Bundeswehrsoldaten
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Deutschlands Rolle in der NATO Was kommt nach der Zeitenwende?

Stand: 11.07.2023 06:25 Uhr

Deutschlands Stellung in der NATO hat sich in den vergangenen Monaten geändert. Die Bundesregierung geht voran und verspricht viel. Ob sie alle Zusagen aber auch einhält, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen.

Eine Analyse von Uli Hauck, ARD Berlin

In den Wochen vor dem NATO-Gipfel hat die Bundesregierung zumindest im Verteidigungsbereich für positive Schlagzeilen gesorgt. Der Kanzler machte schöne Bilder beim Marine-Manöver in der Ostsee oder im Kampfjet beim Luftwaffen-Großmanöver Air Defender.

Und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius sorgte in Litauen für einen zufriedenen Präsidenten Gitanas Nauseda, als er vor zwei Wochen angekündigt hatte, 4000 deutsche Soldaten dauerhaft in Litauen zu stationieren. Hinzu kommen deutsche Patriot-Raketen, die den NATO-Gipfel sichern und die deutsch-französische Brigade, die für den Ernstfall übt.

Bislang sind es nur Ankündigungen

Vor dem NATO-Gipfel ist die Bundeswehr omnipräsent. Doch mit Blick auf die Litauen-Stationierung gibt es bislang nur die überraschende Ankündigung von Pistorius. Die geforderte Infrastruktur für die Unterbringung 4000 deutscher Soldaten und ihrer Familien fehlt noch völlig. Sie soll erst bis 2026 fertig sein. Und trotzdem wird Deutschland vom litauischen Präsidenten Nauseda und NATO-Generalsekretär Stoltenberg am Vortag des NATO-Gipfels in Vilnius erneut explizit gelobt. Der Eindruck, der verfängt: Deutschland geht nach Jahren des verteidigungspolitischen Stillstands endlich voran.

Pistorius französischer Amtskollege Sébastian Lecornu nennt es am Montag beim Besuch in Berlin sogar das "System Pistorius". Für den SPD-Politiker selbst geht es bei der "militärischen Zeitenwende" nicht nur um mehr Geld für Beschaffung, sondern "immer auch darum, zu handeln".

Handeln, das heißt für Pistorius auch Entscheidungen einzufordern. Beispiel Polen: Bereits im April hat sich der deutsche Verteidigungsminister und sein polnischer Amtskollege Blaszczak auf den Aufbau eines Instandsetzungszentrums für ukrainische "Leopard 2"-Kampfpanzer geeinigt. Doch passiert ist nichts. Offenbar liegt es an der Industrie und deren unterschiedlichen Preisvorstellungen. Das berichtet zumindest der "Spiegel".

Auch hier drängt Pistorius. Beim Besuch in der vergangenen Woche spricht er deshalb davon, dass Deutschland bereit sei, "Verantwortung zu übernehmen" und stellt in Polen ein Ultimatum, damit das Instandsetzungszentrum endlich umgesetzt wird. Das läuft mit dem NATO-Gipfel ab. Pistorius braucht auch hier ein Ergebnis.

Bundeswehr vor "ambitionierten Vorhaben"

4000 fest stationierte deutsche Soldaten - ab 2026 für Litauen. Schon 2025 die erste vollausgestattete Heeresdivision für die NATO. Und für 2027 wurde eine zweite Division versprochen. In der Bundeswehr gibt es schon länger Zweifel an der Umsetzbarkeit solcher personalaufwendigen Versprechen.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann (FDP) spricht von einem "ambitionierten Vorhaben". Der Verteidigungspolitiker der Union, Henning Otte, geht noch weiter und warnt die Bundesregierung sogar davor Erwartungen zu wecken, die vielleicht nicht gehalten werden können. Und in der Tat: Nach Litauen kann sich auch Rumänien eine deutsche Truppenstationierung vorstellen.  

Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO

Um die ambitionierten Ziele umzusetzen, braucht die Bundeswehr Personal und Geld. Mit Blick auf den NATO-Gipfel ist von Vorteil, dass der Bundeshaushalt erst so spät vom Kabinett beschlossen worden ist. Denn im nächsten Jahr wird Deutschland wohl zum ersten Mal zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Allerdings nur, weil der laufende Verteidigungsetat mit den Ausgaben aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen verrechnet wird.

Hierin sieht der Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ein Problem. Im NDR-Podcast "Streitkräfte und Strategien" kritisiert er, dass nicht im regulären Verteidigungshaushalt vorgesorgt werde. Denn wenn das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen der Bundeswehr ausgegeben ist, würde man das Zwei-Prozent-Ziel der NATO nicht mehr erreichen. Mölling befürchtet, dass die Milliarden in zwei Jahren anfangen, ihre Wirkung zu verlieren. Dann habe man noch ein Jahr, wo "sich diese Droge ausschleicht, den Rest der 100 Milliarden. Und auf einmal stehst du da und fällst in ein ganz tiefes Loch".

Das heißt, auf dem NATO-Gipfel in Vilnius kann die Bundesregierung noch punkten. Doch mittel- bis langfristig sind viele Versprechungen und Pläne nicht gegenfinanziert. Soll Deutschland dauerhaft eine militärische Führungsrolle im europäischen Teil der NATO übernehmen wollen, dürfte es noch deutlich teurer werden. Ansonsten bleibt es bei vielen Ankündigungen.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 11.07.2023 06:41 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 11. Juli 2023 um 08:25 Uhr.