Sahra Wagenknecht vor Beginn einer Sitzung der Linken-Bundestagsfraktion (Archivfoto vom 24.09.2019)
analyse

Wagenknecht und die Linke Trennung als Chance?

Stand: 16.07.2023 06:00 Uhr

Quälend zäh zieht sich die Trennung zwischen der Linkspartei und Sahra Wagenknecht hin. Zum Schaden der Linken. Dabei könnte ein endgültiger Bruch für beide Seiten auch eine Chance sein.

Von Sarah Frühauf, ARD Berlin

Viele Jahre hat die Linkspartei für sich den Titel "Volkspartei" beansprucht, zumindest in Ostdeutschland. Hört man sich jetzt allerdings um im Land, scheint es nicht so, als wäre die Linke eine Partei, die sonderlich gut ankommt.

In der Kleinstadt Brandenburg zum Beispiel beklagt ein junger Mann, dass er die Linke in der Stadt gar nicht mehr sehen würde. AfD-Vertreter seien überall, die Linken aber nirgends. Eine ältere Passantin sagt, dass sie von der Partei derzeit so wenig höre. Das sei früher anders gewesen. Die Linke nehme sie nur noch dadurch wahr, dass sie sich im Streit mit Sahra Wagenknecht befindet, fügt eine andere Frau hinzu.

Kein Profil, viel Streit

Profillos, zu wenig präsent und vor allem zerstritten, so das einhellige Urteil. Fast zwei Jahre ist es her, dass die Linke bei der Bundestagswahl beinahe ein Wahldebakel erlebte. Nur drei Direktmandate verhalfen ihr zum knappen Einzug ins Parlament.

Akt der Verzweiflung

Seitdem sucht die Partei nach einem Ausweg aus dem Umfragetal, dabei scheint sich die Krise allerdings immer weiter zu verschärfen. Der Parteivorstand hat sich deswegen zuletzt zu einem Beschluss durchgerungen, der wie ein Akt der Verzweiflung wirkt: Sahra Wagenknecht soll ihr Mandat im Bundestag niederlegen. Zwar hatte Wagenknecht angekündigt, dass sie bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr für die Linke antreten will. Nur ist sie offenbar nicht bereit, schon jetzt ihr Mandat niederzulegen. Dabei könnte die endgültige Trennung Wagenknechts von der Linken für sie selbst und die Partei heilsam sein.

Die Causa Wagenknecht lähmt die Linke. Die Partei dringt kaum mit Inhalten durch, auch weil oft nicht klar ist, wofür die Partei steht. Häufig sitzt Wagenknecht in Talkshows und verbreitet Positionen, die nicht der Parteilinie entsprechen. Vor allem in der Außenpolitik tun sich teilweise tiefe Gräben auf.

Tischtuch zerschnitten, Mauern hochgezogen

Als Wagenknecht im September vergangenen Jahres im Bundestag von einem "Wirtschaftskrieg gegen Russland" sprach, schüttelten auch viele in der Linkspartei den Kopf. Immer wieder sind die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan gezwungen, sich für Wagenknechts Äußerungen zu rechtfertigen. Mittlerweile greifen sie nur noch zur der Standantwort: "Sahra Wagenknecht spricht nicht für die Partei Die Linke."

Das Tischtuch sei zerschnitten, sagt der Wagenknecht-Vertraute und Bundestagsabgeordnete Christian Leye. Nur sieht er die Schere in der Hand des Parteivorstandes. Gegenseitig wirft man sich vor, nicht gesprächsbereit gewesen zu sein.

Wer zuerst die Mauern hochgezogen hat, ist von außen schwer zu beurteilen. Klar dürfte allerdings jedem politischen Beobachter sein, dass die Fronten zwischen Wagenknecht-Anhängern und ihren Kritikern derart verhärtet sind, dass eine Annäherung nicht mehr möglich ist.

Risiko für beide Lager ...

Doch eine Trennung birgt für beide Gruppen ein Risiko. Geht Wagenknecht, könnte die Linkspartei noch mehr Wähler verlieren. Und Wagenknecht selbst ist bewusst, dass eine Partei zu gründen, ein organisatorisch schwieriges Unterfangen ist. In ihrem zuletzt erschienen Video-Podcast bestätigt Wagenknecht: Man dürfe so etwas nicht machen, also eine neue Partei gründen, wenn man nicht absichern könne, dass es eine Erfolgschance gebe.

Wählerpotenzial wäre offenbar vorhanden: Laut Meinungsforschungsinstitut Insa im Auftrag der Thüringer Zeitungen der Funke-Mediengruppe käme eine "Liste Wagenknecht" in Thüringen auf 25 Prozent und wäre damit stärkste politische Kraft. Sie würde demnach vor allem die AfD schwächen. Die Linkspartei unter Bodo Ramelow würde leicht an Zuspruch einbüßen, ebenso die CDU.

... und eine Chance

Nun sind Umfragen wie diese immer volatil und lediglich eine Momentaufnahme, aber gibt sie doch einen Hinweis darauf, dass die Linke und eine Wagenknecht-Partei verschiedene Wählerschaften ansprechen könnten. Beide Parteien könnten jeweils ihre Positionen schärfen ohne einen Richtungsstreit, der die jeweiligen Akteure hemmt. Ob es die Linke aber jemals wieder zur Volkspartei schaffen kann, ist ungewiss. Möglich ist auch, dass eine Wagenknecht-Partei diese Position einnehmen wird.

Dann bliebe der Linkspartei allerdings die Möglichkeit sich in anderen Themen zu profilieren, beispielsweise eine Alternative zu den Grünen zu werden, indem sie stärker auf einen sozialen Klimaschutz setzt. Hier schreiben die Wähler der Linken bisher wenig Kompetenz zu. So glauben laut ARD-DeutschlandTrend vom April dieses Jahres nur zwei Prozent der Befragten, dass die Linke die beste Klima- und Umweltpolitik betreibe.

Dabei versuchte vor allem Parteichefin Wissler zuletzt immer wieder, das Thema aus linker Perspektive zu besetzen: sozialverträglich, klimagerecht. Vor allem Wirtschaft und Industrie sollten verzichten.

Im Wagenknecht-Lager gibt es da allerdings nur Stirnrunzeln. Bloß nicht grüner werden als die Grünen, lautet dort das Credo. Noch größer ist die Skepsis bei Themen wie Gendergerechtigkeit und Transsexualität, die insbesondere der Linken-Jugend am Herzen liegt. Inhaltlich wie zwischenmenschlich liegen Wagenknecht und der Parteivorstand weit auseinander. Eine Trennung birgt auch Chancen. Sie müssen sie nur wagen.

Mehr zu dem Thema sehen Sie am Sonntag im Bericht im Berlin. Dann stellt sich Linken-Chefin Janine Wissler im ARD-Sommerinterview den Fragen von ARD-Hauptstadtstudioleiterin Tina Hassel. Das Interview wird um 15 Uhr bei tagesschau 24 und auf tagesschau.de zu sehen sein. Um 18.30 Uhr läuft es im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung Bericht aus Berlin am 16. Juli 2023 um 18:30 Uhr.