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Habeck in den tagesthemen "Ein Weg, mit dem ich gut arbeiten und leben kann"

Stand: 18.10.2022 09:00 Uhr

Seine eigenen Pläne zur AKW-Laufzeitverlängerung konnte Wirtschaftsminister Habeck in der Koalition nicht durchsetzen. In den tagesthemen verteidigte er dennoch das Machtwort des Kanzlers im Atomstreit. Bei seinen Grünen gibt es aber noch Gesprächsbedarf.

Wirtschaftsminister Robert Habeck glaubt, dass die Grünen Kanzler Olaf Scholz und der Regierung weiter die Treue halten. Scholz hatte in einem Brief an Habeck und andere Ministerien angeordnet, dass die gesetzliche Grundlage für einen "Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023" geschaffen werden soll.

Die Änderung des Atomgesetzes muss vom Bundestag verabschiedet werden. Habeck geht nicht davon aus, dass dies wegen fehlender Stimmen der Grünen scheitern könnte. "Deutschland und Europa befinden sich in einer schweren Krise", sagte Habeck im Interview mit den tagesthemen. "In dieser Situation die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig. Das kann eigentlich nicht passieren", betonte der Grünen-Politiker.

"Das ist eine unübliche Lösung einer verfahrenen Situation", Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, zum AKW-Streit

tagesthemen, tagesthemen, 17.10.2022 22:15 Uhr

Grüne gegen Weiterbetrieb des Meilers Emsland

Die Grünen wollten eigentlich nur einen - von Habeck vorgeschlagenen - sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mittragen. Die Kraftwerke sollten in eine sogenannte Einsatzreserve überführt werden, um damit bei Bedarf einen Weiterbetrieb bis Mitte April zu ermöglichen. Den Weiterbetrieb des Meilers Emsland lehnte die Partei dagegen ab. Noch am Wochenende hatte die Basis ihre Positionen auf einem Parteitag in Bonn festgezurrt. Der Koalitionspartner FDP hielt dies für unzureichend und wollte längere Laufzeiten. Seit Wochen stritten die Koalitionäre darüber.

Da Scholz nun jedoch von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machte, müssen die Grünen in der Ampel jetzt aber wohl auch den Weiterbetrieb von Emsland akzeptieren. Im Interview mit den tagesthemen wollte Habeck dies nicht als Schmach interpretieren. Vielmehr sei der Schritt, den Scholz nun gegangen sei, eine "unübliche Lösung einer verfahrenen Situation". Er sprach von einem "Weg, mit dem ich gut arbeiten und leben kann". Es sei ein Vorschlag, der mit der Richtlinienkompetenz die ganze Autorität des Kanzlers einbringe. Inwiefern der von Scholz angeordnete "Leistungsbetrieb" und der von Habeck erdachte "Streckbetrieb" sich voneinander unterscheiden, ist bisher noch unklar.

Habeck übt auch Kritik

Habeck betonte in diesem Zusammenhang, die Anweisung von Kanzler Scholz im Koalitionsstreit um die Laufzeiten zu akzeptieren. Er werbe dafür, dass dieser Weg zu Ende gegangen werde. Die Diskussion zwischen den Koalitionspartnern Grünen und der FDP habe gezeigt, dass die Frage der Atomenergie eine hoch aufgeladene Frage sei, die Generationen geprägt hätte.

Gleichwohl ließ der Wirtschaftsminister auch Kritik anklingen. "Es wäre besser gewesen, wenn dieser Vorschlag noch vor dem Parteitag der Grünen gekommen wäre", sagte Habeck. Doch im Zuge der Niedersachsen-Wahl am vorvergangenen Wochenende hätten manche Akteure länger gebraucht, sich abzustimmen. Auf die Frage, welchen Eindruck der Streit bei der Bevölkerung hinterlassen habe, sagte Habeck: "Wahrscheinlich keinen guten, und genützt hat es auch nichts."

Grünen-Spitzen wollen "Gespräche führen"

In Habecks Partei herrscht nach der Entscheidung zunächst Beratungsbedarf. Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin äußerte scharfe Kritik. "Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete dem ZDF. "Das wird glaube ich noch eine ganz schwierige Operation." Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann kündigten an, in der Fraktion zu beraten, "wie wir mit der Entscheidung des Kanzlers umgehen".

Auch die Grünen-Parteispitze will noch weitere Gespräche führen. "Der Kanzler hat nun von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Wir werden dazu Gespräche führen", twitterte Parteichefin Ricarda Lang. Sie wies aber auch darauf hin, dass ein Hauptanliegen der Partei erfüllt wird: dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und letztlich alle deutschen AKW vom Netz gehen werden.

Nouripour: kein Grund für "große Diskussionskrise"

Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour äußerte sich im rbb ähnlich. Er halte nichts davon, auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen, "auch weil wir sehen, dass das fachlich nichts bringt, weil wir sehen, dass das kein Beitrag ist zur Energieversorgung in Deutschland ist." Das Atomkraftwerk liege im Energieüberschuss-Land Niedersachsen, wo die erneuerbaren Energien gut ausgebaut seien. Dennoch sei die Entscheidung von Scholz kein Grund, "eine große Diskussionskrise auszulösen".

Die Grünen würden mit den Koalitionspartnern weiter über das Thema sprechen, sagte Nouripour. Er glaube, dass das Ergebnis auch aus "Respekt vor der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers dann entsprechend so sein wird".

Der frühere Fraktionschef Anton Hofreiter rechnet damit, dass die Grünen im Bundestag der Entscheidung am Ende zustimmen werden. Er sehe keine Niederlage für seine Partei, sagte er bei RLT/n-tv. "Die FDP wollte unbedingt neue Brennelemente. Das kommt nicht."

"Basta-Politik brauchen wir nicht"

Weniger diplomatisch äußerte sich die Grüne Jugend. "Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht", sagte der Co-Chef der Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, der Nachrichtenagentur dpa. "Wir brauchen eine Debatte im Bundestag zu dem Thema." Die Grüne Jugend halte die Entscheidung auch inhaltlich für falsch, sagte Dzienus. "Sie entbehrt jeglicher Faktengrundlage." Es gebe zu viele offene Fragen. "Ein Weiterbetrieb des AKW Emsland könnte dafür sorgen, dass die Stromnetze in Niedersachsen verstopfen und Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Das ist doch absurd."

Führende FDP-Politiker reagierten hingegen erfreut auf den Beschluss des Kanzlers - obwohl er auch hinter ihren Forderungen zurückblieb. "Die Vernunft setzt sich durch", kommentierte Bundesjustizminister Marco Buschmann. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, verbuchte die Entscheidung als Unterstützung für seine Partei. "Das Verhandlungsergebnis zeigt, dass sich gut begründete Positionen durchsetzen." Er erwartete als Folge auch sinkende Preise, weil das Signal gesendet werde, dass mehr Strom zur Verfügung stehen werde.

Union enttäuscht, Bartsch spricht von "Schmierentheater"

Bei der Union erntete Scholz für seinen Vorstoß Kritik. Seine Entscheidung sei kein Machtwort, sondern ein "Zeichen von Schwäche", teilte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner, mit. "Die Bürger und Unternehmen warten auf echte Entlastung, die nur durch ein Mehr an Energie erreicht werden kann." CDU-Chef Friedrich Merz sagte der "Welt", Scholz' Entscheidung greife zu kurz: "Die deutschen Atomkraftwerke müssen - wie es die FDP gefordert hat - bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen." CSU-Chef Markus Söder sprach von einer Enttäuschung. "Die Gefahr eines Blackouts im kommenden Jahr bleibt bestehen."

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kanzelte die Entscheidung als "absurdes Schmierentheater" ab. "Nach der Wahl in Niedersachsen und nach dem Bundesparteitag der Grünen kommt diese Entscheidung. Hier ging es weder um die Bürger, noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner" sagte Bartsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe. AfD-Vize Stephan Brandner erklärte, die Kernenergie müsse "ausgebaut und verstetigt werden".

Scharfe Kritik kam auch von Umweltverbänden: Von einem "nicht zu verantwortenden Risiko" durch längere AKW-Laufzeiten sprach etwa Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe nannte den Weiterbetrieb "unnötig und gefährlich". Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lobte hingegen, dass nun endlich eine Entscheidung gefallen sei.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 17. Oktober 2022 um 22:15 Uhr.