Beschäftigte eines Unternehmens in Andernach nehmen mit Fackeln und einem 8-Prozent-Schild an einem Warnstreik teil.
Hintergrund

Forderungen der Gewerkschaften Wenn das Lohnplus die Teuerung anheizt

Stand: 01.03.2023 14:42 Uhr

Die Inflation ist für viele Beschäftigte eine große Belastung. Gewerkschaften wollen daher hohe Lohnsteigerungen durchsetzen. Steigt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale - so wie in den 1970er-Jahren?

Von Claudia Wehrle, ARD-Börsenstudio

Die Gewerkschaften machen Druck: Bei der Post bleiben Briefe und Pakete liegen. An Flughäfen wird gestreikt. In vielen Städten stehen Busse und Bahnen still. Mit weiteren Arbeitsniederlegungen, auch in anderen Bereichen, ist zu rechnen.

Den Gewerkschaften geht es bei den laufenden Tarifverhandlungen vor allem um eines: Die Beschäftigten sollen mehr Geld in der Tasche haben, so Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall: "Die Beweggründe sind natürlich die, dass unsere Kolleginnen und Kollegen von der Inflation massiv betroffen sind. Wir haben auch gesagt, wir brauchen auch eine Entgelterhöhung zur Stabilisierung der Kaufkraft. Das muss man ja auch mal sehen."

Bis zu 15 Prozent mehr gefordert

Das Problem: Wenn immer mehr Geld für Lebensmittel und für Energie ausgegeben werden muss, wenn Dienstleistungen deutlich teurer werden, dann bleibt für viele Menschen am Ende des Monats kaum noch etwas übrig, um anderweitig zu konsumieren. Bei der Post werden deshalb Tarifsteigerungen von 15 Prozent gefordert. Die Beschäftigten beim Bund und bei den Kommunen sollen nach dem Willen der Gewerkschaft eine Lohnerhöhung vom 10,5 Prozent erhalten.

Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. "Wir hatten das Mitte der 1970er-Jahre. Da hatte der Öffentliche Dienst einen sehr, sehr hohen Lohnabschluss oberhalb der Inflationsrate, so dass die Löhne die Preise weiter nach oben getrieben haben. Damals sprach man von einer Lohn-Preis-Spirale."

Firmen geben höhere Kosten weiter

Man muss sich das so vorstellen: Unternehmen müssen die Lohnsteigerungen schultern. Viele von ihnen werden deshalb die gestiegenen Ausgaben an die Kunden weitergeben. Die wiederum müssen mehr Geld für Waren und Dienstleistungen zahlen. Die Folge: Ihr Einkommen wird weniger wert. Das schaukelt sich gegenseitig hoch. Bei der nächsten Tarifrunde werden die Gewerkschaften unter Umständen erneut höhere Löhne fordern - ein Teufelskreis.

Nun ist die heutige Situation nur bedingt mit den 1970er-Jahren zu vergleichen. Damals haben vor allem die hohen Lohnsteigerungen maßgeblich zur Inflationsentwicklung beitragen. Heute sind es eher die hohen Energie- und Lebensmittelpreise.

Fachkräftemangel als Faktor

Aber: Dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen könnte, ist durchaus realistisch, glaubt Hagen Lesch, Tarifexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft. Seiner Meinung nach steht das nur bedingt in Zusammenhang mit den laufenden Tarifverhandlungen.

"Jenseits der Tarifpolitik ist natürlich sehr viel lohnpolitischer Druck da", sagt Lesch. "Das hängt nicht nur mit der Inflation zusammen, sondern auch mit dem Arbeits- und Fachkräftemangel. Insofern werden wir sowieso in den nächsten Jahren eine Lohnpolitik bekommen, die insgesamt preistreibender werden wird. Das ist schlicht und einfach der Situation auf dem Arbeitsmarkt geschuldet."

Schon jetzt fehlen Fachkräfte an allen Ecken und Enden - nicht nur hier bei uns, auch in anderen europäischen Staaten, beispielsweise in den Niederlanden oder in Frankreich. Viele Unternehmer klagen, die Produktion komme nur schleppend voran. Und Besserung sei nicht in Sicht, so der Ökonom Krämer. "Und ob sie nun im Arbeitgeberverband sind oder nicht, dann werden sie kompromissbereit, um einfach das Personal zu halten oder um neues zu gewinnen, wenn sie wachsen wollen."

Erleichtert der Staat eine Einigung?

Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten, für einen Inflationsausgleich zu sorgen. Die Tarifpartner können höhere Löhne oder Einmalzahlungen aushandeln. Darüber hinaus hat die Bundesregierung die Möglichkeit von Einmalzahlungen geschaffen, die von der Steuer ausgenommen sind.

"Im Grunde genommen kommt da eine dritte Partei rein, nämlich der Staat, der etwas zuzahlt", sagt der Experte. "Und dadurch kann es einfacher werden, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigen." Ob der Staat auf diese Weise eine Lohn-Preis-Spirale verhindern kann, ist ein Experiment mit offenem Ausgang.

Claudia Wehrle, HR, 01.03.2023 12:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. März 2023 um 13:50 Uhr.