Demonstrierende fordern die Freilassung von Ex-Präsident Saakaschwili aus dem Gefängnis
Exklusiv

Georgien Wie weit geht die Regierung?

Stand: 10.03.2023 18:01 Uhr

Die Regierung in Georgien zeigt keine Gnade gegenüber dem inhaftierten Ex-Präsidenten Saakaschwili, der gesundheitlich schwer angegriffen ist. Eine Zeugenaussage deutet darauf hin, wie weit die Regierung gehen könnte.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Protest gegen die Regierenden ist in Georgien Teil der Kultur. Beim aktuellen Aufruhr gegen das Gesetz zu "Agenten ausländischer Einflussnahme" fehlte eine prominente Figur: Michail Saakaschwili. Der ehemalige Präsident Georgiens hatte einst selbst massive Proteste provoziert und Demonstrationen mit Gewalt niederschlagen lassen.

Saakaschwili brachte das Volk so sehr gegen sich auf, dass seine Partei Vereinte Nationale Bewegung 2012 gegen die neue Partei Georgischer Traum verlor - angeführt vom schwerreichen Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili. Der hatte Saakaschwilis Regierung lange aus dem Verborgenen finanziell unterstützt. Mit den Jahren schlug seine Sympathie in Ablehnung und schließlich persönliche Feindschaft um, die er in seinen Aussagen über den politischen Gegner nicht verhehlt.

Saakaschwili wurde nach seiner Abwahl wegen Machtmissbrauchs zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er entzog sich der Haft, ging in die Ukraine, wo er Gouverneur der Region Odessa wurde - und konnte doch nicht von der Politik in Georgien lassen. Immer wieder kündigte er seine Rückkehr und die Vertreibung der Partei Iwanischwilis von der Macht an, bis er im Herbst 2021 heimlich zurückkehrte, aber nach wenigen Tagen von der Polizei gestellt wurde und im Gefängnis landete.

Im Gefängnis vergiftet?

Viele in Georgien sahen seine Haftstrafe als gerechtfertigt an und hielten es für übertrieben, als er in Hungerstreik ging und Misshandlungen beklagte. Schließlich behaupteten seine Anwälte und Experten, Saakaschwili sei mit Schwermetallen vergiftet worden. Er müsse zur Behandlung ins Ausland gebracht werden. Tatsächlich wirkte er im Dezember bei einer Gerichtsverhandlung, zu der er per Video aus dem Krankenhaus zugeschaltet wurde, nur mehr wie ein Schatten seiner selbst. Der 55-Jährige war abgemagert und ergraut, hatte sichtlich körperlich und geistig abgebaut.

Trotz dringlicher Appelle aus dem In- und Ausland lehnt das Stadtgericht von Tiflis eine Strafaussetzung bislang ab - die Justiz in Georgien gilt als politisch abhängig. Die Regierung gibt sich unnachgiebig. Premier Irakli Garibaschwili warf Saakaschwili bei einer Paneldiskussion auf der Sicherheitskonferenz in München ungerührt vor, seinen Verfall nur vorzuspielen und selbst an seinem Zustand schuld zu sein.

Wie weit reicht die Feindschaft?

Garibaschwili war einst Assistent Iwanischwilis. Auch andere ehemalige Mitarbeiter und Getreue des Geschäftsmannes, der seinen Vermögen einst in Russland machte, bekleiden wichtige Posten im Land. Die Frage ist: Was würden Iwanischwili und seine Leute in Kauf nehmen und wie weit sind sie bereit zu gehen - gegen Saakaschwili und Menschen, die mit ihm verbunden waren?

Diese Frage stellt sich ein junger Mann, der auf den ersten Blick nichts mit Saakaschwili zu tun hat: Ein 32-jähriger Tschetschene. Issa soll er hier heißen, seinen richtigen Namen möchte er aus Furcht um sich und seine Familie nicht öffentlich nennen. Seine Geschichte kann im Einzelnen nicht geprüft werden, ohne ihn und andere zu gefährden, aber sie ist plausibel.

Issa wuchs im georgischen Pankisi-Tal und in Tschetschenien auf. Die Tschetschenien-Kriege in Russland prägten seine Kindheit. Er kannte ehemalige Kämpfer - unter ihnen Selimchan Changoschwili, der 2019 im Berliner Tiergarten von einem Russen ermordet wurde. Der Auftrag kam von höchsten Stellen in Moskau, wie das Berliner Kammergericht in seinem Urteil 2021 feststellte.

Changoschwili war aus Furcht um sein Leben nach Deutschland geflohen, nachdem er 2015 einen Anschlag in Tiflis überlebt hatte. Die georgischen Behörden unternahmen jedoch nichts, um den Fall aufzuklären oder Changoschwili sonst zu schützen. Er und andere Tschetschenen sind für die Regierungspartei Gegner, weil sie einst mit Saakaschwilis Führung kooperiert hatten. Außerdem meidet sie jeden Konflikt mit Russland.

Changoschwili hoffte nach dem Anschlag auf Unterstützung Saakaschwilis und folgte ihm nach Odessa. Den jungen Issa engagierte er als Personenschützer. Doch nach einigen Monaten verließen sie die Ukraine, weil auch da die Lage zu unsicher wurde. 2017 wurde ein früherer Mitstreiter Changoschwilis im Zentrum Kiews bei einem Autobombenanschlag getötet.

Aussagen zu Saakaschwili gefordert

Der Tod Changoschwilis verfolgt Issa bis heute: Als er im Mai 2022 nach Georgien einreiste, sei er drei Mal vernommen werden - gleich am Flughafen, dann einen Tag und nochmals zwei Wochen später in einer Polizeistation im Pankisi-Tal.

Die Mitarbeiter des Staatlichen Sicherheitsservice Georgiens (SSSG) seien erst freundlich, dann immer aggressiver aufgetreten, berichtet er. Der SSSG ist ein Geheimdienst mit einem breiten Aufgabenspektrum im Sicherheitsbereich, der direkt dem Premierminister untersteht. Issa erinnert sich an drei Namen: Morisi, Vano und Dato.

Sie legten es offenbar darauf an, Aussagen von ihm zu erpressen, die auf seine Verbindung zu Changoschwili und darüber zu Saakaschwili führen: Issa habe bezeugen sollen, dass es Saakaschwilis Partei Vereinte Nationale Bewegung war, die diesen 2021 zurück nach Georgien lockte und dafür sorgte, dass die Polizei den Haftbefehl gegen Saakaschwili vollstrecken konnte. Darüber hinaus sollte Issa erklären, dass die Partei Saakaschwilis Tod wolle und schuld sei, wenn Saakaschwili in der Haft sterbe.

Was zunächst weit hergeholt klingt, passt aber zu Aussagen von Regierungsmitgliedern wie jener, dass Saakaschwili seinen Verfall nur vortäusche. Und es würde die schlimmsten Befürchtungen bestätigen, dass sie den Tod des ehemaligen Präsidenten hinnehmen würden - auch wenn es Warnungen von EU-Abgeordneten gibt, dass Georgien dann den angestrebten Kandidatenstatus Ende dieses Jahres nicht erhalten wird.

Die Grünen-Abgeordnete im Europa-Parlament, Viola von Cramon, sagt: "Die politischen Entwicklungen in Georgien werden mit großer Mehrheit hier im Europäischen Parlament sehr kritisch gesehen." Dass der Saakaschwilli weder einen fairen Prozess in Georgien erfahre noch unter würdigen Bedingungen inhaftiert sei, erschüttere alle Freunde Georgiens.

"Aber dass noch nicht einmal ansatzweise eine Debatte über eine humanitäre Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb von Georgien erwägt wird und damit im Grunde auch ein möglicher Tod von Saakaschwilli von der georgischen Regierung in Kauf genommen wird, ist ein weiterer Tiefpunkt in der Zusammenarbeit mit der EU. Sollte er tatsächlich versterben, dürften damit vermutlich die EU-Perspektiven des Landes bis auf weiteres begraben werden."

Angst vor der Rückkehr

Issa nahm nach dem dritten Verhör Kontakt zu einem früheren Vertrauten von Changoschwili auf. Dieser weihte einen Politiker der Vereinten Nationalen Bewegung ein, sein Name ist der Autorin bekannt. Der Politiker habe gesagt, wenn Issa zustimmen würde, diese Aussagen zu machen, sei er ein Risiko für die georgische Regierung. Er solle besser ins Ausland gehen. Auch fürchtet Issa wie viele Verwandte Changoschwilis, in Georgien nicht sicher vor Racheakten aus Russland zu sein. Seit Langem werden auch Angehörige von Gegnern und ehemaligen Kämpfern drangsaliert, entführt und auch getötet.

Issa ging nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Einen Eilantrag gegen den Bescheid lehnte das Verwaltungsgericht Potsdam in der vergangenen Woche ab, auch weil Schweden ihm kein Asyl gewährt hatte. Issa fürchtet auch um seine Frau und seine vier Kinder, die in einem Heim leben und jeden Tag mit der Abschiebung rechnen. "Die Behörden glauben uns erst, wenn wir tot sind", sagt er mit Blick auf Changoschwili, der auch kein Asyl in Deutschland erhalten hatte, weil er nicht gefährdet sei.

"Aufgrund der heiklen innenpolitischen Situation in Georgien sollten alle Behörden in Deutschland eine Abschiebung sehr genau prüfen und im besten Falle für die gefährdeten Bewerber diese bis auf weiteres aussetzen. Andererseits kann das Leben der potentiell Abzuschiebenden nicht garantiert werden", appelliert die Grünen-Politikerin von Cramon.