Amira Mohammed Ali und Sahra Wagenknecht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Oldenburg (Archivbild: August 2021)
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Rückzug von Mohamed Ali Der Anfang vom Ende der Linksfraktion?

Stand: 07.08.2023 18:06 Uhr

Linken-Fraktionschefin Mohamed Ali wirft hin - unter Zuspruch der größten Kritikerin der Linkspartei aus den eigenen Reihen, Wagenknecht. Bricht die Bundestagsfraktion nun ganz auseinander?

Eine Analyse von Kerstin Palzer, ARD Berlin

Die Fraktionschefin schmeißt hin - und sie tut es nicht still und leise, sondern nutzt die Gelegenheit für eine harschen Abrechnung mit der Parteiführung. Angetreten war Amira Mohamed Ali als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht. Vor dreieinhalb Jahren war sie mit dem Arbeitsauftrag, die linke Fraktion zu befrieden, gestartet. Nun, es ist offensichtlich: Das ist ihr nicht gelungen.

Mohamed Ali ist eine Politikerin von ganz anderem Schlag als Wagenknecht: Bevor die Juristin aus Oldenburg zur Fraktionschefin der Linken im Bundestag wurde, kannte die damalige Sprecherin für Tierschutz kaum jemand. Und auch wenn sich das nach Jahren an der Fraktionsspitze geändert hat - so richtig durchgedrungen ist Mohamed Ali nicht. Sie blieb die Frau für die zweite Reihe.

Aus ihrer inhaltlichen Nähe zu Wagenknechts Politik hat sie aber nie ein Hehl gemacht. Sie schreibt nun selbst, dass es zwar die Aufgabe einer Fraktionsvorsitzenden sei, "den Kurs der Partei, allen voran der Parteiführung, in der Öffentlichkeit zu stützen und zu vertreten", dass ihr diese Aufgabe aber zunehmend schwergefallen und "mittlerweile unmöglich geworden" sei.

Schulterschluss mit Wagenknecht

Die Erklärung, die Mohamed Ali abgegeben hat, könnte mit Wagenknecht abgestimmt sein. Das, was die Fraktionsvorsitzende als Gründe nennt, sich von der Fraktionsspitze zurückzuziehen, schreibt und sagt Wagenknecht seit Monaten in Gastkommentaren und Talkshows. Entsprechend deutlich ist der Schulterschluss der beiden linken Politikerinnen, den Wagenknecht gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio so formuliert: "Dass Amira Mohamed Ali, die als Fraktionsvorsitzende immer für Ausgleich, Kompromiss und Verständigung stand, jetzt aufgibt, zeigt, dass es in der Linken leider immer weniger Raum für vernünftige Politik gibt."

Der Kurs der Parteiführung, vor allem um junge Klimaaktivisten zu werben und die Probleme normaler Bürger zu vernachlässigen, die angesichts der desaströsen Politik der Ampel Angst um ihre Zukunft haben, werde zu weiteren Wahlniederlagen führen und mache die Linke perspektivisch zu einer bedeutungslosen Splitterpartei, so Wagenknecht. "Ein wählbares Angebot für wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit wäre jedoch gerade in der heutigen Situation dringend notwendig."

Das ist noch immer nicht die Ankündigung für eine neue Partei unter Wagenknechts Führung - aber es klingt schon sehr danach.

Ein weiterer Sargnagel

Die linke Bundestagsfraktion gibt es seit der vergangenen Wahl nur noch, weil die Linke drei Direktmandate gewonnen hat. Eines davon hat der Leipziger Sören Pellmann errungen. Auch er kritisiert die Parteiführung deutlich: "Der Beschluss des Parteivorstandes, große Teile - und ich würde sie mit einem Drittel der Mitgliedschaft beziffern - nicht mehr in der Partei haben zu wollen, das ist ein Aufruf zur Spaltung und das gehört sich für einen Parteivorstand nicht."

Was bedeutet das für die Partei? Es ist ein weiterer Sargnagel für die Linke. Eine Abspaltung scheint unausweichlich. Auch wenn der zweite Fraktionschef Dietmar Bartsch versucht, den Absprung seiner Co-Vorsitzenden als wenig überraschend kleinzureden und beschwört, man müsse doch bitte zur Sachpolitik zurückkehren.

Abrechnung mit der eigenen Partei

Andere, einflussreiche und laute Abgeordnete machen klar, dass sie auf ein Wagenknecht-Projekt bauen. "Eine Partei hätte große, große Chancen, nicht nur die AfD kleinzuhalten, sondern auch in den Bundestag oder ins Europaparlament einzuziehen", sagt etwa der ehemalige Parteichef der Linken, Klaus Ernst. "Wenn es so weit käme, dass sich so ein Projekt gründet, dann würde ich da sicher dabei sein."

Ernst wäre nicht allein. Sieben bis acht Abgeordnete der ohnehin kleinen Linksfraktion zeigen mehr oder weniger deutlich, dass sie mit Wagenknecht die Fraktion verlassen würden. Und schon drei "Abtrünnige" reichten aus, damit die Linke ihren Fraktionsstatus verlieren würde. Das wiederum hieße weniger Redezeit im Parlament, weniger Geld und Mitarbeiter, insgesamt noch weniger politischer Einfluss.

Daher ist der erklärte Rückzug von Mohamed Ali mehr als eine private Entscheidung. Es ist eine Abrechnung mit der eigenen Partei - und der Anfang vom Ende der linken Fraktion im Bundestag.

Amira Mohamed Ali will nicht mehr für ihr Amt als Fraktionschefin der Linken kandidieren

Kerstin Palzer, ARD Berlin, tagesschau, 07.08.2023 15:00 Uhr