Ein Binnenschiff fährt im letzten Licht des Tages vor der Bankenskyline der Innenstadt über den Main an der EZB (Europäische Zentralbank) vorbei.

Rekord-Inflation Kann die EZB wirklich nichts tun?

Stand: 14.04.2022 06:38 Uhr

Immer lauter werden die Forderungen an die Europäische Zentralbank, sehr bald eine Zinserhöhung zu beschließen. Bislang gibt es dafür aber kaum Anzeichen - obwohl der Schritt viele entlasten könnte.

Es wird Frühling am Main. Narzissen und Tulpen blühen, die Bäume werden grün, seit Tagen scheint die Sonne stundenlang in die Büros des Frankfurter EZB-Towers. Ostern steht vor der Tür. Doch die Stimmung in dem direkt am Fluss liegenden Bau aus Glas und Stahl ist nicht die beste: seit Wochen hagelt es scharfe Kritik an der Geldpolitik der Währungshüter. Der Kreis der Kritiker wird immer größer.

Angesichts der Rekord-Inflation von 7,5 Prozent im Euroraum, der höchsten seit Einführung der Gemeinschaftswährung, wirft eine breite Front von Unternehmen, Banken, Gewerkschaften, Politikern, Wissenschaftlern und Beobachtern der Europäischen Zentralbank Untätigkeit vor. Die Währungshüter hätten monatelang zugesehen, wie sich die Inflation aufbaut und nichts Konkretes unternommen, um dieser Lage Herr zu werden, so der Kern der Vorwürfe. Damit verstoße die EZB gegen ihren zentralen Auftrag, Preisstabilität zu sichern, und untergrabe zunehmend ihre Glaubwürdigkeit.

EZB-Prognosen lagen daneben

Tatsächlich hat sich die EZB in den vergangenen Monaten nicht mit Ruhm bekleckert. Monatelang hat sie immer wieder behauptet, die hohe Inflation sei nur vorübergehender Natur und werde sich wieder abschwächen. Ihre Inflationsprognosen waren schon Makulatur, als sie veröffentlicht wurden.

"Finanzmärkte rechnen mit Zinserhöhung im Juni", Klaus-Rainer Jackisch, HR

tagesschau24 11:00 Uhr

Kaum eine Notenbank der Welt liegt in Voraussagen regelmäßig so schief wie die EZB. Sich deutlich abzeichnende Veränderungen der globalen Wirtschaft als Folge der Coronavirus-Krise wurden systematisch unterschätzt: dazu gehören die unterbrochenen Lieferketten, Engpässe bei der Versorgung und als Folge daraus deutlich anziehende Preise bei Rohstoffen, die sich zunehmend durch die gesamte Produktkette fressen - all das ein Phänomen, das nicht von heute auf morgen wieder verschwindet, wenn überhaupt.

Keine Antwort auf Folgen des Ukraine-Kriegs

Unter dem Eindruck der Finanz- und der Coronakrise stehend, in denen man teilweise gegen Deflationsentwicklungen kämpfte, konnten sich die Währungshüter offenbar nicht vorstellen, dass das Pendel auch wieder in die andere Richtung ausschlagen würde. Der Ukraine-Krieg wurde dann als weiterer externer Schock deklariert.

Gegen ihn könne man nichts ausrichten, weil er insbesondere die Energiepreise anfache, auf die man kaum Einfluss habe. Immer wieder schob die EZB einen Grund vor, nicht zu handeln. Nun ist die die Inflationsrate fast viermal so hoch wie das selbst gesteckte Ziel von zwei Prozent.

Droht Lohn-Preis-Spirale?

Auch sich neu abzeichnende Gefahren werden von der EZB wieder heruntergespielt - dieses Mal der mögliche zusätzliche Inflationsschub als Folge steigender Löhne. Viele Gewerkschaften wollen jetzt kräftige Lohn-Erhöhungen durchsetzen, um damit den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten etwas entgegenzusetzen. Dies dürfte der Auftakt einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale sein: Bei höheren Löhnen steigen die Produktionskosten, die von den Unternehmen weitergegeben werden. Diese erhöhen die Verbraucherpreise, was neue Forderungen nach Lohnerhöhungen nach sich zieht und die Inflation immer weiter antreibt und verfestigt.

EZB-Ratssitzung befasst sich mit möglicher Zinswende

Morgenmagazin

Zentralbanker beschwichtigen erneut

Doch die EZB behauptet, solche Entwicklungen seien im Euroraum derzeit kaum zu erkennen. In anderen Staaten, etwa in den USA, wo die Inflation ebenfalls auf den höchsten Stand seit rund 40 Jahren gestiegen ist, sieht man diese Tendenz hingegen sehr wohl. Das ist auch ein zentraler Grund, warum etwa die US-Notenbank so entschlossen und massiv mit Zinserhöhungen gegen die Inflationsentwicklung vorgeht und vorgehen will.

Vor diesem Hintergrund wird die Forderung nach einem starken Signal zu einer Richtungsänderung der Geldpolitik durch die europäischen Währungshüter immer lauter: Noch in diesem Jahr müssten die Negativ-Zinsen beendet und Zins-Erhöhungen umgesetzt werden. Bereits nach der EZB-Ratssitzung in dieser Woche müsse diese Entwicklung angekündigt und umgesetzt werden, so die Forderungen der Kritiker.       

EZB will abwarten

Ob das geschieht, ist allerdings fraglich. Zwar hat die EZB in den vergangenen Wochen zumindest erste Weichen gestellt, dass eine Zinswende nun auch praktisch möglich ist: Die Anleihekäufe sollen beendet werden. Damit würde eine Hürde aus dem Weg geräumt, mit der die EZB selbst jahrelang eine Zinserhöhung ausgeschlossen hat. Denn das Ende der Anleihekäufe war immer Vorbedingung für einen Zinsschritt

Doch immer wieder heißt es nun aus Kreisen der Notenbanker, man wolle erst einmal auf die neuen Inflationsprognosen warten, die im Juni veröffentlicht werden. Dies solle dann die Basis für weitere Schritte sein. Auch EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, die EZB dürfe auf die Entwicklungen nicht überreagieren. Direktoriumsmitglied Fabio Panetta befürchtet Rückschläge für die Konjunktur-Entwicklung. Und EZB-Präsidentin Christine Lagarde windet sich ebenfalls und zeigt sich in ihren Äußerungen überall sehr vorsichtig. 

Fragwürdige Argumente

Zögern und Zaudern bestimmt die Geldpolitik der EZB. Doch nicht alle Argumente der Währungshüter sind wirklich so stichhaltig, wie sie manchmal scheinen. So argumentieren die Notenbanker, die EZB habe keinen Einfluss auf die hohen Energiepreise, die der Haupttreiber der Inflation sind. Dagegen könne die EZB mit den klassischen Mitteln der Geldpolitik wenig oder gar nichts ausrichten. Doch bei genauer Analyse stimmt das nicht.

Niedriger Eurokurs verteuert Energie zusätzlich

Weil die EZB die Zinsen im Euroraum so niedrig hält, die Zinsen in den USA aber deutlich steigen, richten immer mehr Investoren ihre Blicke auf die Vereinigten Staaten. Sie schichten ihre Anlagen um, weil es dort lukrativer ist. Dadurch ist der US-Dollar kräftig gestiegen. Der Eurokurs rutscht entsprechend seit Monaten ab. Derzeit kostet die europäische Gemeinschaftswährung nur rund 1,09 Dollar. Das ist der niedrigste Wert seit etwa zwei Jahren.

Euro-Schwäche nur vermeintlicher Vorteil

Für die Unternehmen ist diese Entwicklung theoretisch positiv: Dadurch werden Exportwaren außerhalb der Eurozone billiger und wettbewerbsfähiger. Auf diese Weise kann man die Konjunktur ankurbeln. Im Moment verpufft dieser Effekt aber, denn die Auftragsbücher der Firmen sind übervoll. Sie leiden nicht an mangelnder Nachfrage, sondern an explodierenden Rohstoffkosten. Die werden aber, genauso wie für Verbraucherinnen und Verbraucher, durch die Entwicklung des Euro-Außenwertes deutlich verschärft.

Öl, Gas und Kohle werden auf den internationalen Märkten nämlich in US-Dollar gehandelt. Wenn diese Energie in Europa eingekauft wird, wird sie also umso teurer, je schwächer der Euro-Kurs wird. Denn es müssen mehr Euro auf den Tisch gelegt werden, um die Energie-Lieferungen zu bezahlen. Auf eine simple Formel gebracht heißt das tendenziell:Je schwächer der Euro, desto teurer das Benzin an der Tankstelle.

Zinserhöhung könnte Energiekosten senken

Eine deutliche Zinserhöhung könnte hier sehr wohl helfen. Sie kann nicht verhindern, dass Energiepreise etwa durch den Ukraine-Krieg als solches steigen. Aber sie kann verhindern, dass der durch den Wechselkurs-Mechanismus entstehende zusätzliche Preisdruck reduziert wird.

Würden die Zinsen im Euroraum steigen, würde nämlich nicht so viel Geld in die USA fließen, der Eurokurs würde wieder stärker. Dadurch würden sich aber Energie-Einfuhren verbilligen, zumindest würde der zusätzliche Preisdruck genommen.

Nicht zu unterschätzender Effekt

Der Effekt einer solchen Geldpolitik ist keine Marginalie, wie die EZB immer wieder abtut - ganz im Gegenteil: Ausgerechnet das sonst eher EZB-freundliche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte jetzt eine Studie, in der es die Auswirkungen des schwachen Eurokurses auf die Energiepreise berechnet hat. Danach könnte ein steigender Euro-Kurs die Energiepreise um bis zu vier Prozent dämpfen. Das ist nicht dramatisch.

Aber in Zeiten, wo jeder zusätzliche Cent an der Tankstelle weh tut, ist der Effekt auch nicht marginal: Eine durchschnittliche Tankfüllung von 40 Litern Benzin würde sich um etwa 3,50 Euro verbilligen. Deutlich größere Wirkungen hätte der dämpfende Effekt für Unternehmen und die Großindustrie, die viel Energie verbrauchen. Auch beim Heizen würden sich die Kosten kräftig verringern, so die Forscher, die allerdings auch mögliche negative Effekte auf die Konjunkturentwicklung nicht ausschließen.

EZB nicht immer konsequent

Für die EZB kommen solche Überlegungen aber schon aus prinzipiellen Gründen nicht in Frage. Denn die Währungshüter behaupten immer wieder, sie betrieben offiziell keine Währungspolitik. Allerdings ist man auch mit dieser Haltung nicht immer konsequent. Für den ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi war die bewusste Schwächung des Euro-Kurses in der Euro-Krise ein ganz zentraler Aspekt, um europäische Ausfuhren auf dem Weltmarkt billiger zu machen und somit die schwer angeschlagene Konjunktur anzukurbeln. Auch er hat das aber nie zugegeben und sich hinter der bekannten EZB-Floskel verschanzt.

Insgesamt dürfte sich die Europäische Zentralbank in den kommenden Wochen also weiter schwertun mit einer Zinswende. Das meinen auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande in ihrem jetzt vorgelegten Frühjahr-Gutachten: Sie rechen erst im vierten Quartal mit einem ersten Zinsschritt in Europa.

Bis dahin sind Narzissen und Tulpen längst verwelkt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 13. April 2022 um 07:08 Uhr.