Hanfpflanzen wachsen auf einem Feld nahe Haldensleben.
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Begrenzte Legalisierung Warum die Cannabis-Pläne eingedampft sind

Stand: 16.08.2023 12:29 Uhr

Das Kabinett hat die begrenzte Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht. Einfach ist das nicht. Der Gesetzentwurf hat 184 Seiten. Was ist geplant? Und warum ist das so kompliziert?

Von Nadine Bader und Barbara Kostolnik, ARD Berlin

Die Ampel-Parteien hatten eigentlich einen großen Wurf versprochen. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein." Vor allem FDP und Grüne hatten bei dem Thema Druck gemacht.

Mittlerweile ist klar: Die ursprünglichen Pläne wurden stark eingedampft. Inzwischen ist eher von einer "Legalisierung light" die Rede. Das sei noch nahe an einem Verbot dran, sagen auch Politiker in der Ampel, die sich mehr gewünscht hätten.

In welchem Rahmen wird Cannabis legalisiert?

Konkret soll in einem ersten Schritt der Besitz von 25 Gramm Cannabis für Erwachsene straffrei werden. Die Details dazu hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Gesetzentwurf ausgearbeitet. Der Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen für den eigenen Gebrauch soll demnach erlaubt werden. Legalen Verkauf und Handel soll es aber zunächst noch nicht geben. Stattdessen sollen sich Vereine gründen. Diese Cannabis-Clubs müssen bei den zuständigen Behörden eine Erlaubnis beantragen, um Hanfpflanzen anbauen und Blüten oder Harz an ihre Mitglieder abgeben zu dürfen.

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Doch ganz so einfach wird es wohl nicht werden, solche "Anbauvereinigungen" zu gründen. Der Gesetzentwurf ist gespickt mit Vorgaben und detailgenauen Regelungen. So gilt 50 Gramm pro Monat an bis zu 500 Mitglieder, bis 21 Jahre nur 30 Gramm und THC-Gehalt max. zehn Prozent. Die Vereine müssen zum Beispiel einen Präventionsbeauftragten benennen, ein Jugendschutzkonzept vorlegen, sie dürfen nicht für sich werben und der Konsum ist in den Clubs und in einem Abstand von bis zu 200 Metern zum Eingangsbereich nicht erlaubt. Auch zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Kinderspielplätzen gelten generelle Abstandsregelungen. Eine Einsicht von außen darf nicht möglich sein.

Die Länder sollen zuständige Behörden benennen, die sich um die Kontrolle der Vereine kümmern. Dem Gesetzentwurf zufolge können die Landesregierungen die Anzahl der Anbauvereinigungen begrenzen, die in einem Kreis oder einer Stadt eine Erlaubnis erhalten dürfen. Und zwar auf einen Verein je 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Länder wären also dazu verpflichtet, die Einrichtung von Cannabis-Clubs zu ermöglichen. Im Gesetzentwurf heißt es hierzu: "Die Länder stellen sicher, dass ihre zuständigen Behörden die Aufgaben nach diesem Gesetz ordnungsgemäß wahrnehmen können." Denkbar wäre aber, dass Landesregierungen wie in Bayern, die gegen die Legalisierung sind, Anträge besonders genau prüfen oder lange liegen lassen.

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Gibt es dann gar keine Strafen mehr?

Doch. Wer mehr als 25 Gramm Cannabis mit sich führt oder mehr als drei Cannabispflanzen besitzt, macht sich weiterhin strafbar. Dann droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. In besonders schweren Fällen, etwa wenn man gewerbsmäßig mit Cannabis handelt, kann es bis zu fünf Jahre Haft geben.

Die gute Nachricht für in der Vergangenheit wegen Cannabis Verurteilte: Geplant ist die Tilgung von Eintragungen im Bundeszentralregister für alte Delikte, die künftig dann nicht mehr strafbar sind.

Wird die Legalisierung noch ausgeweitet?

Legalen Verkauf und Handel soll es erst in einem zweiten Schritt geben. Und das auch erst mal nur im Rahmen von Modellregionen. Dazu will Lauterbach im Herbst einen weiteren Gesetzentwurf vorlegen. Bisher ist nur so viel bekannt: Der Verkauf soll in lizenzierten Fachgeschäften getestet und für fünf Jahre wissenschaftlich begleitet werden. Zahlreiche Städte haben schon Interesse bekundet, Modellregionen zu werden, zum Beispiel Frankfurt am Main, Bremen und München.

Aus unionsgeführten Ländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen kam aber schon Widerspruch. Hier will man rechtliche Schritte prüfen, um Kommunen die Beteiligung am Modellversuch zu untersagen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) etwa hatte erklärt, Modellprojekte für den staatlich lizensierten Cannabis-Handel werde es mit der bayerischen Landesregierung im Freistaat nicht geben. Zuvor hatte die grün-rote Rathauskoalition in München beantragt, dass die Landeshauptstadt eine solche Modellkommune werden soll.

Warum ist es rechtlich so kompliziert?

Die Legalisierung von Cannabis könnte gegen EU-Recht verstoßen. Im Schengener Abkommen hat sich Deutschland dazu verpflichtet, den Handel und Verkauf von Cannabis zu unterbinden. Deshalb wollte Lauterbach seine ursprünglichen, weitergehenden Eckpunkte von der EU-Kommission vorab prüfen lassen. Darin war vorgesehen, dass Volljährige Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften kaufen können. Richtig geprüft hat die Kommission die Eckpunkte nicht. Aber die Gespräche Lauterbachs auf EU-Ebene führten wohl in seinem Ministerium zu erheblichen Zweifeln in Bezug auf die Vereinbarkeit mit Europarecht.

Daraufhin hat Lauterbach seine Pläne eingeschränkt und sein Gesetz geteilt: zunächst in die Abgabe von Cannabis in Vereinen und den privaten Anbau von drei Pflanzen. Erst im zweiten Schritt soll es den Verkauf in regionalen Modellvorhaben mit "kommerziellen Lieferketten" geben, die wissenschaftlich evaluiert werden. Das Ministerium geht so davon aus, voraussichtlich nur den noch ausstehenden Gesetzentwurf zu den Modellprojekten von der EU-Kommission prüfen und notifizieren lassen zu müssen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt in einem Gutachten zu keinem ganz klaren Ergebnis. Demnach ist es prinzipiell möglich, den Privatkonsum von Cannabis in Deutschland straffrei zu stellen - konkret Besitz, Kauf und Anbau. Auch ist es möglich, den gemeinsamen Anbau von Cannabis in Vereinen zu erlauben und Cannabis-Modellprojekte einzuführen, wenn sie wissenschaftlich begleitet werden. Als rechtlich fraglich wird aber beurteilt, falls Vereinsmitglieder ihre Pflanzen gegebenenfalls nicht selbst aufziehen. Problematisch ist auch, wenn ein kommerzieller Handel entsteht. Teile der Ampel-Pläne könnten dann möglicherweise nicht mit Europarecht vereinbar sein.

Könnte noch was dazwischenkommen?

Nach dem Kabinettsbeschluss geht der Gesetzentwurf nun in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren. Er soll im Herbst im Bundestag und im Bundesrat beraten werden. Das Gesetz ist laut Bundesgesundheitsministerium nicht zustimmungspflichtig, laut bayerischem Gesundheitsministerium handelt es sich um ein sogenanntes "Einspruchsgesetz". Aufhalten können die Länder das Vorhaben demnach nicht.

Unklarer ist der zweite Schritt, also der Fortgang bei den Modellregionen mit kommerziellen Lieferketten. Zunächst muss Lauterbach hierzu einen Gesetzentwurf vorlegen. Geplant ist, Unternehmen in diesen Regionen die Produktion, den Vertrieb und die Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften in einem lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmen zu ermöglichen. Wahrscheinlich muss das Vorhaben auch von der EU-Kommission abgenickt werden. Und wieder ist davon auszugehen, dass Landesregierungen dagegen vorgehen, dass Städte oder Kreise Modellprojekte einrichten.

Wie kommt das Vorhaben an?

Er freue sich, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, sagt der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert. Gleichzeitig mahnt der SPD-Politiker an, dass die kontrollierte Abgabe von Cannabis Hand in Hand gehen müsse mit Kinder- und Jugendschutz. So müsse die Drogenberatung vor Ort gestärkt werden. Bislang sei die Suchtprävention in den Kommunen häufig eine freiwillige Aufgabe.

Die drogenpolitischen Sprecherinnen von FDP und Grünen machen hingegen keinen Hehl daraus, dass sie sich mehr gewünscht hätten. Der wichtigste Schritt sei, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen werde, sagt Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Allerdings dürften die neuen Strafvorschriften nicht zu restriktiv sein. Dass der Konsum in Cannabis-Clubs verboten sein soll, sieht Kappert-Gonther kritisch. Genauso die vorgesehenen Abstandsregeln. Für die Versorgung auf dem Land hält die Grünen-Politikerin auch den Versand von Cannabis für wichtig.

Aus Sicht von Kristine Lütke (FDP) bleibt Lauterbach mit seinem Vorschlag nahe an einem Verbot. Die FDP-Politikerin befürchtet zu komplizierte Auflagen für Cannabis-Clubs. Obergrenzen beim Besitz lehnt sie ab. "Wir kontrollieren auch nicht, wie viel Schnaps oder Wein jemand in seinem Keller lagert", sagt Lütke. Auch THC-Obergrenzen für unter 21-Jährige hält sie nicht für sinnvoll, weil die sich dann Cannabis mit höherem THC-Gehalt womöglich auf dem Schwarzmarkt besorgen würden. Durch die vielen detailreichen Regelungen könnte die Justiz zudem weiter belastet anstatt entlastet werden.

Genau das befürchten auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutsche Richterbund. Denn die vielen Regelungen zu Cannabis-Clubs und die Vorgaben zur Besitzmenge müssten kontrolliert und geahndet werden.

Kinder- und Jugendärzte warnen davor, dass sich Cannabis bei jungen Menschen negativ auf Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen auswirken kann. Weitere Folgen könnten depressive Störungen, Angsterkrankungen und Psychosen sein. Die Ärztinnen und Ärzte verweisen auf internationale Forschungsergebnisse. Diese zeigten, dass dort, wo Cannabis legal ist, mehr davon konsumiert werde - auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das liegt aus Sicht der Mediziner auch daran, dass junge Menschen Cannabis dann nicht mehr als so gefährlich einschätzten.

Die Kritik von medizinischer Seite ist heikel für den Bundesgesundheitsminister. Zumal Lauterbach mal gegen die Legalisierung war und nicht als großer Fan des Vorhabens gilt. Wohl auch deshalb ist sein Gesetzentwurf so restriktiv gehalten. Insgesamt gilt das einstige Prestige-Projekt der Ampel längst nicht mehr als Gewinner-Thema.  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 16. August 2023 um 05:38 Uhr.