Ein Landwirt zeigt Getreide in seiner Scheune.
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Vom Acker bis zur Börse Wie der Getreidepreis entsteht

Stand: 01.08.2023 18:30 Uhr

Die Getreidepreise sind zuletzt stark gestiegen, seitdem Russland aus dem Lieferabkommen mit der Ukraine ausgestiegen ist. Aber wie und wo werden die Preise eigentlich gemacht?

Von Gregor Lischka, ARD-Finanzredaktion

Landwirtin Anette Seifert-Ruwe steht vor ihrer Getreidelagerhalle in Obbornhofen, einem kleinen Dorf in Mittelhessen, und beobachtet den Traktor, der gerade einen Hänger voller Getreide abkippt. Über dem Eingang des etwa turnhallengroßen Gebäudes steht "Kornkammer" in großen, gelben Buchstaben geschrieben. "Es ist schon relativ viel Weizen eingelagert, es fehlen noch ein paar Reste, aber das meiste ist drin", sagt Seifert-Ruwe.

Mit dem bisherigen Ernteverlauf ist sie soweit ganz zufrieden. Wie wirtschaftlich erfolgreich das Erntejahr wird, hängt aber nicht nur ab von ihren Weizenfeldern und ihrer Lagerhalle, sondern auch von einem anderen Ort: "Wir sind gerade in den Verhandlungen, aber dadurch, dass die Börse gerade sehr volatil ist, ist da noch nichts fest abgesprochen. Aber wir hoffen, dass wir noch mehr kriegen, als an der Börse aktuell notiert ist", so Landwirtin Seifert-Ruwe.

Die Rolle der Börsen im Getreidehandel

Während die Weizenkörner von Landwirtin Seifert-Ruwe auf ein Förderband sickern und in Silos auf dem Hof eingelagert werden, ändert sich der Preis, den man für sie bekommen kann, hier im Minutentakt. Thu Lan Nguyen arbeitet als Rohstoffexpertin bei der Commerzbank. Sie analysiert das Auf und Ab der Kurse. "Die Preise, die wir uns anschauen an den Finanzmärkten, das sind natürlich die Weltmarktpreise", sagt Nguyen.

Weizen wird nämlich überall auf dem Globus gebraucht und gehandelt. Der Preis für den Weizen aus Seifert-Ruwes Lagerhalle wird dementsprechend am Weltmarkt bestimmt. Besonders entscheidend sind die großen Handelsplätze für Getreide: die Börsen in Chicago und Paris. "Sie werden genutzt, um mitunter Preise abzusichern", erläutert Rohstoffexpertin Nguyen.

Wie Landwirte ihre Ernte absichern

Was "Preise absichern" konkret für die Landwirte bedeutet, erklärt Seifert-Ruwe. Wie viele ihrer Berufskolleginnen und -kollegen auch, verkauft sie große Teile ihrer Weizenernte schon zu einem Zeitpunkt, an dem die Pflanzen noch auf dem Feld stehen. "Meine Strategie ist eigentlich, dass ich so ein Drittel vor der Ernte verkaufe, ein Drittel zur Jahresfrist und ein Drittel fürs Frühjahr", sagt Seifert-Ruwe.

Diese Art der Vermarktung nennt man Termingeschäfte - auch Futures genannt. "Das heißt, Sie können schon heute einen Vertrag aufsetzen, zu welchem Preis sie in einem Monat liefern. Und damit haben sie eine gewisse Preissicherheit", so Rohstoffanalystin Nguyen.

Für Landwirtinnen und Landwirte ist es also nicht nur wichtig, Stall und Acker im Blick zu behalten, sondern auch die Börsenkurse. "Das ist in unserem Job ganz wichtig, das müsste ich eigentlich viel mehr machen. Ich habe mal in Kanada gearbeitet, da gab es Broker, die das für die Landwirte gemacht haben", sagt Seifert-Ruwe.

Globale Ereignisse beeinflussen Weizenpreis

Natürlich sind an den Getreide-Börsen also nicht nur Landwirtinnen und kleine Landhändler aktiv, die ihre Ernte verkaufen und sich gegen Preisrisiken absichern wollen. Vor allem internationale Handelskonzerne und Finanzinstitute tummeln sich dort - auf der Suche nach Rohstoffen, Profiten und dem richtigen Preis. "Die Rohstoffmärkte sind hoch spekulativ und wir haben tendenziell eine hohe Volatilität an den Märkten", sagt Rohstoffanalystin Nguyen.

Die Getreidepreise schwanken also stark. Genau wie die sie prägenden Faktoren: das Wetter und die Weltpolitik. Wenn zum Beispiel Hitzewellen und Dürren zu Ernteausfällen in den großen Anbauländern wie China, Kanada oder Frankreich führen, dann schießt der Preis an der Börse in die Höhe. Oder wenn Russland durch eine erneute Blockade des Schwarzen Meeres dafür sorgt, dass der ukrainische Weizen nicht mehr auf dem Weltmarkt zur Verfügung steht.

"Wenn viel Getreide da ist, ist der Preis niedrig, wenn wenig Getreide da ist, ist der Preis hoch, oder es gibt halt eben äußere Einflüsse wie den Ukraine-Krieg, dass da der Markt beeinflusst wird", so Seifert-Ruwe. Wie Weizenpreis, Wetter und Weltpolitik zusammenhängen, das spürt dann auch die Landwirtin auf ihrem Hof in Mittelhessen.

Gregor Lischka, HR, tagesschau, 31.07.2023 11:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. Juli 2023 um 17:14 Uhr.