Eine Drohne des Typs MQ-9 steht auf einem Militärstützpunkt in Afghanistan.

US-Drohneneinsätze Paradigmenwechsel bei den Grünen?

Stand: 11.08.2022 06:04 Uhr

Jahrelang haben die Grünen US-Drohneneinsätze als völkerrechtswidrig abgelehnt. Nun wollen sie sich offenbar nicht mehr dagegen stellen, auch wenn unbekannt ist, welche Angriffe über die US-Basis in Ramstein laufen.

Von Armin Ghassim und Jonas Schreijäg, NDR

Die Grünen wollen offenbar nicht mehr gegen mögliche Völkerrechtsbrüche durch US-Drohneneinsätze vorgehen. Diese Einsätze laufen auch über die US-Basis im deutschen Ramstein im Landkreis Kaiserslautern. Die Grünen hatten sie jahrelang als "völkerrechtswidrig" verurteilt. Die Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg, Vertreterin von B90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss, erklärte im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Panorama und dem Rechercheformat STRG_F (ndr/funk) nun: "Die Frage ist nicht, ob wir das könnten, sondern ob wir die Folgen, die damit einhergehen, in Kauf nehmen würden." Gemeint ist damit wohl, dass man diplomatischen Spannungen mit den USA aus dem Weg gehen möchte.

Das wäre ein Paradigmenwechsel: Noch 2019 forderten die Grünen in einem Bundestagsantrag mit dem Titel "Keine Nutzung der Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Tötungen" die damalige Bundesregierung dazu auf, "unverzüglich den verfassungs- und völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen und amtliche Ermittlungen zum Tod von ZivilistInnen zu veranlassen". Ferner solle sie gegenüber der US-Regierung klarstellen, "dass völkerrechtswidrige Tötungen über die Satelliten-Relaisstation auf der Ramstein Airbase den Fortbestand der Relaisstation in Frage stellen".

Damals hatten die Bundesregierung und das Auswärtige Amt auf wiederholte Anfragen der Grünen und Linken stets geantwortet, die USA hätten versichert, dass sie sich in Ramstein an "geltendes Recht" hielten.

Keine Informationen zu Angriffen über Ramstein

Auf eine aktuelle Anfrage von Panorama und STRG_F antwortet das nun grün geführte Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock wortgleich, dass es "in ständigem Austausch" mit den USA stehe und die USA wiederholt versichert hätten, sich in Ramstein an das Völkerrecht zu halten. Gleichzeitig erhalte das Auswärtige Amt von den USA jedoch überhaupt keine Informationen darüber, welche Angriffe konkret über Ramstein laufen.

So habe es etwa keine Kenntnis darüber, ob Ramstein bei der vor Kurzem durchgeführten Tötung des Al Kaida-Anführers Aiman al-Zawahiri beteiligt war. Die zuständige Stelle des Pentagon, das "CyberCommand", antwortet auf Anfrage, man teile grundsätzlich keine geheimdienstlichen Informationen zu Operationen. 

Interviewanfragen an Außenministerin Baerbock sowie an Staatsminister Tobias Lindner und Staatsministerin Katja Keul, die sich in der Opposition besonders gegen "völkerrechtswidrige Tötungen" eingesetzt hatte, lehnte das Ministerium über mehrere Monate ab.

Tausende zivile Opfer

Bei US-Drohnenangriffen im Nahen Osten und Afrika werden immer wieder auch Zivilisten getötet. Im Dezember 2021 veröffentlichte die "New York Times" nach mehrjähriger Recherche die "Civilian Casualty Files". Anhand von Dokumenten des Pentagon wurde belegt, dass die USA wissentlich Tausende zivile Opfer in Kauf nahmen und dass auch, nachdem intern Fehler ermittelt wurden, fast nie jemand zur Verantwortung gezogen wurde.

Koordination von US-Drohneneinsätzen über den deutschen US-Stützpunkt Ramstein völkerrechtswidrig?

Arnim Ghassim, NDR, mittagsmagazin 13:00 Uhr

Bereits zuvor waren mehrfach interne Dokumente geleakt worden, die einen fragwürdigen Umgang mit den tatsächlichen Opfern der eigenen Angriffe zeigten: 2014 gab es etwa eine militärinterne Untersuchung, die zu dem Ergebnis kam, dass 90 Prozent der Getöteten bei Drohnenangriffen nicht die eigentlichen Zielpersonen waren, sondern sogenannte "Bystander" - also Menschen, die gerade daneben standen. Wegen ihrer Nähe zum Ziel wurden sie aber nicht als Zivilisten gezählt. Wenn es Jungen älter als 15 Jahre waren, zählte das US-Militär sie häufig als feindliche Kämpfer, als "Military Age Males", also "Männer in wehrfähigem Alter".

Drohnenangriffe teils völkerrechtswidrig

Hinzu kommt: Auch aus Sicht zahlreicher Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler könnten gezielte Tötungen außerhalb von Kriegsgebieten, wie etwa die von al-Zawahiri, völkerrechtswidrig sein, da sie weder durch Kriegsrecht noch durch Strafrecht ("Todesurteil") gedeckt sind. Nach dem 11. September 2001 hatte die Regierung von George W. Bush ein Gesetz verabschiedet, wonach die USA Terrorverdächtige jederzeit und an jedem Ort töten dürfen. US-Präsident Joe Biden hatte im August 2021 während des Abzugs der Truppen aus Afghanistan angekündigt, dass man mit "den Fähigkeiten über dem Horizont" auch weiter Angriffe fliegen werde, wenn man dies für richtig halte.

Die Dokumentation von Panorama zum Thema, "Hinrichtung aus der Luft - Deutschland und der US-Drohnenkrieg", ist in der ARD-Mediathek abrufbar und läuft um 21.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 11. August 2022 um 07:48 Uhr.