Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Großen Zapfenstreich zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt
Reportage

Zapfenstreich für Merkel Abgang in Bescheidenheit

Stand: 02.12.2021 22:46 Uhr

Großes Pathos liegt Angela Merkel nicht. Da bleibt sie sich auch beim Großen Zapfenstreich treu, der zu ihren Ehren ausgerichtet wurde. Merkels Handschrift trug er dennoch unverkennbar.

Es ist eine kleine Geste am Rande, die nach langen Momenten des feierlichen Pathos, inszeniert vom Wachbataillon der Bundeswehr, doch viel über Angela Merkels Abschiedsmodus sagt. Es passiert wenige Sekunden, nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihr eine langstielige rote Rose aus der spärlichen Festaktdeko überreicht hat, kurz bevor die Kanzlerin in die Staatslimousine steigt und Richtung Kanzleramt entschwindet. Da greift Merkel selbst zu und überreicht Kramp-Karrenbauer ebenfalls eine Rose.

Das hat etwas Versöhnliches zwischen den beiden CDU-Politikerinnen, die es in den vergangenen Jahren miteinander nicht leicht hatten. Aber beide eint, dass ihre Partei es ihnen beiden in der Rolle der Parteivorsitzenden auch nicht gerade leicht gemacht hat. Abgekühlt soll sich dieses Verhältnis haben, als Merkel den Zeitpunkt für ihren Rückzug vom Parteivorsitz vorzog und im Kanzleramt verblieb.

Für Kramp-Karrenbauer, die sich von der Generalsekretärin schneller als gedacht ins Amt der Vorsitzenden begab, begannen schwierige Zeiten - sie endeten für sie glücklos. Während Merkel sich mehr und mehr in präsidialer Manier ihrer Rolle als Kanzlerin verpflichtet fühlte, entfernt von den Gefilden der CDU-Zentrale agierte. Doch jetzt, in diesem Moment des selbstbestimmten Abschieds der Kanzlerin, die nicht mehr zur Wiederwahl antreten wollte, hat diese Geste gegenüber der Verteidigungsministerin etwas zutiefst Versöhnliches.

Dank an die "liebe Annegret"

Zuvor war Merkel mit Kramp-Karrenbauer an der Seite bereits entspannt lachend zum Platz gegangen, später hatte sie in ihrer kurzen Ansprache der "lieben Annegret" großen Dank gezollt. Natürlich hat es ohnehin etwas historisches an diesem Abend, dass gleich zwei Frauen in hohen Ämtern diesen Zapfenstreich gemeinsam begehen, der in der Geschichte der Bundesrepublik bislang ausschließlich männlichen Bundespräsidenten, Bundeskanzlern, Verteidigungsministern und Generälen zuteil wurde - mit einer Ausnahme, der CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, auch sie eine politische Weggefährtin Merkels.

Beim Zapfenstreich für Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder standen keine roten Rosen an der Seite, dafür gab es Tränen. Bei Merkel, in einen schwarzen Mantel mit Stehkragen gekleidet, kommen keine Tränen der Rührung, dafür hat sie sich unter anderem das Lied "Für Dich soll es rote Rosen regnen" von Hildegard Knef gewünscht. Und dazu ein DDR-Schlager des Punkstars Nina Hagen von 1974. Weibliche Subversivität könnte man sagen, die zugleich das sehr traditionelle Ritual mit einem Augenzwinkern konterkariert.

Zuweilen fast unbehaglicher Ausdruck

Meist bleibt Merkels Gesichtsausdruck indifferent, manchmal fast unbehaglich. Vielleicht, weil sie weiß, dass die ganze Zeit, während sie der Marschmusik lauscht, die Kamera auf ihr ruht - und ihr vermutlich Millionen Menschen in diesem Moment zuschauen und versuchen werden, in ihrer Mimik zu lesen. Da setzt sie lieber die nüchternste Miene auf, die sie hat.

Aber vielleicht auch, weil dieser Staatsakt einfach nicht so ganz zu ihr passen will, mit seiner ritualisierten, uniformierten Männlichkeit, dem archaischen Bild der vielen Fackeln, die sich vom dunklen Berliner Nachthimmel abheben und mit diesem Soldaten-Abschiedsbrauch in eine ganz andere Zeit des preußischen Berlins verweisen.

Doch es scheint, als könne keiner der anwesenden Gäste, darunter der Bundespräsident, alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie alle Mitglieder ihrer vier Regierungskabinette der Feierlichkeit dieses Moments entziehen - auch Merkel nicht ganz. Erst recht nicht, als noch Feuerwerk am Himmel aufsteigt und Kirchenglocken läuten, als dann der von ihr ausgewählte 1771 verfasste ökumenische Choral "Großer Gott, wir loben Dich" erklingt, da lässt sich bei ihr zumindest eine bescheiden daherkommende Ergriffenheit erahnen. Mehr nicht.

Angela Merkel

Angela Merkel nutzt einen ihrer letzten öffentlichen Auftritte als Kanzlerin für die Ermutigung, auch zukünftig die Welt stets auch mit den Augen der anderen, des Gegenübers zu sehen.

Ein Abgang in "Demut und Dankbarkeit"

Merkel bleibt sachlich bei ihrer kurzen Rede, der einzigen bei diesem Festakt zu ihren Ehren - sachlicher als man sie zuletzt öfter einmal in der Coronakrise am Rednerpult erlebte. Pathos im Amt ist ihre Sache nicht. So nutzt sie diesen Moment großer Aufmerksamkeit für ihre Abschiedsworte, um den "sehr geehrten Mitbürgerinnen und Mitbürgern" noch ein paar Gedanken zu hinterlassen. Etwa die Ermutigung, auch zukünftig die Welt stets auch mit den Augen des Anderen, des Gegenübers zu sehen.

Aber auch, um ausführlich sich in alle Richtungen zu bedanken und zum Schluss noch ihrem designierten Nachfolger Olaf Scholz "alles Gute, viel Erfolg und eine glückliche Hand" zu wünschen. Sie streift in ihrer Ansprache "in Demut und Dankbarkeit" kurz und knapp durch die 16 Jahre ihrer Kanzlerschaft, deren Abfolge an Ereignissen deutlich zeige, "in was für einer Zeit wir leben".

"Mit fröhlichem Herz an die Arbeit gehen"

Da bleibt die Coronakrise nicht unerwähnt, die ihre späten Amtsjahre geprägt hat. Sie habe gezeigt, wie wichtig Vertrauen in die Politik sei, "aber auch wie fragil". Etwa sechs Minuten spricht sie - wenig Zeit für eine, die lange Regierungserklärungen gewohnt ist - und auch in Reden zunehmend die eigene Biografie und DDR-Vergangenheit thematisiert hat. Und doch kriegt sie alles unter, auch das sie leitende Freiheitsmotiv, als sie abschließend auffordert, "mit fröhlichem Herz an die Arbeit zu gehen".

So habe sie es immer gehalten, in ihrem Leben in der DDR, "und erst recht in meinem Leben in der Freiheit". Sie ist die erste Frau, die erste Ostdeutsche in diesem Amt - den Stolz darauf lässt sie sich kaum anmerken. Bevor Merkel nach dem etwa 45-minütigen Großen Zapfenstreich an diesem Donnerstagabend Richtung Limousine und für ein fast letztes Mal Richtung Kanzleramt abfährt, winkt sie ihren mehr als vier Dutzend Kabinettsmitgliedern gelöst und fröhlich zu. Da tritt erkennbar eine Staatsfrau ab, die mit sich im Reinen ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 02. Dezember 2021 um 22:30 Uhr.