Die Schatten von zwei Erwachsenen und einem Kind fallen in den Morgenstunden auf den Asphalt.

Reformprojekt Der lange Weg zur Kindergrundsicherung

Stand: 13.05.2023 11:28 Uhr

Bundesfamilienministerin Paus hofft, dass noch vor der parlamentarischen Sommerpause Details zur Kindergrundsicherung stehen. Doch die zuständige Arbeitsgruppe kommt offenbar nur schleppend voran.

Von Sarah Frühauf, ARD Berlin

Als das Bundesfamilienministerium vor ein paar Tagen zur Pressekonferenz mit dem Titel "Ökonomische Fragen der Kindergrundsicherung" einlud, waren die Erwartungen hoch. Gibt es etwas Neues zum Prestigeprojekt der Grünen, über das die Ampel-Koalition seit Wochen öffentlich heftig debattiert?

Doch der Erkenntnisgewinn war eher gering. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) ging es offenbar vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Seit Monaten kämpft sie um Rückhalt für ihr Prestigeprojekt, in dem alle bisherigen Leistungen wie das Kindergeld und der Kinderzuschlag gebündelt werden sollen.

Streitpunkt ist die Finanzierung

Nun holte sie sich also dem Projekt wohlgesinnte Wissenschaftler an die Seite. So versicherte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, den anwesenden Medienvertretern, dass die Kindergrundsicherung eine wirtschaftliche Investition in die Zukunft sei.

Nur, dass eine Kindergrundsicherung für von Armut betroffene Familien wichtig ist und es sie künftig geben soll, ist keine Neuigkeit. Darüber herrscht unter den Ampel-Koalitionären Konsens. Streitpunkt ist die Finanzierung. Seit Paus zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung beanspruchte, steht die Frage im Raum: Wofür braucht es so viel Geld?

Es gibt zwar Eckpunkte, die das Familienministerium Anfang des Jahres vorgestellt hat, doch die genaue Ausgestaltung ist immer noch unklar. Vor allem in der FDP ist man unzufrieden über das Tempo, in dem das grün-geführte Familienministerin an dem Projekt arbeitet. Denn bevor sie über die Finanzierung reden, wollen die Liberalen mehr Details zur Kindergrundsicherung wissen.

Zweifel am Zeitplan

Von Koalitionsmitgliedern ist zu hören, dass man seit Wochen darauf dränge, die interministerielle Arbeitsgruppe zur Kindergrundsicherung solle ihre Arbeit intensivieren. Diese Arbeitsgruppe, kurz IMA, wurde im vergangenen Jahr vom Familienministerium eingesetzt. Auf sie beruft sich Ministerin Paus häufig, und zwar immer, wenn es um die Frage geht, wann es denn mehr Details über die Kindergrundsicherung zu verkünden gebe.

Die Standardantwort lautet, die Arbeitsgruppe tage und werde hoffentlich noch vor der parlamentarischen Sommerpause Ergebnisse vorlegen. Denn noch im Herbst soll es einen Gesetzentwurf geben, und ab 2025 soll die Kindergrundsicherung eingeführt werden.

Doch mit Blick auf die Anzahl der bisherigen Sitzungen der IMA könnten an dem Zeitplan Zweifel aufkommen: Seit dem Auftakt im Mai 2022 hat sich die Arbeitsgruppe insgesamt 22 Mal getroffen. In diesem Jahr gab es bisher nur fünf Treffen, zwei davon Anfang dieser Woche. Das geht aus einer schriftlichen Antwort des Familienministeriums hervor, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Das Familienministerium erklärt die geringe Anzahl der IMA-Treffen in diesem Jahr damit, dass die Eckpunkte zur Kindergrundsicherung derzeit auf politischer Ebene verhandelt würden. Laut einem Sprecher wird daran intensiv gearbeitet. „Die IMA hat auf Fachebene bereits zahlreiche Handlungsoptionen erarbeitet. Darum tagt sie aktuell mit einer geringeren Frequenz.“

Frage zum Existenzminimum ist der Knackpunkt

Zur IMA gehören Vertreter verschiedener Ministerien, unter anderem dem Finanz- und Bauministerium sowie dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Unter Federführung des Familienministeriums sollen sie das Mammutprojekt Kindergrundsicherung auf den Weg bringen.

Die IMA ist nochmals in sechs einzelne Arbeitsgruppen gegliedert, zum Beispiel die AG "Grundsatzfragen der Ausgestaltung", die bisher sechs Mal und damit am häufigsten getagt hat. Eine besonders tragende Rolle hat die AG "Neudefinition Existenzminimum Kinder" inne. Die soll berechnen, wie hoch das soziokulturelle Existenzminimum für Kinder sein muss. Wie viel Geld ist für Nahrung, Kleidung, Wohnen, also zum physischen Überleben nötig? Es geht aber auch um das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, wie Kino-Vorstellungen oder die Mitgliedschaft im Sportverein.

Ohne zu wissen, wie hoch das Existenzminimum ausfalle, könne sie auch keine Zahlen zur maximalen Höhe der Kindergrundsicherung nennen, verteidigt sich Bundesfamilienministerin Paus immer wieder, wenn sie auf das fehlende Gesamtkonzept angesprochen wird.

Große Differenzen beim Gesamtvolumen

Auch die AG "Existenzminimum", für die das Sozialministerium verantwortlich ist, kommt offenbar nur schleppend voran. Im vergangenen Jahr traf sie sich drei Mal, zuletzt Mitte Dezember. In diesem Jahr gab es noch gar kein Treffen. Dabei bekannte sich Bundesozialminister Heil erst am Mittwoch bei einer Regierungsbefragung im Bundestag erneut zu dem Projekt. Die Bundesregierung sei fest entschlossen, die Kindergrundsicherung noch in dieser Legislatur einzuführen. Entsprechende Berechnungen für die Höhe der Leistungen werde sein Haus vorlegen. Nur wann, ließ er offen.

Tatsächlich ist die Frage nach dem soziokulturellen Existenzminimum eine heikle. Denn auch davon hängt ab, wie teuer die Kindergrundsicherung wird. Finanzminister Lindner stellt sich eine Summe von zwei bis drei Milliarden Euro vor, die Grünen wollen zwölf, und die SPD versucht seit Wochen, einer Antwort auszuweichen.

Knappe Haushaltsgelder

Nach der Steuerschätzung, die der Finanzminister in dieser Woche vorgestellt hat, scheinen die Chancen für die Grünen zu schwinden, ihre Forderungen durchzusetzen. Der Staat nimmt weniger Steuern ein als gedacht, der Haushalt ist also noch knapper bemessen. Fragen nach dem Finanzrahmen stellten sich zahlreiche auch am Dienstag bei der Pressekonferenz, bei der es eigentlich um die ökonomischen Aspekte der Kindergrundsicherung gehen sollte.

Auch wenn sie nicht genau sagen kann oder will, wie sich die 12-Milliarden-Forderung zusammensetzt, hält Paus sie für gut begründet. Sie sei, was die endgültige Summe für die Kindergrundsicherung angeht, aber gesprächsbereit, das habe sie immer gesagt.