Morgenpendler fahren mit dem Fahrrad auf einer als Fahrradstraße umfunktionierten Straße in Berlin.
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Fahrradhändler Händler werfen JobRad Erpressung vor

Stand: 08.04.2023 12:20 Uhr

Das Leasing von Dienstfahrrädern boomt. JobRad ist Pionier und Marktführer. Doch es gibt Streit mit Fachhändlern. Es geht um die Zahlung von Provisionen und die Frage von Marktmacht.

Fahrradhändler Oliver Claus weiß noch, was er gedacht hat, als er den neuen Vertrag von JobRad bekommen hat, dem größten Leasinganbieter für Diensträder: "Das ist Gewinnmaximierung auf meine Kosten. Die versuchen einfach, alles aus uns rauszuquetschen."

Claus führt den 122 Jahre alten Familienbetrieb "Fahrrad Claus" in Trebur in Hessen und verkauft dort hochwertige Räder und E-Bikes. Zuletzt verkaufte er auch viele Räder über den Leasinganbieter JobRad. In seinem Laden beschäftigt er vier Vollzeitangestellte. Mit den neuen Provisionen von JobRad könne er die nicht mehr ordentlich bezahlen: "Für mich würde es bedeuten, dass ich 40 Prozent von meinem Rohertrag an JobRad bezahle. Wenn ich das mitmache, trägt sich mein Fahrradgeschäft nicht mehr."

JobRad ist Pionier und Markführer beim Dienstfahrradleasing. Das Startup aus Freiburg hat in den vergangen zehn Jahren einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Das Prinzip: Arbeitgeber leasen Räder bei JobRad und überlassen es dann - meist gegen einen Gehaltsverzicht - ihren Angestellten. Diese Räder suchen sich die Angestellten dann häufig im stationären Fahrradhandel aus, die Abrechnung läuft über JobRad. Die Angestellten sparen dadurch in der Regel Steuern. Der Fahrradhandel gewinnt neue Kunden und JobRad verdient ebenfalls mit.

Win-Win-Geschäft?

Das Geschäft boomt. Laut Schätzungen sind deutschlandweit inzwischen mehr als 900.000 Diensträder anbieterübergreifend unterwegs. Branchenprimus JobRad verleaste 2022 mehr als 300.000 Räder. Jahrelang lief der Deal zwischen JobRad und den Fachhändlern wie geschmiert. Ein Win-Win-Geschäft für alle. JobRad brachte neue Kunden zu den Fahrradhändlern. Das durchschnittliche Rad kostet in dem Deal laut JobRad stolze 3500 Euro.

Doch jetzt gibt es Streit. Der Zwist erinnert an die Auseinandersetzung zwischen Taxifahrern und der Taxibestell-App Freenow oder an jene zwischen Hotels und Buchungsplattformen wie Booking. Im Kern geht es darum: Wie viel Geld soll der Vermittler neuer Kunden von Gewinn abbekommen?

Streitpunkt Provision

Bisher erhält JobRad sieben Prozent Provision, allerdings gedeckelt auf maximal 200 Euro pro Rad. Zukünftig sinkt der Prozentsatz, den JobRad bekommt, von sieben auf vier bis sechs Prozentpunkte, je nach Umsatzvolumen des Händlers. Was zunächst gut klingt, hat aus Sicht von Händler Oliver Claus allerdings zwei Haken. Die Deckelung der Provision auf maximal 200 Euro fällt weg. Laut neuem Vertrag darf die Provision nicht mehr auf den Preis aufgeschlagen werden. Das bedeutet, gerade bei sehr lukrativen teuren Rädern sinkt die Marge für den Händler. "Ich habe die 200 Euro immer auf den Preis aufgeschlagen und das den Kunden auch klar kommuniziert", sagt Claus.

Laut Zahlen des Branchenverbandes "Verbund Fahrrad und Service" (VSF) müssen vor allem umsatzstarke Fahrradhändler mit Angestellten jetzt mehr Geld an JobRad abgeben. Das bedeutet: JobRad kassiert mehr. Auf Nachfragen, warum der Preis nicht mehr aufgeschlagen werden darf, geht JobRad nicht direkt ein. Die Pressesprecherin schreibt: "Wir pflegen zu unseren Partnern ein Verhältnis auf Augenhöhe. JobRad erpresst niemanden. Mit der neuen Rabattsystematik haben wir ein transparentes und faires Konditionenmodell für unsere Fachhandelspartner entwickelt."

Erhebliche Umsatzverluste

Bei vielen Händlern macht JobRad mittlerweile einen erheblichen Teil des Geschäftes aus. Ein Händler aus Süddeutschland, der aus Sorge vor Konsequenzen seitens JobRad nicht namentlich genannt werden will, sagte dem ARD-Magazin Panorama, dass 30 Prozent seines Umsatzes von dem Modell abhängig sind: "JobRad nutzt unsere Abhängigkeit kaltschnäuzig aus und erpresst uns." 

Große Arbeitgeber in der Region haben JobRad als Exklusivpartner. "Das bedeutet, wenn ein einzelner Händler nun entscheiden würde, einfach nicht zu unterschreiben, wird er schlagartig einen erheblichen Anteil seines Umsatzes verlieren. Das kann sehr schnell die Existenz bedrohen oder die Kündigung von Mitarbeitern nach sich ziehen."

Oft kein echter Wettbewerb mehr

Denn JobRad verhandelt nicht über die neuen Konditionen. "Es ist ein Friss oder Stirb", sagt Oliver Claus. Er hat JobRad mehrfach gebeten, ein anderes Angebot zu machen: "Doch von dort kam nur frostige Stille." JobRad schreibt dazu: "Individuelle Konditionen für einzelne Fachhandelspartner auszuhandeln, widerspräche unserem Anspruch nach Transparenz und Fairness." Doch auch auf Verhandlungsangebote mit dem Branchenverband der Händler VSF ging JobRad nicht ein.

Was die Händler stört: Die Arbeitgeber entscheiden, über welchen Anbieter das Rad verleast wird, viele Firmen arbeiten exklusiv mit nur einem Partner zusammen. Das ist häufig JobRad. Hat sich ein Arbeitgeber einmal entschieden, gibt es oft keinen echten Wettbewerb mehr. "Manche Wettbewerber verlangen gar keine Provisionen", erzählt ein Händler: "Aber weder wir noch die Arbeitnehmer haben Einfluss, mit wem die Arbeitgeber Verträge schließen." JobRad arbeitet unter anderem mit BMW, Porsche, Bosch, der Deutschen Bahn und dem Land Baden-Württemberg zusammen.

Schwieriger Nachweis von Marktmacht

Manche Händler fragen sich, ob JobRad seine Marktmacht ausnutzt, ob das Unternehmen gegen das Kartellrecht verstößt. Ein wegweisendes Urteil fällte der Bundesgerichtshof 2018 gegen EDEKA. Nach der Übernahme von "Plus" im Jahr 2008 hatte EDEKA von Sekt-Lieferanten einseitig Rabatte verlangt. Wer den Rabatten nicht zustimmte, wurde aus dem Regal genommen. Nach Einschätzung der Richter am BGH war das ein Missbrauch der Marktmacht.

JobRad teilt mit, der Fall "hat mit unserem Geschäftsmodell nichts zu tun. Den Anwendungsbereich des Urteils sehen wir in keiner Weise als gegeben." Auch der Volkswirt Professor Georg Götz von der Universität Gießen ist skeptisch, ob der Fall juristisch angreifbar ist: "Es ist sehr schwierig, eine solche relative Marktmacht nachzuweisen", sagt er.

Man müsse klären, wie groß der Leasinganteil am Gesamtmarkt ist, und dann wiederum, ob JobRad insgesamt tatsächlich eine marktbeherrschende Stellung habe: "Da sehe ich kartellrechtlich wenig Chancen. Es ist auch nicht zu vernachlässigen, dass sich die stationären Händler in den vergangenen Jahren selbst in diese Abhängigkeit begeben und dadurch gut verdient haben."

Fahrradhändler Oliver Claus hat den Vertrag mit JobRad jetzt gekündigt. "Das ist einfach kein Arbeiten auf Augenhöhe." Wenn er zustimmen würde, müsst er das Geld irgendwo reinholen. Das wäre nur möglich, indem er Kunden nicht mehr so gut beraten würde oder schneller und schlampiger Räder aufbaut. Ein Schritt, den er nicht machen will. Im Juni ist er dann kein Teil von JobRad mehr.