Claus Weselsky spricht während einer GDL-Kundgebung im Januar 2024 in Dresden.

Tarifkonflikt bei der Bahn Schärfere Regeln nach den GDL-Streiks?

Stand: 12.03.2024 16:28 Uhr

Eine Lösung des Tarifstreits zwischen Bahn und GDL ist nicht in Sicht. Aber es deutet sich etwas anderes an: Wenn dieser Tarifstreit beendet ist, könnte das Streikrecht in Deutschland verschärft werden.

Das Urteile des Frankfurter Arbeitsgerichts und des Hessischen Landesarbeitsgericht bedeuten zunächst einen Sieg für GDL-Chef Claus Weselsky. Die Bahn hatte versucht, den aktuell laufenden Streik im letzten Augenblick gerichtlich stoppen zu lassen. Sie scheiterte damit aber vor beiden Instanzen.

Langfristig könnte Weselsky, der bald in den Ruhestand geht, aber als derjenige in Erinnerung bleiben, der Auslöser für eine Verschärfung des Streikrechts war. Denn angesichts der unnachgiebigen Haltung des GDL-Chefs und der großen Auswirkungen von Streiks bei einem Unternehmen der kritischen Infrastruktur wie der Bahn, mehren sich die Rufe nach neuen gesetzlichen Regeln für Streiks in solchen Betrieben.

Auch Verkehrsminister Volker Wissing machte klar, dass sich die Politik dieses Themas vermutlich demnächst annehmen wird. Es sei klar, dass sich die Bundesregierung in einen laufenden Tarifkonflikt nicht so einmischen könne, dass sie Gesetzesänderungen androhe, sagte der FDP-Politiker im ARD-Morgenmagazin. "Aber klar ist auch, dass wir uns das ganz genau anschauen werden. Wenn dieser Tarifkonflikt beigelegt ist, muss geprüft werden, ob wir eine Änderung brauchen oder nicht."

"Wir werden uns das ganz genau anschauen", Volker Wissing, Verkehrsminister, FDP, zu vielen GDL-Warnstreiks

Morgenmagazin, 12.03.2024 05:30 Uhr

Pro Bahn: "Für die kritische Infrastruktur neue Regeln schaffen"

Forderungen nach einer Verschärfung des Streikrechts kommen aus der Politik, von Fahrgastverbänden, vor allem aber aus der Wirtschaft. Im Gespräch ist etwa, dass Streiks bei der Bahn und ähnlichen Betrieben immer mit einem bestimmten Vorlauf angekündigt werden müssen oder dass sie erst nach einer gescheiterten Schlichtung zulässig sind. "Wir müssen für die kritische und alternativlose Infrastruktur in Deutschland neue Regeln schaffen", sagte etwa der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann.

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, forderte "ein Arbeitskampfrecht, das gerade auch für die Infrastruktur angemessene Ankündigungsfristen, Schlichtungsregelungen und Abkühlungsphasen vorsieht". Weselsky agiere ohne Rücksicht und unverhältnismäßig. Das sei "ein Missbrauch des Arbeitskampfrechts, der nicht länger vom Gesetzgeber akzeptiert werden sollte".

CDU: "In Deutschland ein reines Richterrecht"

Vom Bund der Katholischen Unternehmer hieß es: "Nach über 30 Jahren gilt es nun endlich, den Einigungsvertrag einzulösen und ein Bundesgesetz zur Regelung des bisher ausschließlich auf ausuferndem Richterrecht basierenden Streikrechtes zu verabschieden."

Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann. "Das Streikrecht muss gesetzlich geregelt werden. Zurzeit ist das Streikrecht in Deutschland reines Richterrecht - anders als in anderen europäischen Ländern, wo es ein richtiges geschriebenes Streikrecht gibt", sagte die CDU-Politikerin im rbb24-Inforadio.

Tatsächlich gibt es in Deutschland kein Streikgesetz, darauf weist auch Arbeitsrechtlerin Lena Rudkowski von der Universität Gießen im tagesschau.de-Interview hin. Das im Grundgesetz verbriefte Streikrecht der Gewerkschaften sei aber schon jetzt durch die Rechte Dritter eingeschränkt. Als Beispiel nennt sie eine "Notdienstverpflichtung", wie sie zum Beispiel für Krankenhäuser gelte.

"Wellenstreiks" sollen Notfahrpläne unmöglich machen

Mit den aktuellen "Wellenstreiks", die nicht mit Vorlauf angekündigt werden, will Weselsky es der Bahn aber ausdrücklich unmöglich machen, an Streiktagen einen Notfahrplan zu erarbeiten. Das ist einer der Gründe, warum sich die Kritik an ihm zuletzt noch einmal verschärft hat.

Kernpunkt des Tarifstreits ist und bleibt die Wochenarbeitszeit. Die GDL fordert eine Absenkung von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Zwar hatte Weselsky zuletzt versucht, andere Streitpunkte in den Fokus zu rücken - wie etwa Urlaubsregelungen oder die Laufzeit des Tarifvertrag. Doch tatsächlich war er selbst es, der immer wieder die 35-Stunden-Woche zum Knackpunkt der Verhandlungen erklärt hatte - zuletzt mit dem symbolträchtigen 35-Stunden-Streik, "damit jeder in der Republik merkt, worum es uns geht: nämlich um die 35-Stunden-Woche", so Weselsky.

Einigung mit Bahn-Konkurrenten nur unter Vorbehalt

In diesem Punkt hat sich die Bahn - anders als die GDL - seit Beginn des Tarifstreits bewegt. Sie war bereit, den Vorschlag des Moderationsverfahrens - einer Art informeller Vorstufe der Schlichtung - als Grundlage für weitere Verhandlungen zu akzeptieren. Er sah eine Absenkung der Arbeitszeit in zwei Stufen auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich vor. Weselsky lehnte das allerdings ab. Er argumentiert unter anderem damit, eine 35-Stunden-Woche mache die Bahn als Arbeitgeber attraktiver, sei also auch im Interesse der Bahn und ihrer Kunden.

Mit Konkurrenten der Bahn - etwa mit Transdev, dem zweitgrößten Eisenbahnunternehmen in Deutschland - hat sich die GDL bereits auf die Einführung einer 35-Stunden-Woche geeinigt. Allerdings steht das unter dem Vorbehalt, dass auch die Deutsche Bahn bei ihren Verhandlungen mit der GDL einer solchen Arbeitszeitreduzierung zustimmt. Das dürfte ein wesentlicher Grund sein, warum Weselsky von dieser Maximalforderung nicht abrückt.

Branchenverband: Hatten keine andere Wahl

Der Branchenverband Mofair, in dem die Konkurrenten der Bahn im Personenverkehr organisiert sind, hatte nach eigenen Angaben keine andere Wahl, als sich auf die Forderungen der GDL einzulassen. Die 35-Stunden-Woche sei der falsche Weg, um den Arbeitskräftemangel der Branche anzugehen, sie verschärfe "den vorhandenen Mangel kurz- und mittelfristig drastisch", teilte der Verband mit. Jeder Streiktag bedeute aber "wirtschaftliche Schäden, die sie nur wenige Tage tragen können". Die Wettbewerber der Bahn seien eingezwängt zwischen der Marktmacht der GDL und der fehlenden Unterstützung der Auftraggeber - das sind im Fall der Bahn-Konkurrenten in der Regel die Bundesländer.

"Tarifstreit endet mit Kompromiss oder gar nicht"

Verkehrsminister Wissing appellierte nun erneut an den GDL-Chef, sich auf ein formelles Schlichtungsverfahren einzulassen. "Wenn Verhandlungen offensichtlich nicht mehr funktionieren, weil ein Verhandlungspartner sich nicht mehr an den Tisch setzt, dann ist das förmliche Schlichtungsverfahren ein guter Weg" sagte Wissing im ARD-Morgenmagazin. Die Bahn hatte sich zu einer solchen Schlichtung bereit erklärt, die GDL lehnt sie bislang ab.

Richter: "Der Gesetzgeber könnte ja ein Gesetz erlassen"

Auch der Vorsitzende Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht, Michael Horcher, legte - nachdem er den GDL-Streik für zulässig erklärt hatte - den Konfliktparteien eine Schlichtung nahe. Und er ging in seiner Urteilsbegründung auch auf die Debatte über ein verschärftes Streikrecht ein: "Der Gesetzgeber wird nicht tätig, er könnte ja ein Gesetz erlassen, mit dem man Streiks in Betrieben der Daseinsvorsorge begrenzt, in dem man zum Beispiel eine Ankündigungsfrist von vier Tagen einführt", so Horcher.

Verkehrsminister Wissing appellierte auch an das Verantwortungsgefühl des GDL-Chefs: "Ich finde es bedauerlich, dass ein Eisenbahner wie der Herr Weselsky, dem System Schiene so großen Schaden zufügt." Man könne nicht sagen, man streikt, aber man verhandelt nicht. Am Ende müsse jeder wissen, ein Tarifstreit ende "mit einem Kompromiss oder gar nicht".

Weselsky: "Vernichtungsfeldzug des DB-Vorstands"

Weselsky machte nach den Urteilen der Arbeitsgerichte aber erneut ein neues, schriftliches Angebot der Bahn zur Vorbedingung für Verhandlungen. Mit dem Urteil sei "ein für alle Mal der Beweis erbracht, dass der Vernichtungsfeldzug des DB-Vorstands gegen die GDL nicht erfolgreich sein kann", so Weselsky. Der Bahn-Vorstand sei nun gefordert, "ein neues, verbessertes schriftliches Angebot zu machen". Denn nur das bringe die Konfliktparteien wieder zurück an den Verhandlungstisch.

Torben Ostermann, ARD Berlin, tagesschau, 12.03.2024 12:12 Uhr