Arbeiter tragen Geflügel in einem Mastbetrieb zu Transportboxen.
exklusiv

Fangkolonnen verletzen Masthähnchen Tierquälerei in niedersächsischem Geflügelbetrieb 

Stand: 23.08.2023 10:31 Uhr

Mitarbeiter treten auf die Körper der Masthähnchen und brechen ihnen so Brustkorb oder Beine - das haben Tierschützer in einem niedersächsischem Geflügelbetrieb dokumentiert. Eine Veterinärin sieht darin "reinen Sadismus".

Von Edgar Verheyen, SWR

Der Betrieb liegt uneinsehbar an einer Landstraße im Emsland. Von außen ist die Dimension der Anlage nicht zu erkennen. Erst Drohnenbilder vermitteln den Eindruck eines Großbetriebs, in dem mehr als 100.000 Masthähnchen gleichzeitig gemästet werden. Hier wurden laut der Tierschutzorganisation SOKO Tierschutz Tiere gequält.

Grundlage sind Bilder von Tierschutzaktivisten der Tierrechtsgruppe SOKO Tierschutz, die hier wochenlang gefilmt haben, wie Mitarbeiter von Fangkolonnen Masthähnchen brutal packen und in Kunststoffkisten werfen, ehe sie in den Schlachthof transportiert werden. Diese Aufnahmen liegen dem ARD-Politikredaktion Report Mainz exklusiv vor.

Ein Masthähnchen ist in einem Stall zu sehen.

Ein Masthähnchen im Stall eines Mastbetriebes in Niedersachsen.

Darauf sieht man Mitarbeiter der Ausstallfirma, die sich gegenseitig in die Masse von Hähnchen hineinschubsen. Sie fallen auf die Tiere, andere werfen mit Hähnchen wie mit einem Ball. Friedrich Mülln, der Leiter der SOKO Tierschutz bewertet die Bilder gegenüber Report Mainz als "Dokumentation einer brutalen Tierquälerei". Die Tiere würden büschelweise vom Boden gepflückt, so drückt es der Aktivist aus, kopfüber an den Beinen umhergetragen und dann in Kisten reingeratscht. Dabei seien die Tiere nach der 45-tägigen Mast ohnehin fast am Ende. Wenn man nur auf den Körper draufdrücke, könne man die Tiere bereits verletzen.

Die Aufnahmen wurden Report Mainz zugespielt. Die Redaktion hat eine Veterinärin als Expertin hinzugezogen und ihr die Aufnahmen zur Begutachtung vorgelegt. Sie sieht darin eine "Lust am Quälen, am Leiden des anderen". Ohne Not würden hier auch Frauen auf Tiere drauftreten und diesem so den Brustkorb, die Knochen, die Flügel, die Beine brechen. Dies sei reiner Sadismus. Es handele sich um Straftaten, keineswegs um Ordnungswidrigkeiten.

Betrieb will nicht Stellung nehmen

Report Mainz hat versucht, den Geschäftsführer des Mastbetriebs mit den Aufnahmen zu konfrontieren. Doch der lehnte ein Interview ab. Das Bildmaterial wollte er sich nicht anschauen, obwohl die Redaktion es ihm mehrfach angeboten hatte. Dafür teilt ein Anwalt des Unternehmens mit:

"Unsere Mandantin arbeitet bei der Verladung von Tieren mit einem eigens hierfür zugelassenen Fachunternehmen zusammen, das über hohes Ansehen im Markt verfügt und bei dem es in der Vergangenheit (…) nie Anlass zu Beanstandungen (…) gegeben hat."

Mitarbeiter werden entlassen

Das so "hoch angesehene Fachunternehmen" sitzt ebenfalls im Emsland. Als Report Mainz dem Geschäftsführer die Aufnahmen zeigt, erklärt er, er werde die hier gefilmten Mitarbeiter entlassen. So würde man in seinem Unternehmen nicht arbeiten.

Ist dies also nur ein Einzelfall? Auf weiteren Aufnahmen sind viele verletzte und geschädigte Tiere zu sehen - auch tote Tiere sind darunter. Sie sehen aus, als ob sie schon lange dort liegen. Wir zeigen auch diese Bilder dem zuständigen Veterinäramt.

Arbeiter tragen Geflügel in einem Mastbetrieb zu Transportboxen.

Arbeiter tragen Geflügel zu ihren Transportboxen.

Der Amtsveterinär erklärt zu den Bildern: Man sehe erhebliche Verstöße gegen geltendes Tierschutzrecht, heißt es. Es würden schwerkranke Einzeltiere gezeigt, die unverzüglich behandelt oder tierschutzgerecht getötet werden müssten. Es seien auch verendete Tiere im Stall zu sehen, die nicht unverzüglich beseitigt wurden. Die strafrechtliche Relevanz werde geprüft.

Grundsätzliche Probleme mit Fangkolonnen

Woran liegt es, dass Mitarbeiter von Fangkolonnen auch derart rabiat vorgehen? Kann die Arbeit zu Enthemmungen bei den Mitarbeitern führen? Der Soziologe Marcel Sebastian hat sich mit dieser Frage wissenschaftlich befasst.

Dazu hat er Interviews mit Menschen geführt, die in der landwirtschaftlichen Tierproduktion arbeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass "diejenigen, die in solchen Betrieben arbeiten, dazu in der Lage sein müssten, weitgehend unbetroffen zu sein davon, wenn sie so etwas sehen, wenn sie Tierleid sehen". Sie härteten mit der Zeit ab, die Hemmschwelle sinke von Mal zu Mal. Man könne durchaus von einer Art Enthemmung sprechen.

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Report Mainz über Tierquälereien von Fangkolonnen berichtet. Das Thema wird seit 2010 immer wieder von der Redaktion aufgegriffen, weil die Redaktion immer wieder von Verstößen erfahren hat.

Politik bestätigt Rechercheergebnisse grundsätzlich

Zudem wurde die Arbeitsweise der Fangkolonnen auch in einer ganzen Reihe von Untersuchungen und Studien untersucht. Immer wieder ist von verletzten Tieren die Rede, die im Schlachthof ankommen.

Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium berichtet von Meldungen aus Schlachthöfen, wonach es hier grundsätzliche Probleme mit Fangkolonnen gebe. Das Ministerium bekomme immer wieder Hinweise aus den Schlachthöfen auf Fangschäden, so Ministerin Miriam Staudte, B‘90/Die Grünen, gegenüber Report Mainz. Man habe Rückmeldungen erhalten, dass beim letzten Lkw eines Transports immer mehr Tiere verletzt wären. Menschen ermüdeten offenbar und würden dann vielleicht rabiater, sagt sie. Im aktuellen Fall habe man Strafanzeige erstattet.

Expertin fordert eine Kontrolle auch der Ausstallungen

Experten wie die Veterinärin Kirsten Tönnies fordern daher eine lückenlose Kontrolle der Ausstallvorgänge in den Geflügelbetrieben. Gegenüber Report Mainz führt sie aus: Die Tierärzte müssten den Tierbestand abnehmen, bevor er zum Schlachter rausginge. Also sollte auch das Ausstallen kontrolliert werden, um Grausamkeiten, wie auf dem Bildmaterial zu sehen, zu vermeiden.

Das Veterinäramt in Meppen, mit dieser Forderung konfrontiert, schreibt Report Mainz: "Die amtliche Schlachtgeflügeluntersuchung erfolgt generell vor der Ausstallung. Die Verantwortung für eine tierschutzkonforme Durchführung der Ausstallung obliegt dem Tierhalter sowie dem mit der Verladung der Tiere beauftragten Unternehmen. Eine amtliche Überwachung des Ausstallvorgangs kann grundsätzlich nur stichprobenartig erfolgen."

Wird also nur stichprobenhaft kontrolliert, lässt sich nicht feststellen, ob es zu Tierquälereien kommt oder nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Report Mainz im Ersten am 22. August 2023 um 22:00 Uhr.