Jan Marsalek
Exklusiv

Wirecard-Skandal Marsalek und seine Russland-Kontakte

Stand: 16.03.2021 05:04 Uhr

Der von Interpol gesuchte Ex-Wirecard-Manager Marsalek war laut report München und BR Recherche enger mit russischen Sicherheitskreisen verbunden als bisher bekannt. Flüchtlingsexperte Kleinschmidt berichtet über seine Erfahrungen mit ihm.

Von Arne Meyer-Fünffinger, BR, Josef Streule, BR, und Hans-Martin Tillack

Das Vorhaben war mehr als ungewöhnlich für einen Vorstand eines börsennotierten Konzerns: Ein Flüchtlingsprojekt im Bürgerkriegsland Libyen wollte Jan Marsalek umsetzen. 2017 beauftragte er einen renommierten Experten mit der Entwicklung eines Konzepts. Der heißt Kilian Kleinschmidt und hat unter anderem für die Vereinten Nationen in Afrika und in Nahost gearbeitet. Jetzt spricht Kleinschmidt mit dem ARD-Politmagazin report München erstmals im Interview über seine Erfahrungen mit Marsalek.

Der damalige Wirecard-Manager habe ihm bei einem Treffen in München im Juni 2017 erzählt, dass er jüngst "mit Unterstützung der Russen" die kurz zuvor von der Terrormiliz "Islamischer Staat" zurückeroberte antike Ruinenstadt Palmyra in Syrien besucht habe. Das Interesse am geplanten Flüchtlingsprojekt dagegen habe Marsalek schnell verloren.

Stattdessen, so Kleinschmidt, habe der heute 41-Jährige von dem Plan gesprochen, 15.000 bis 20.000 Milizionäre als Grenzschutztruppe für die Bewachung der libyschen Südgrenze aufzustellen: "Was hier ganz klar sein Ansatz war: Man nehme libysche Milizen und man verpasst ihnen eine Uniform, bildet sie aus, rüstet sie aus zu Grenzschützern für den libyschen Staat."

Die britische Wirtschaftszeitung "Financial Times" hatte bereits im Juli 2020 über Marsaleks angeblichen Besuch in Palmyra berichtet, berief sich aber lediglich auf anonyme Quellen.

Prahlte Marsalek mit Gewaltvideos?

Bei einem weiteren Treffen mit Marsalek in München im Februar 2018 soll dieser laut Kleinschmidt im Zusammenhang mit Videoaufnahmen auf Bodycams zu zwei Geschäftspartnern aus Österreich gesagt haben: "Die Jungs erschießen ja alle Gefangenen." Kleinschmidt ging davon aus, dass es um Schüsse von Mitarbeitern russischer Sicherheitsfirmen ging.

Einer der beiden Österreicher ist bis heute im Rang eines Brigadiers im Verteidigungsministerium in Wien tätig. Beide damaligen Geschäftspartner aus Wien können sich nach eigenen Angaben an die spezielle Gesprächssituation betreffend die Videoaufnahmen nicht erinnern. In den E-Mail-Verkehr zwischen den österreichischen Gesprächspartnern und Marsalek, den report München einsehen konnte, war dann auch ein russischer Arabien-Experte eingebunden, dem Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst GRU nachgesagt werden.

Kontakte zu russischer Sicherheitsfirma

Marsalek, der heute von Interpol gesucht wird, war enger mit russischen Sicherheitskreisen verbunden als bisher bekannt. Er hatte selbst Kontakte zu einer russischen Sicherheitsfirma, die in Libyen aktiv war. Nach Recherchen von report München und BR Recherche pflegte er zudem Verbindungen mit den Eigentümern einer Zementfabrik im libyschen Bengasi, der Firma Libya Holdings Limited. Das geht aus internen Mails hervor, die Marsalek mit einem Vertreter der Firma austauschte.

Bengasi liegt im Machtbereich des aufständischen Warlords Chalifa Haftar, der von Russland unterstützt wird. Laut den Aussagen von Kleinschmidt bezeichnete sich Marsalek selbst als Miteigentümer von drei Zementfabriken in Libyen: "Jan Marsalek hatte davon gesprochen, dass er in Libyen investiert hätte, zusammen mit einem libyschen Partner." Marsalek soll dort nach eigener Aussage Zementwerke gekauft haben, so Kleinschmidt.

Libya Holdings bestritt auf Anfrage, dass Marsalek einer ihrer Teilhaber war. Die Firma bestätigte aber, dass die russische Sicherheitsfirma RSB für die Zementfabrik in Libyen tätig gewesen sei, offenbar zumindest im Jahr 2017. RSB erklärte, mit Jan Marsalek habe man "nie zu tun gehabt". Nach Angaben der Firma ging es bei dem Auftrag in Benghasi lediglich um Minenräumung. Auf einem Twitter-Konto, das offenbar von der Firma kontrolliert wird, war 2017 aber auch von angeblich kampfähnlichen Aktivitäten in Libyen die Rede.

Brisante Telegram-Chats über Russland-Connection

Im März 2019 hatte sich Marsalek dazu über den Messenger-Dienst Telegram mit einer Wirecard-Mitarbeiterin ausgetauscht und darin scheinbar ironisch von Menschen geschrieben, die von "MEINEN Russen bei RSB erschossen werden."

Nach dem Kollaps von Wirecard war Marsalek im Juni 2020 über Österreich nach Minsk in Belarus geflohen. Sein heutiger Aufenthaltsort ist zwar unbekannt, besonders häufig fällt in diesem Zusammenhang aber der Name Russland. Wie zuletzt der "Stern" berichtete, vermutete man ihm beim Bundesnachrichtendienst (BND) im August in einer streng bewachten Anlage des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Balashikha östlich von Moskau.

Kleinschmidt: Kein Interesse an Einzelheiten bei Behörden

Die Aussagen von Kilian Kleinschmidt deuten aber auch daraufhin, dass die deutschen Sicherheitsbehörden sich nicht immer mit höchster Priorität für alle Informationen über den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager interessiert haben. Kleinschmidt hatte laut eigenen Angaben nach einem Fahndungsaufruf im Sommer 2020 das Bundeskriminalamt (BKA) kontaktiert. Dort wurde er offenbar an das Polizeipräsidium in München weiterverwiesen, dessen Zielfahnder im Auftrag der dortigen Staatsanwaltschaft versuchen, Marsalek ausfindig zu machen.

In München, so Kleinschmidt, habe man über den vergleichsweise schlecht gesicherten Chat von WhatsApp mit ihm kommuniziert. Man sei aber nur an Informationen über Marsaleks Verbleib interessiert gewesen, nicht an anderen Hinweisen. Auch der BND habe sich nie bei ihm gemeldet, berichtete Kleinschmidt bereits im November dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages in nichtöffentlicher Sitzung. Auch seitdem meldeten sich offenbar keine deutschen Behördenvertreter bei dem bekannten Flüchtlingsexperten, um sich nach seinen Informationen über den flüchtigen Manager zu erkundigen.

Toncar: Behördenvorgehen "hochgradig unprofessionell"

Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar spricht von einem "hochgradig unprofessionellen" und "katastrophalen" Vorgehen der Behörden: "Wenn man nicht weiß, wie dieser Mensch gelebt habt, wo seine Verbindungen waren, wo seine Interessen lagen, wie soll man dann herausfinden, wer ihm möglicherweise bei der Flucht geholfen haben könnte, wo er sich aufhalten könnte."

BND und Verfassungsschutz wollten zu den Vorgängen nicht Stellung nehmen. Das BKA verwies darauf, dass in Fällen wie diesen die Hinweise von Bürgern "automatisiert an die ermittlungsführende Dienststelle" weitergeleitet würden, in diesem Fall also an das Polizeipräsidium München. Eine Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft erklärte, sie könne "zu Fragen der noch andauernden Zielfahndung" und über eventuelle Kontakte im Rahmen der Ermittlungen derzeit keine Angaben machen. Jan Marsaleks Anwalte äußerten sich auf BR-Anfrage nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Monitor" am 28. Januar 2021 um 21:55 Uhr.