger expansiver Geldpolitik hört sich anders an.

Begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten

Allerdings sind die Gestaltungsmöglichkeiten des neuen Bundesbankpräsidenten ebenso begrenzt wie die seines Vorgängers. Denn im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Nagel wie die anderen 24 Mitglieder nur eine Stimme - auch wenn Deutschland Europas größte Volkswirtschaft ist. Auch soll Nagel gemäß dem Gesetz nicht als Vertreter Deutschlands im Zentralbankrat sitzen, sondern als ein aus Deutschland stammendes Mitglied, das über die Geldpolitik für die gesamte Eurozone mit entscheidet.

Das ist zwar nur Theorie, doch dürfte sich Nagel - wie bereits sein Vorgänger Weidmann - als Befürworter einer strafferen Geldpolitik in der Defensive befinden; bevorzugen doch die meisten anderen Währungshüter im EZB-Rat aus Südeuropa und Frankreich einen eher lockeren Kurs mit möglichst niedrigen Zinsen. Auch verweisen sie gern auf die Tatsache, dass der jüngste Anstieg der Verbraucherpreise keineswegs eine Folge der Nullzinspolitik der letzten Jahre ist.

Dennoch könnte es Nagel leichter haben als sein Vorgänger. Denn inzwischen hat sich auch innerhalb der EZB die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Inflation länger dauern und hartnäckiger sein wird als zunächst angenommen. Das spricht für eine absehbare Abkehr von der Nullzinspolitik der vergangenen Jahre. Die amerikanische Federal Reserve ist schon dabei, ihre expansive Geldpolitik zu beenden; ein Bundesbankpräsident, der hier mit dem globalen geldpolitischen Mainstream geht, dürfte also in der EZB weniger isoliert sein als sein Vorgänger. Insofern kommt Nagels Berufung zur richtigen Zeit.

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 11. Januar 2022 um 09:00 Uhr.