Polizist

Extremismus bei der Polizei Viele Verdachtsfälle, keine Studien

Stand: 16.09.2020 13:23 Uhr

NRW-Innenminister Reul will ein Lagebild Rechtsextremismus bei der Polizei erstellen lassen. Schon seit Jahren wird über Studien diskutiert, um die politischen Einstellungen von Polizisten zu analysieren.

Mehr als 200 Beamte der Polizei in NRW sind mit einer Razzia gegen Kollegen vorgegangen, die in Chatgruppen rechtsextremistische Hetze verbreitet haben sollen. Es seien insgesamt 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen durchsucht worden, sagte Landesinnenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker kündigte an, ein Sonderbeauftragter werde nun unter anderem ein Lagebild über Rechtsextremismus in der Polizei erstellen.

Seehofer sagte Studie ab

Erst im Juli hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Studie über rassistische Einstellungen bei der Polizei im Kontext mit dem sogenannten "Racial Profiling" abgesagt. Das Innenministerium begründete Seehofers Entscheidung unter anderem damit, dass "Racial Profiling" verboten ist.

Für seine Weigerung wurde Seehofer auch aus den Reihen der Polizei scharf kritisiert. Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), nannte Seehofers Begründung in den tagesthemen "einigermaßen peinlich" und in sich nicht schlüssig. Bei einer unabhängigen Rassismus-Studie gehe es darum, Vertrauen in der Bevölkerung in die Polizei zu gewinnen, sagte Fiedler. Sollte eine solche Studie dann Probleme in der Polizei feststellen, dann hätten die Polizeibehörden selber ein Interesse daran, diese Probleme offenzulegen und "offensiv anzugehen".

Jahrelange Debatte

Die Debatte über solche Untersuchungen wird aber seit Jahren geführt. Sachsens damaliger Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) hatte bereits 2016 die Frage aufgeworfen, "ob die Sympathien für 'Pegida' und die AfD innerhalb der sächsischen Polizei größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt".

Wissenschaftler halten es durchaus für plausibel, dass es unter Polizisten eine höhere Affinität zu rechten Einstellungen gib. Der Kriminologe Christian Pfeiffer sagte dem ARD-faktenfinder im Jahr 2018, ein Beruf, bei dem man mit Waffen zu tun habe, "Law and Order" durchsetze und so direkt Macht ausübe, sei eher für Personen mit sehr konservativem oder rechtem Weltbild attraktiv. Dies sei kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Polizei, sondern generell bei solchen Berufen zu beobachten. Das bedeutet nicht, dass alle Polizisten rechts seien, aber solche Berufe seien bei Rechten beliebter als beispielsweise bei links-orientierten Personen.

Der Soziologe Rafael Behr stellte in der "Süddeutschen Zeitung" fest, es gebe "seit jeher wenige Linke und Grüne bei der Polizei". Ihre Mitglieder seien "in langer Tradition entweder fest im sozialdemokratischen Lager verankert und dort mittig oder am rechten Rand zu verorten, oder aber in der CDU und rechts davon". Die Polizei sei insgesamt "eine wertkonservative Organisation. Das ist aber erstmal nichts Schlechtes, das heißt ja auch, dass sie beständig ist."

Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke betonte im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, es könnten auch praktische Erfahrungen aus der Polizeiarbeit zu fremdenfeindlichen Einstellungen führen. "Wenn Polizisten in Metropolen immer wieder erleben, dass sie Dealer festnehmen - und eine Woche später stehen die selben Personen wieder dort, kann dies zu Frustration und Verallgemeinerungen führen."

Studien aus den 1990er-Jahren

Jaschke war es, der Ende der 1990er-Jahre eine empirische Studie über die Einstellungen von Polizisten erstellt hatte. Dafür befragte ein Forscher-Team rund 500 Beamte in Frankfurt. Die Ergebnisse: Bei der Polizei herrsche mitunter ein problematisches Betriebsklima. Diskriminierendes Alltagsverhalten gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen werde "aus Gründen der Kameraderie und des Korpsgeist goutiert oder geduldet". Fremdenfeindliche Attitüden entstünden auch, weil bei Dienstbesprechungen und in der Fortbildung rassistisches Verhalten unberücksichtigt oder tabuisiert bliebe. 

Allerdings könne man solche Ergebnisse nicht einfach auf heute übertragen, warnt Wissenschaftler Jaschke. Es sei zu vermuten, dass es angesichts der politischen Veränderungen in der Gesellschaft auch bei der Polizei entsprechende Tendenzen zu beobachten seien.

Diverse Vorfälle

In den vergangenen Jahren hat es in Deutschland eine ganze Reihe von rechtsextremen Anschlägen gegeben, die Behörden beobachten mit Sorge eine Radikalisierung in einem Teil der Bevölkerung. Und auch Polizisten sowie Soldaten tauchen in diesem Kontext immer wieder auf: seien es Prepper-Gruppen wie "Nordkreuz", Drohscheiben an Menschen, deren Daten von Polizeirechnern abgerufen worden waren, Verdachtsfälle gegen Polizisten in verschiedenen Bundesländern oder mutmaßliche Warnungen vor Durchsuchungen, die von Polizisten in die rechtsextreme Szene durchgesteckt worden seien. Dazu kommen verschiedene Vorfälle mit Soldaten - sogar in einer Eliteeinheit, die nun schärfer kontrolliert werden soll.

Was kann das Lagebild leisten?

Dies könnten Einzelfälle sein, sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang Ende 2019. "Aber aus meiner Wahrnehmung zu viele Einzelfälle, als dass man sie nicht noch einmal in ihrer Gesamtheit betrachten muss, und schauen muss: Gibt es da Netzwerke?"

Im September soll das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Lagebild zu Rechtsextremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden und im öffentlichen Dienst vorlegen. Die Analyse sollte eigentlich schon früher fertig werden. Ob das Lagebild schließlich wirklich aussagekräftig sein wird, ist noch unklar. Denn nach Informationen von NDR, WDR und SZ fehlten dem Verfassungsschutz solide Daten aus den Bundesländern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. September 2020 um 14:00 Uhr.