Auf einem Tisch in einem Bonner Gerichtssaal stehen Gesetzestexte.
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Cum-Ex Das 250-Millionen-Euro-Rätsel

Stand: 23.05.2024 15:23 Uhr

Ein britischer Aktienhändler gilt im Skandal um gestohlene Cum-Ex-Milliarden als zentrale Größe der Szene. Weil er mit der deutschen Justiz kooperierte, fiel seine Strafe milde aus. Nun enthüllen Recherchen von WDR, NDR und SZ ein unbekanntes Millionen-Vermögen.

Von Petra Blum, Massimo Bognanni, WDR, Lisa Steck und Benedikt Strunz, NDR

Martin S. ist ein Glücksfall für die deutsche Justiz. Der britische Aktienhändler war über Jahre hinweg tief in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte verstrickt. Bei dem undurchsichtigen Handel mit Aktien ließen sich Banken und Anleger über Jahre hinweg Steuern vom Staat zurückerstatten, die sie niemals gezahlt hatten.

Allein dem deutschen Fiskus entstand durch die Deals ein Steuerschaden in Höhe von schätzungsweise mehr als zehn Milliarden Euro.

Doch als Martin S. im September 2019 vor dem Bonner Landgericht erscheint, entscheidet er sich dafür, reinen Tisch zu machen. In den kommenden Tagen erklärt er detailreich, wie genau der größte Steuerdiebstahl in der Geschichte der Bundesrepublik abgelaufen ist. Auf neuerliche Nachfrage erklärt S., "seinerzeit in vollem Umfang mit der Staatsanwaltschaft Köln kooperiert" zu haben; durch seine Aussagen seien viele weitere Cum-Ex-Verfahren eröffnet worden.

Zwei Jahre auf Bewährung

Und Martin S. zeigt vor Gericht Reue für das, was er getan hat und erklärt, dass er seit 2011 nichts mehr mit den illegalen Geschäften zu tun gehabt habe. Für den Aktienhändler, der nach eigenen Angaben bis heute mit den Strafermittlern kooperiert, zahlt sich die Offenheit aus: Martin S. kommt mit einer glimpflichen Strafe von zwei Jahren auf Bewährung davon, zusätzlich wird er 2020 zu einer Zahlung in Höhe von 14 Millionen Euro verurteilt.

Doch nun werfen Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung neue Fragen auf. Vertrauliche Unterlagen zeigen, dass Martin S. zum Zeitpunkt seiner Gerichtsverhandlung in Bonn noch Miteigentümer einer Briefkastenfirma auf den Kaiman-Inseln war, die im Cum-Ex-Skandal eine wichtige Rolle gespielt hatte. Das geht aus Dokumenten des Finanzdienstleisters "Genesis Trust" hervor, die dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zugespielt wurden. Das ICIJ hat die Papiere mit internationalen Partnermedien geteilt.

Gemeinsam mit seinem einstigen Geschäftspartner Paul Mora betrieb Martin S. über die Firma "Arunvill Capital Limited" jahrelang illegale Cum-Ex-Geschäfte. Dass er zum Zeitpunkt seiner Gerichtsverhandlung noch Miteigentümer der Firma war, ist der Staatsanwaltschaft Köln bekannt. Recherchen zeigen nun, dass sich im gleichen Jahr noch 250 Millionen britische Pfund in einer Tochterfirma der Arunvill befunden haben.

Martin S. teilte auf Anfrage mit, er könne die Annahme, wonach die Firma zu irgendeinem Zeitpunkt Vermögenswerte in Höhe von 250 Millionen Pfund besessen habe, nicht nachvollziehen. Er nehme an, dass die Vermögenswerte eines Unternehmens durch die Verbindlichkeiten eines anderen Unternehmens ausgeglichen wurden.

Geflecht mehrerer Tochterunternehmen

Die Unterlagen zeigen, dass die Arunvill Capital Limited an der Spitze eines Geflechts mehrerer Tochterunternehmen stand. Über sie wurden offenbar bis 2011 Cum-Ex-Geschäfte abgewickelt. Und offenbar waren die Firmen auch nach 2011 noch durchaus lukrativ.

Im Jahr 2019 wendet sich der Finanzdienstleister "Genesis Trust" schriftlich an die Aufsichtsbehörden der Kaiman-Inseln, weil ihm die Geschäfte von Martin S.' Firma verdächtig vorkommen. Bald wird eine von zwei Tochterfirmen aufgelöst, heißt es in dem Schreiben, wodurch eine Dividende in Höhe von 800.000 Euro fällig werde.

Es ist ungeklärt, ob Martin S. von den Gewinnen einen Anteil erhielt. Er selbst bestreitet dies. Und erklärt, dass er auch nicht wisse, ob die geplante Dividende eventuell in andere Briefkastenfirmen weitergeflossen sein könnte. Unwissend gibt sich Martin S. auch, wenn man ihn auf einen anderen Sachverhalt anspricht: Ausweislich der Unterlagen, die WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten, wurde die mysteriöse Briefkastenfirma Arunvill 2019 weiterverkauft, samt Tochterfirmen.

Im gleichen Jahr wies eine Tochterfirma wie beschrieben ein Vermögen in Höhe von 250 Millionen britischen Pfund aus. Auch dieser Verkauf weckte damals das Misstrauen des Finanzdienstleisters. Nicht zuletzt, weil unklar sei, wer in dem Millionen-Geschäft als Käufer auftrete, heißt es in einem entsprechenden Bericht. Klar sei lediglich, dass es sich bei Alexander S. um einen Russen handelte.

 

Hausbank - eine Bank in Gibraltar

Wo sind die 250 Millionen Pfund heute? Handelt es sich dabei möglicherweise um Geld, das ebenfalls aus fragwürdigen Aktiengeschäften stammte? Die Tochterfirma gibt als Hausbank eine Bank in Gibraltar an, einer verschwiegenen Steueroase, auf die EU-Behörden wenig Zugriff haben.

Weder Paul Mora, noch der russische Staatsbürger Alexander S. wollen sich zu dem eigentümlichen Verkauf der Arunvill äußern. Auch der Dienstleister, der "Genesis Trust" inzwischen übernommen hat, ließ mehrmalige Anfragen unbeantwortet.

Auf Anfrage ließ Martin S. mitteilen, er habe mit Cum-Ex und seinem einstigen Geschäftspartner und Freund Paul Mora gebrochen, sei auch nicht mehr in die Informationsflüsse eingebunden gewesen und wisse nicht, an wen Arunvill Capital letztlich verkauft worden sei und zu welchem Preis.


Martin S. beteuert, er wisse nichts von Millionen-Werten in der einstigen Cum-Ex-Firma. Für den Verkauf der Arunvill seien ihm lediglich 100 Dollar zugesagt worden, und auch die habe er nicht erhalten. Auch heute noch zeigt sich Martin S. reuig und ließ schriftlich erklären: "Heute sehe ich klar, dass ich Fehler gemacht habe. Ich bedaure diese zutiefst".

Die Staatsanwaltschaft Köln erklärte auf Anfrage, Martin S. umfassend zu allen Cum-Ex-Geschäften befragt zu haben. Zudem habe er ihr mitgeteilt, er habe sich von der Arunvill-Gruppe getrennt. Abgeschlossen seien die Ermittlungen um die Arunvill-Gruppe allerdings noch nicht.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel um eine erweiterte Stellungnahme von Martin S. ergänzt.