Tote Fische schwimmen am August 2022 an der Wasseroberfläche des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder.

Strafverfolgung Mehr Personal im Kampf gegen Umweltdelikte?

Stand: 31.08.2022 12:02 Uhr

Das Fischesterben in der Oder rückt das Thema Umweltkriminalität wieder in den Fokus. Die Bundesregierung will verstärkt dagegen vorgehen. Doch für die Strafverfolgung sind die Länder zuständig - und dort fehlt Personal.

Warum die Fische in der Oder sterben, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Untersuchungen in Polen und Deutschland dauern an. Eine giftige Algenart, die eigentlich in Salzwasser vorkommt, könnte verantwortlich sein - in Kombination mit einem niedrigen Wasserstand und hohen Temperaturen. Möglicherweise wurde zu viel salziges Abwasser in den Fluss geleitet. Polnische Behörden meldeten kürzlich, sie hätten mehr als 280 illegale Einleitungen entdeckt.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke reiste Mitte August nach Brandenburg, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen. "Prioritär sind jetzt Schadensbegrenzung, der Schutz der Bevölkerung und das Identifizieren der Ursache und des potenziellen Täters", sagte die Grünen-Politikerin beim Termin an der Oder. "Dieses Umweltverbrechen muss aufgeklärt werden." Die Bekämpfung der Umweltkriminalität in Deutschland könnte in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Politiker und auch Fachleute fordern einen verstärkten Fokus auf diesen Bereich und werben dafür, neue Strukturen zu schaffen und die zuständigen Behörden besser aufzustellen.

Neue EU-Richtlinie geplant

Man halte eine Verstärkung der Personalressourcen und der organisatorischen Strukturen bei Polizei, Zoll, Staatsanwaltschaften und den Aufsichtsbehörden der Umweltverwaltung für sinnvoll, so eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. Umweltverbrechen dürften nicht als "Bagatellen" angesehen werden. Sie verweist zudem auf eine geplante neue EU-Richtlinie zum Umweltstrafrecht, die derzeit in Brüssel verhandelt wird. Darin enthalten sind unter anderem Mindesthöchststrafen und Vorschriften zur Abschöpfung illegaler Gewinne sowie der Einsatz zusätzlicher Ermittlungsmethoden.

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) wurden im vergangenen Jahr rund 11.600 Straftaten bundesweit im Bereich der Umweltkriminalität registriert. Dazu gehören etwa Gewässer-, Boden- und Luftverunreinigungen. Einer Untersuchung des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2019 zufolge lag die Aufklärungsquote bei Umweltverbrechen in den vergangenen Jahren bei rund 60 Prozent und damit in etwa so hoch wie in anderen Kriminalitätsfeldern auch.

Allerdings gehen Experten von einem hohen Dunkelfeld aus. Es fehle bei den Strafverfolgungsbehörden oft an Expertise, an Personal und an zeitlichen Kapazitäten um Kontrollen und die oft komplexen Ermittlungen durchführen zu können. "Diese Faktoren tragen dazu bei, dass Straftaten entweder nicht aufgedeckt werden oder im Strafverfahren nicht bewiesen werden können", heißt es in der Untersuchung des Umweltbundesamtes.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Innenexpertin Irene Mihalic plädiert angesichts der Defizite bei der Verfolgung von Umweltstraftaten für die Einrichtung von spezialisierten Stellen in Bund und Ländern, etwa Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Fachdienststellen bei der Polizei mit speziell geschultem Personal, um die Strafverfolgung zu verbessern.

"Hauptbetätigungsfeld der Organisierten Kriminalität"

Die Umweltkriminalität sei ein "Hauptbetätigungsfeld der Organisierten Kriminalität", sagt Marina Hackenbroch, stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamten (BDK). Sie fordert neben mehr Personal vor allem mehr Expertise in den Behörden. So müsse die Aus- und Fortbildung von Ermittlern ausgebaut und verbessert werden, und solle bei der Polizei möglichst zentral erfolgen.

Auch die Opposition befürwortet einen verstärkten Ansatz bei der Bekämpfung von Umweltverbrechen, verweist jedoch auch auf das Personalproblem. "Die Bearbeitung von Umweltkriminalität ist personalintensiv, weil dazu verdachtsunabhängige Kontrollen notwendig sind", so der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings. Die Strafverfolgungsbehörden und die Labore müssten daher mit ausreichend Personal ausgestattet werden.

Stabsstelle Umweltkriminalität in NRW aufgelöst

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hatte jüngst angekündigt, bei der Gendarmerie 3000 neue Stellen für Polizistinnen und Polizisten schaffen zu wollen, die insbesondere Umweltdelikte wie Brandstiftungen in Wäldern aufklären sollen. Anders als in Frankreich obliegt die Strafverfolgung von Umweltverbrechen in Deutschland allerdings den Landesbehörden.

In einigen Bundesländern gab es in der Vergangenheit bereits spezialisierte Strukturen. So existierte in Nordrhein-Westfalen beispielsweise eine Stabsstelle Umweltkriminalität mit sachkundigen Ermittlern, die allerdings von der zuletzt regierenden Schwarz-Gelben-Landesregierung aufgelöst wurde. Die neue NRW-Regierung aus CDU und Grünen möchte die Umweltkriminalität nun umfassend bekämpfen. Dazu soll laut Koalitionsvertrag eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft sowie eine Koordinierungsstelle beim LKA geschaffen werden, außerdem soll die Umweltverwaltung 200 zusätzliche Mitarbeiter pro Jahr bekommen.

Viele Staatsanwaltschaften und Gerichte am Limit

Um Gesetzesverstöße konsequent verfolgen zu können, sei jedoch dringend mehr Personal in der Justiz erforderlich, so Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes. Dies sei insbesondere mit Blick auf die geplante Verschärfung des Umweltstrafrechts durch die neue EU-Richtlinie notwendig. Schon heute arbeiteten viele Staatsanwaltschaften und Gerichte am Limit, die Verfahren zögen sich oft lange hin. Der Rechtsstaat laufe Gefahr seine Gesetze nicht mehr durchsetzen zu können.

Genau dieses Problem wird sich wohl eher noch verschärfen. Laut dem Deutschen Beamtenbund (dbb) fehlen dem öffentlichen Dienst in den kommenden Jahren rund 360.000 Beschäftigte. Die Zahl der Aufgaben für Behörden und Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen wachse schneller als die der Beschäftigten, so der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach. Dem öffentliche Dienst drohe somit eine permanente Überforderung. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 31. August 2022 um 12:30 Uhr in den Nachrichten.