
Lindners Steuerpläne Kanzler äußert "grundsätzliches Wohlwollen"
Finanzminister Lindner hat Pläne vorgelegt, um die kalte Progression auszugleichen. Kanzler Scholz äußerte "grundsätzliches Wohlwollen". In der Ampel-Koalition treffen die Vorschläge aber auch auf Kritik.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich hinter die Steuervorschläge von Finanzminister Christian Lindner zum Ausgleich der kalten Progression gestellt. Der Kanzler sehe die Vorschläge mit "grundsätzlichem Wohlwollen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er machte klar, die Pläne seien als Teil eines größeren Gesamtkonzepts zu sehen, das angesichts immenser Kostensteigerungen etwa für Energie in den nächsten Wochen entwickelt werden solle. Die Ressortabstimmung beginne nun, so Hebestreit. Das Konzept werde so entwickelt, dass es vom Kabinett die nötige Unterstützung finde.
Hebestreit verwies auf Aussagen von Scholz, dass die Bürgerinnen und Bürger mit den steigenden Preisen nicht allein gelassen werden sollten. Scholz habe in seiner früheren Funktion als Finanzminister zweimal die kalte Progression korrigiert. Nun stehe diese Korrektur ein drittes Mal an.
Lindner will kalte Progression ausgleichen
Als kalte Progression bezeichnet man eine Art schleichende Steuererhöhung, wenn Gehaltserhöhungen durch die Inflation aufgefressen werden, aber dennoch zu einer höheren Besteuerung führen. Dann fallen höhere Steuern an, obwohl die Kaufkraft real gar nicht steigt. Lindner will diese durch Steuersenkung in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro ausgleichen.
Er hatte zuvor die Eckpunkte für ein "Inflationsausgleichsgesetz" vorgestellt. Würde das Gesetz beschlossen werden, würden 48 Millionen Menschen davon profitieren, so der FDP-Politiker. Durchschnittlich läge die Entlastung bei 192 Euro. Der Finanzminister will so für einen Ausgleich der Inflation die breite Mitte der Gesellschaft entlasten. "Die Menschen sind angesichts der Inflation besorgt", sagte Lindner. Angesichts der Befürchtung von steigenden Preisen für Gas und Lebensmittel sei man in einer Situation, wo gehandelt werden müsse.
Lindner sieht "Steuererhöhung durch Unterlassung"
Der Minister sprach von einer "Steuererhöhung durch Unterlassung", die er abwenden wolle. Vorgesehen seien eine Anhebung des Grundfreibetrages bei der Einkommensteuer, Änderungen im Steuertarif sowie Anhebungen von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Bei allen, deren Jahreseinkommen unter 62.000 Euro liegt, solle der Entlastungseffekt die Mehrbelastung durch die kalte Progression übersteigen, so Lindner.
"Hier geht es nicht um eine Entlastung, sondern um einen Verzicht auf Belastung." Auch er sei dafür, dass "starke Schultern mehr tragen sollen als schmale Schultern", sagte der Finanzminister. Durch die kalte Progression würden aber auch "Menschen belastet, deren Schultern gar nicht breiter geworden sind".
Nouripour zurückhaltend zu Steuerplänen
Das Vorhaben des Finanzministers ist in der Ampelkoalition jedoch umstritten. Von SPD und Grünen werden stattdessen gezielte Entlastungen für Einkommensschwache gefordert. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour äußerte sich zurückhaltend zu den Steuerplänen Lindners. Nouripour sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Für Herbst und Winter braucht es ein Maßnahmenpaket, das insbesondere Menschen mit wenig Geld, mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet - gerade, wenn der Staat nicht unbegrenzt entlasten kann."
Selbstverständlich könne der Finanzminister Vorschläge machen, so Nouripour. "Wir werden am Ende in der Koalition gemeinsam darüber beraten, welche Maßnahmen sinnvolle und gezielte Entlastungen sind."
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte: "Steuersenkungen in Milliardenhöhe, von denen Topverdiener dreimal so stark profitieren wie Menschen mit kleinen Einkommen, gehen an der Realität vorbei." Es müssten nun Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden.
SPD-Fraktionsvize: Vorschläge "verbesserungsbedürftig"
"Ein weiterer kräftiger Entlastungsimpuls bis in die Mitte der Gesellschaft ist richtig und notwendig, sollte aber vor allem auf Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zielen", sagte der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Achim Post, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Vorschläge des Finanzministers seien unter diesem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit noch verbesserungsbedürftig.
Post betonte zudem, dass ein vollständiger Abbau der sogenannten kalten Progression gerade in der jetzigen Phase einer hohen Inflation "äußert kostspielig und alles andere als zielgerichtet" wäre, da hohe Einkommen davon besonders stark profitieren würden. "Die vorgeschlagenen Anhebungen beim Grundfreibetrag und Kindergeld gehen zwar in die richtige Richtung, reichen jedoch nicht aus", sagte er. Die hohen Energie- und Lebensmittelpreise träfen vor allem kleine und mittlere Einkommen.
Union begrüßt Lindners Vorschläge
Unterstützung für seine Pläne erhielt Lindner aus der Union. "Wir halten das für richtig. Die Vorschläge des Finanzministers gehen in die richtige Richtung", sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz der Nachrichtenagentur dpa. Die aus den Reihen von SPD und Grünen laut gewordene Kritik wertete er als Beleg für den "beschämenden Zustand" der Bundesregierung. "Dieses ganze Bundeskabinett arbeitet doch erkennbar nicht zusammen und ist völlig zerstritten. Schon bevor der Bundesfinanzminister Vorschläge in der Öffentlichkeit macht, fallen grüne Kabinettskollegen über ihn her", sagte Merz.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner, sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Die Entlastungsvorschläge von Herrn Lindner sind zwar noch ausbaufähig, gehen aber in die richtige Richtung". Auch sie warf der Ampelkoalition Handlungsunfähigkeit in der Frage der kalten Progression vor. "Grüne und SPD haben schon im Vorfeld den Vorschlägen widersprochen", sagte Klöckner. "Die Bürger wollen angesichts einer immer höheren Inflation endlich die Umsetzung von Entlastungen statt immer neuer Diskussionen innerhalb der Ampel."
Nein der Linken, grundsätzliches Ja der AfD
Der finanzpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Bundestag, Christian Görke, nannte Lindners Steuerplan einen Witz. Die unteren 70 Prozent der Bevölkerung würden fast komplett leer ausgehen, da sie kaum Einkommensteuer zahlten. "Eine Senkung hilft ihnen daher nur minimal. In absoluten Zahlen profitieren Spitzenverdiener nach Lindners Vorschlag sogar am stärksten."
Für den stellvertretenden Bundessprecher der AfD, Peter Boehringer, sind die Pläne des Finanzminister "grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung". Doch sie gingen nicht weit genug. Die Rechtsverschiebung des Einkommensteuertarifs müsse deutlicher ausfallen als vorgeschlagen und bereits für das laufende Jahr umgesetzt werden. "So hingegen hinkt der Inflationsausgleich der Bürger der tatsächlichen Inflation hinterher und bewegt sich in einer Größenordnung, die die Preisexplosion der letzten Monate im Grunde ignoriert", so Boehringer.