Boris Pistorius
analyse

Verteidigungsausgaben Warum auch Pistorius rechnen muss

Stand: 05.07.2023 09:04 Uhr

Verteidigungsminister Pistorius wollte zehn Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr - bekommen hat er gerade mal 1,7 Milliarden Euro. Ihm hilft eine Allzweckwaffe. Zumindest kurzfristig.

Eine Analyse von Uli Hauck, ARD Berlin

Anfang des Jahres hat Verteidigungsminister Boris Pistorius die Latte bewusst hochgelegt: Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" hat er zehn Milliarden Euro pro Jahr mehr für seinen Verteidigungshaushalt gefordert - und zwar unabhängig vom 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. Sein damaliger Wunsch an Finanzminister Christian Lindner: Der Verteidigungsetat solle "dauerhaft auf 60 Milliarden Euro angehoben" werden.

Hörte man sich damals unter Verteidigungspolitikern um, dann rechneten die durchaus damit, dass Pistorius am Ende sechs bis sieben Milliarden mehr für die Truppe bekommt. Doch fünf Monate später sind aus den zehn Milliarden mehr für die Bundeswehr lediglich 1,7 Milliarden Euro geworden. Immerhin ist Pistorius der einzige Minister, der nicht sparen muss, sondern der wegen der Lohnrunde im öffentlichen Dienst sogar mehr bekommen hat.

Aus der SPD hört man, Kanzler und Verteidigungsminister hätten sich noch mehr Geld für die Bundeswehr vorstellen können, doch Finanzminister Lindner habe gemauert. Bei den Liberalen wiederum stützt man den Kurs des Finanzministers. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann, formuliert im ARD-Morgenmagazin sehr zurückhaltend: Es sei nicht nur eine Frage des Geldes, es sei auch eine Frage der Beschaffung von Material. Das heißt, es muss entsprechendes Material für die Bundeswehr hergestellt werden. 

Die Rolle des Sondervermögens

Vor allem das schuldenfinanzierte Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro liefert Planungssicherheit für das Verteidigungsministerium. Es ist die politische Allzweckwaffe der Ampel, um die Bundeswehr auf Vordermann zu bringen und Versprechen an die NATO zumindest mittelfristig zu erfüllen.

Bislang sind nach "Handelsblatt"-Informationen zwar erst 1,1 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen abgeflossen, aber zumindest ein Drittel des Geldes ist bereits vertraglich gebunden. Und ob neue schwere Transporthubschrauber, F-35-Kampfjets oder ungeschützte Transportfahrzeuge - ab dem nächsten Jahr soll das Sondervermögen dann massiv ausgegeben werden, hofft man im Verteidigungsministerium.

Neben Ausrüstung und neuen Waffensystemen für die Truppe hätte das auch einen politischen Nebeneffekt. Denn mithilfe des Sondervermögens will die Bundesregierung im nächsten Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einhalten.

Und das soll folgendermaßen funktionieren: Um zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, müsste Deutschland im kommenden Jahr 71 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen. Mit dem nur gering angestiegenen Verteidigungsetat von dann knapp 52 Milliarden gelingt das nicht. Also werden die fehlenden etwa 19 Milliarden aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen der Bundeswehr zugeschossen.

So kann die Bundesregierung dann vermutlich bis 2028 verfahren - doch spätestens dann hat sie ein großes Problem. Denn wenn alles Geld aus dem Sondervermögen ausgegeben ist, müsste der Wehretat auf einen Schlag massiv ansteigen. Zum einen um weiterhin das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen, zum anderen aber auch um den laufenden Betrieb der dann neuen Waffensysteme zu finanzieren.

Bundeswehrfinanzierung bleibt "Kernproblem"

In Finanzminister Lindners Haushaltsentwurf sichert die Bundesregierung zu, dass ab 2024 die Zwei-Prozent-Quote der NATO eingehalten werden soll. Allerdings gibt es an anderer Stelle ein unübersehbares Hintertürchen: Denn in der neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie" bekennt sich die Bundesregierung lediglich dazu, "im mehrjährigen Durchschnitt" zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Das heißt, nicht jeder Haushalt muss in den nächsten Jahren dieses Ziel erreichen.

Doch unabhängig von der NATO-Quote bleiben auch ungeklärte praktische Fragen, wenn das Bundeswehr-Sondervermögen ausgegeben ist. Denn neue Waffensysteme und militärisches Großgerät müssen auch mittelfristig unterhalten werden und das dürfte deutlich teurer werden als bisher. Verteidigungsminister Pistorius weiß das und hat auch deshalb frühzeitig einen größeren Anstieg des Verteidigungshaushalts gefordert - bekanntermaßen ohne Erfolg. Doch der Druck bleibt.

André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, spricht im ARD-Morgenmagazin von einem "Kernproblem", mit dem der Verteidigungsminister jetzt umgehen muss. Und auch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul befürchtet, dass man ohne einen ansteigenden Verteidigungshaushalt das neue Großgerät nicht dauerhaft unterhalten und zusätzliches Personal nicht bezahlen kann.

Dank des schuldenfinanzierten Sondervermögens lässt sich in den nächsten vier bis fünf Jahren viel überbrücken. Wie es dann aber finanziell für die Bundeswehr weitergehen soll, lässt die Bundesregierung offen.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 05.07.2023 09:20 Uhr