Das Bundeskabinett stellt die Nationale Sicherheitsstrategie vor.
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Beschluss des Bundeskabinetts Was in der Nationalen Sicherheitsstrategie steckt

Stand: 14.06.2023 15:28 Uhr

Nach monatelangen Beratungen hat die Bundesregierung ihr Konzept zur Nationalen Sicherheitsstrategie vorgestellt. Welche Ziele stehen darin und welche Kritik gibt es? Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Mit einer "Politik der Integrierten Sicherheit" will die Bundesregierung auf die Herausforderungen einer instabiler werdenden Weltordnung reagieren. Dazu hat das Bundeskabinett heute eine Nationale Sicherheitsstrategie beschlossen.

Die 76-seitige Strategie orientiert sich an drei "zentralen Dimensionen" der Sicherheitspolitik: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Zum Bereich Wehrhaftigkeit zählen die Stärkung von Bundeswehr, Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz, wie es in dem Papier heißt. Im Bereich Resilienz geht es um die Verteidigung "unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen illegitime Einflussnahme von außen". Im Bereich Nachhaltigkeit geht es um die Bekämpfung der Klima-, Biodiversität- und Ökosystemkrise, die Stärkung der Ernährungssicherheit und der Pandemieprävention.

Was beinhaltet die Nationale Sicherheitsstrategie?

Dem Beschluss zufolge sollen alle Akteure, Mittel und Instrumente zusammenwirken, um Deutschlands Sicherheit gegen Bedrohungen von außen zu stärken. Die Bundesregierung betrachtet in ihrem Papier eine weite Definition von Sicherheit - von der Landes- und Bündnisverteidigung über den Schutz von technischen Infrastrukturen und die Cyber- und Weltraumsicherheit bis hin zu Rohstoff-, Energie- und Ernährungssicherheit.

Die Sicherheitsstrategie nennt auch die Zivilverteidigung und den Bevölkerungsschutz, die Entwicklungspolitik, den Schutz vor fremder Einflussnahme und Spionage sowie den Umgang mit der Klimakrise und mit Pandemien. Die Rede ist von "integrierter Sicherheit", für die verschiedene Akteure zusammenarbeiten sollen.

Es gehe nicht mehr allein um Verteidigung und Bundeswehr, "sondern um die ganze Palette unserer Sicherheit", betonte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie. Dazu gehöre Diplomatie genauso wie Polizei, Feuerwehr, technische Hilfswerke, Entwicklungszusammenarbeit, Cyber-Sicherheit und die Resilienz von Lieferketten. "All diese Mittel und Instrumente müssen ineinander greifen und zusammenwirken, um die Sicherheit unseres Landes zu stärken", sagte der Kanzler. Eine strukturelle Reform der Entscheidungsprozesse soll es aber nicht geben.

Wird Deutschland dauerhaft mehr für Sicherheit ausgeben?

Bereits im kommenden Jahr will Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erfüllen. Erreicht wird es, weil der Bundeswehr aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte. Lindner kündigte eine stärkere Ausrichtung der nächsten Bundeshaushalte nach Sicherheitsbelangen an.

In der Sicherheitsstrategie formuliert die Bundesregierung das Ziel, das Zwei-Prozent-Ziel "im mehrjährigen Durchschnitt" zu erreichen. Das bedeute, dass das NATO-interne Ziel jeweils im mehrjährigen Mittel erreicht werden solle, nicht aber zwingend in jedem einzelnen Bundeshaushalt, erläuterte Lindner.

Welche Rolle sollen Rüstungsexporte spielen?

Die Bundesregierung will die Rüstungspolitik neu ausrichten und dabei strategische Fragen in der Zusammenarbeit mit Partnerstaaten mehr berücksichtigen. Grundzüge dafür würden in der Nationalen Sicherheitsstrategie deutlich, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius. "Natürlich sind Rüstungsexporte angesichts der neuen Weltlage auch ein Teil des strategischen Instrumentenkastens. Das ist doch ganz klar", sagte der SPD-Politiker.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, Details zu den Plänen würden zu einem anderen Zeitpunkt bekannt gemacht. Erwägungen aus der Sicherheitsstrategie würden darin reflektiert. "Das bleiben strenge Rüstungskontrollvorschriften, die aber die strategischen Fragen mitberücksichtigen, was unsere Partnerschaften in der Welt betrifft, unsere engen Rüstungskooperationen, die wir mit unseren europäischen Partnern haben, was die Herstellung von Waffen betrifft."

Außenministerin Annalena Baerbock sprach von "Dilemmata", aber auch einer Chance aus dem "Schwarz-Weiß-Denken ein bisschen auszubrechen, weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist". Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der "Zeitenwende" stellten sich einige Fragen anders - mit Blick auf Waffenlieferungen auch für ihre Partei.

Warum kommt der Sicherheitsrat nicht?

Auf die Bildung eines lange diskutierten Nationalen Sicherheitsrats zur Koordination des Regierungshandelns verzichtet die Ampelkoalition. Bundeskanzler Scholz sagte, man habe nach Abwägungen "einen größeren Mehrwert nicht erkannt". Es gebe den Bundessicherheitsrat, der entsprechende Entscheidungen treffe.

Strategische Entscheidungen, wie die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriff unterstützt werden soll, seien ebenfalls gemeinschaftlich getroffen worden. Derweil habe man die Frage, was der Unterschied sei, wenn man ein weiteres Gremium institutionell schaffe, "immer weniger wichtig gefunden". Auch im Auswärtigen Amt hatte die Idee wenig Zuspruch gefunden.

Die FDP hält hingegen weiter an der Forderung nach einem Sicherheitsrat fest. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Lindner sagte auf die Frage einer Journalistin, ob es für ihn eine Kröte sei, die er habe schlucken müssen, es gebe immer alternative Handlungsoptionen. "Innerhalb einer Regierung bildet man sich aber dann eine gemeinsame Auffassung auch hinsichtlich der Methode der Zusammenarbeit. Und das ist hier passiert", so Lindner.

Wie stellt sich die Bundesregierung international auf?

"Oberste Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik ist es sicherzustellen, dass wir in unserem Land im Herzen Europas auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können", heißt es in dem Papier. Dazu bekenne sich Deutschland unverrückbar zur NATO und zur EU und stärke die Bundeswehr.

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung solle gegen illegitime Einflussnahme verteidigt, die Abhängigkeit bei Rohstoffen und Energie durch Diversifizierung der Lieferbeziehungen abgebaut werden.

Welche Rolle spielt China?

Die Bundesregierung bezeichnet in ihrem Papier China als "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale". Vor allem Wettbewerb und Rivalität hätten in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch die Partnerschaft bleibe jedoch wichtig, könne man doch ohne China "viel der dängendsten globalen Herausforderungen nicht lösen".

Wie genau sich die Bundesregierung das vorstellt, dürfte in einer gesonderten China-Strategie festgelegt werden. Scholz ließ die Frage eines Journalisten offen, ob die geplante neue China-Strategie der Bundesregierung noch vor der Anfang Juli beginnenden parlamentarischen Sommerpause vorliegen werde. Er sagte: "Wir sind fertig, wenn wir fertig sind. Aber bald."

Warum kommt die Sicherheitsstrategie erst jetzt?

Ursprünglich sollte die Sicherheitsstrategie schon im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt werden, wo sich jedes Jahr viele Hundert Regierungsvertreter, Experten und Journalisten aus aller Welt versammeln. Dieser Termin hätte für große internationale Aufmerksamkeit rund um das Ampel-Papier gesorgt. So schnell konnten sich Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock, die beiden Hauptakteure im Verhandlungsprozess, aber nicht verständigen. Es gab monatelange Beratungen.

Welche Kritik gibt es?

Für Unionsfraktionschef Friedrich Merz ist Nationale Sicherheitsstrategie eine große Enttäuschung. Sie sei "inhaltlich blutleer, strategisch irrelevant, operativ folgenlos und außenpolitisch unabgestimmt", sagte der CDU-Vorsitzende. Eine Abstimmung mit den Bundesländern, den europäischen Partnern und im transatlantischen Bündnis mit den USA habe es nicht gegeben.

Merz, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der stellvertretende Fraktionschef und Verteidigungsexperte Johann Wadephul kritisierten unter anderem, dass die Ampelregierung trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine keine Veranlassung gesehen habe, einen Nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt einzurichten.

Auch die Linke übte scharfe Kritik. Das Konzept sei "lückenhaft und ideologisch überladen", sagte der Co-Vorsitzende der Linken-Fraktion, Dietmar Bartsch, den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Es sei zudem fraglich, ob die Strategie "angesichts der Uneinigkeit in der Regierung" umgesetzt werde.

Der kleinste gemeinsame Nenner bleibe die Aufrüstung der Bundeswehr, sagte Bartsch. "Die Festschreibung des Zwei-Prozent-Ziels ist kein Faktor für Sicherheit, sondern ein Brandbeschleuniger in einer zunehmend fragilen Welt." Sicherheit im 21. Jahrhundert sei "mehr als Aufrüstung", so der Linken-Politiker. Er nannte die Themen "Cyber, Flucht, Klimaschutz".

Georg Schwarte, ARD Berlin, tagesschau, 14.06.2023 15:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Juni 2023 um 12:00 Uhr.