Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner (v.l.)
interview

Unzufriedenheit mit Ampelkoalition Wie wieder Vertrauen in die Politik entstehen kann

Stand: 19.12.2023 19:32 Uhr

Die Ampelkoalition zerredet auch ihre neueste Einigung zum Agrardiesel. Dieses Hin und Her gab es in diesem Jahr häufiger. Was das für das Vertrauen in Politik bedeutet, erklärt Politologin Daniela Braun im Interview.

tagesschau.de: Das Vertrauen der Wählenden in politische Institutionen sinkt Studien zufolge kontinuierlich. Aktuell betrifft es die Ampelkoalition stark. Würden Sie schon von einer Vertrauenskrise sprechen?

Braun: Den Begriff hört und liest man gerade sehr oft, ich würde aber an der Stelle noch nicht davon sprechen. Gäbe es eine echte Vertrauenskrise, wäre das höchst problematisch für das ganze politische System.

Wir sehen sicherlich, dass die Bevölkerung irritiert ist. Ich würde derzeit von einer Krise sprechen, weil die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich unzufrieden mit der Arbeit der Regierung sind - mit dem politischen Output und aktuell mit politischen Ergebnissen. Das lässt sich aber beheben, sollte die Arbeit der Regierung aus der Sicht der Bevölkerung besser werden.

Daniela Braun
Zur Person

Daniela Braun ist seit 2022 Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Europäische Integration an der Universität des Saarlandes. Zuvor lehrte und forschte sie seit 2010 am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Derzeit ist sie am Forschungsprojekt "ActEU" beteiligt, bei dem unter anderem politisches Vertrauen und Legitimität über die Umfrage-Fragestellung "Wie viel Vertrauen haben Sie in das Parlament?" hinaus empirisch erfasst werden soll.

"Demokratische Werte und Normen sind wichtig"

tagesschau.de: Was braucht es, damit Menschen der Politik vertrauen?

Daniela Braun: Wir wissen aus der Forschung, dass es zwei wesentliche Komponenten gibt: die performanzbasierte und die wertebasierte. Performanzbasiert bedeutet, dass konkrete Leistungen seitens der Politik für die Bevölkerung getätigt und dass politische Abläufe und Entscheidungen gut erklärt werden müssen, um nachvollziehbar zu sein. Aber auch, dass die eigenen politischen Präferenzen umgesetzt werden.

Es gibt aber auch einen zweiten Block, der zum Vertrauen gehört und gerne in Forschung und Politik vergessen wird: Vertrauen braucht auch eine wertebasierte Komponente. Demokratische Werte und Normen sind wichtig in einer Gesellschaft, die Politik vertrauen kann. Eine demokratische Sozialisation hat positive Auswirkungen - etwa, wer in der Schule oder Universität bereits durch Aufgaben wie die der Klassensprecherin oder Klassensprechers Demokratie live im Kleinen erlebt.

All dies führt zu Vertrauen in die Politik. Wobei: Hundertprozentiges Vertrauen ist auch nicht gut, ein sogenanntes "kritisches Vertrauen" ist wichtig - das können wir aus der Vertrauensforschung sagen, die es seit den 1970er Jahren gibt.

tagesschau.de: Warum schafft es die Ampelkoalition derzeit nicht, vertrauensfördernd zu agieren?

Braun: Mir scheint es primär daran zu liegen, dass sich die verschiedenen Koalitionäre selbst uneinig sind. Sie sind sich selbst nicht im Klaren, was jetzt wirklich wesentlich ist. Dadurch haben sie Schwierigkeiten, eine Schwerpunktsetzung vorzunehmen und das klar zu formulieren: Was wollen sie jetzt durchsetzen und was ist ihnen nicht so wichtig?

"Das Urteil war eine Chance"

tagesschau.de:  Hat sich das durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse verschärft?

Braun: Dieses Urteil war vielleicht sogar eher eine Chance, um sich jetzt noch einmal besser zu fokussieren - und einen klaren Plan zu erstellen, was noch geht. Den muss die Regierung der Bevölkerung immer wieder erklären: Gerade auch, worauf in der aktuellen Situation verzichtet werden muss, weil schlichtweg nicht genug Geld dafür da ist.

tagesschau.de: Nach dem Urteil aus Karlsruhe haben die Spitzen der Ampelkoalition eine politische Einigung verkündet - nur, um sich darüber gleich wieder zu streiten. Kann eine Politik, die sich selbst nicht vertraut, überhaupt Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern erwarten?

Braun: Aus so einer Unzufriedenheit mit Abläufen kann ein Vertrauensproblem und dadurch ein Legitimitätsproblem entstehen. Genau das ist es, was wir unter dem performanzbasiertem Vertrauen verstehen: Wenn politische Abläufe nicht mehr gut nachvollziehbar sind und nicht mehr gut erklärt werden können.

Insofern sollte man schon versuchen, als Regierung mit einer klaren einheitlichen Stimme zu sprechen. Was wir in den vergangenen ein, zwei Jahren recht häufig erlebt haben, ist das Gegenteil: Dass eine Entscheidung getroffen wurde und schnell wieder revidiert und neu diskutiert.

"Zu viel Konflikt wirkt irritierend"

tagesschau.de: Die Ampelkoalition besteht aus drei sehr unterschiedlichen Parteien - ihre Haltungen sind oft verschieden. Wenn sie das zu öffentlich austragen, wirkt es wie Dauer-Zwist, wenn sie es nicht öffentlich austragen, wirkt es intransparent. Was würden Sie den drei Parteien raten?

Braun: Es ist ein Dilemma für die Koalition, weil in einer Demokratie natürlich Konflikt und Streit dazugehören. Debatten sind wichtig für den politischen Prozess, ebenso das Finden von Kompromissen. Andererseits sorgt zu viel Konflikt für Irritationen seitens der Bürgerinnen und Bürger. Da stehen die politischen Akteure vor einer großen Herausforderung, wie man das Problem angeht.

Es könnte daran hängen, welche Personengruppe man im Blick hat. Die Politikinteressierten haben wahrscheinlich weniger Probleme mit solchen Konflikten, aber die weniger Informierten und Interessierten werden vielleicht durch die Konflikt-Schlagzeilen desillusionierter. Man müsste wahrscheinlich zielgruppenspezifischer kommunizieren.

Denjenigen Bevölkerungsgruppen, die ein geringes Interesse an Politik und politischen Prozessen haben, würde ich tendenziell die Konflikte "ersparen" und stattdessen die Problemlösungen verstärkt erläutern. Diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die ein höheres Interesse an politischen Themen mitbringen, kann man hingegen stärker mit den dahinterliegenden Konflikten konfrontieren. Das ist eine These, die ich im kommenden Jahr in unserem aktuell laufenden, von der Europäischen Union finanzierten Projekt zum politischen Vertrauen in Europa (ActEU) untersuchen möchte.

Auch wenn es mühsam ist: Politikerinnen und Politiker müssen immer wieder erklären, warum man bestimmte Konflikte jetzt hatte und aus welchem Grund man zu einer bestimmten Einigung gekommen ist.

Die mediale Berichterstattung ist da auch nicht immer hilfreich - der Journalismus unterliegt einer bestimmten Logik, dass negative Schlagzeilen häufig mehr bringen. Insofern werden Konflikt-Schlagzeilen mehr in den Vordergrund gestellt als Einigungsmeldungen.

"Man muss sich auch involvieren"

tagesschau.de: Zur Meinungsbildung und Information nutzen viele inzwischen die sozialen Netzwerke - hier sind Fakten oft verfälscht, die Polarisierung stark. Verhilft das den rechtspopulistischen Parteien zu ihrem Erfolg, kombiniert mit der hohen Unzufriedenheit?

Braun: Das ist natürlich naheliegend, weil im Internet gute Informationen, aber vielfach auch Fake News zur Verfügung stehen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht gibt es sicherlich Zusammenhänge, aber noch keine klare Antwort.

tagesschau.de: Ist nur die Politik in der Bringschuld, wenn es um Vertrauen geht - oder muss sich auch die Zivilgesellschaft um Demokratie bemühen?

Braun: Schon demokratisches Erleben über eine Mitgliedschaft in Vereinen, gerade wenn es um Konfliktmanagement geht, kann ein positives demokratisches Bewusstsein fördern - vom Sportverein bis hin zum zivilgesellschaftlichen Engagement. Man muss sich auch involvieren in eine Gesellschaft, damit man Vertrauen empfinden kann.

Wenn auf der anderen Seite Gelder in Vereine und politische Bildung von der Politik gestrichen werden, hat das zwar keine kurzfristigen Effekte, aber mittel- und langfristige Negativeffekte für den Vertrauensaufbau in Demokratie. Das sollte die Politik im Blick haben.

Das Gespräch führt Corinna Emundts, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 07. Dezember 2023 um 18:30 Uhr.