
Grüne im Dilemma Zustimmung zu Zumutungen
Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, Atomkraftwerke im Reservebetrieb - als Regierungspartei stecken die Grünen bei Kernthemen in einem Dilemma. Warum trägt der Parteitag diese Zumutungen ohne lautstarken Streit mit?
Als Annalena Baerbock die Bühne betritt, steht längst fest: Die Grünen müssen viele ihrer Grundüberzeugungen neu denken. Die Grünen als Friedenspartei, was bedeutet das eigentlich noch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges? Nicht nur über diese Frage wird in Bonn zwar nicht laut gestritten, aber kontrovers diskutiert.
Baerbock verteidigt den Kurs der Regierung. "Wir unterstützen die Ukraine humanitär, finanziell, aber eben auch mit Waffen zur Selbstverteidigung", sagt sie, und zwar nicht obwohl, sondern weil die Grünen eine Friedens- und Menschenrechtspartei seien. Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten schließlich für Waffenlieferungen an die Ukraine.
Partei stützt ihre Spitze
Die Partei stellt sich hinter ihre Spitze, auch wenn viele Entscheidungen für hörbares Grummeln sorgen. Die Grüne Jenny Laube aus Berlin findet, dass es für die jüngsten Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien weder eine Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung gebe. Ein Antrag, die Entscheidung rückgängig zu machen, schafft es aber nicht mal zur Abstimmung. Die Entscheidung darüber wurde nicht auf großer Bühne, sondern hinter den Kulissen getroffen.
In einem Parteitagsbeschluss lehnen die Grünen grundsätzlich Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ab. Baerbock räumt ein: Es ist ein Dilemma. Gleichzeitig wirbt die Außenministerin für eine europäische Rüstungskooperation. Das nicht zuletzt deshalb, damit in Deutschland Ausgaben für Soziales nicht zugunsten von Verteidigungsausgaben gekürzt werden.
Streit um Lützerath mit Symbolkraft
Das nächste Dilemma - der Klimaschutz. Wegen der Energiekrise soll die Siedlung Lützerath im Rheinischen Revier abgebaggert werden. Dafür kommt der Kohleausstieg in NRW früher: 2030 statt 2038. Das ist der Deal der grün geführten Wirtschaftsministerien von Bund und NRW mit dem Energiekonzern RWE.
Die Grüne Jugend ist dagegen und fordert ein Räumungsmoratorium für das Symboldorf der Klimabewegung. Nach emotionaler und kontroverser Debatte scheitern sie mit ihrer Forderung aber am grünen Regierungspragmatismus.
Zustimmung zur Zumutung
Schon zum Auftakt der Delegiertenkonferenz geht es um die Energiepolitik. Eigentlich sollte Schluss sein mit der Atomkraft Ende des Jahres. Jetzt ringt die Anti-Atomkraft-Partei mit einer Einsatzreserve. Aber es ist eben vieles anders in diesen Zeiten. Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für den Reservebetrieb der beiden süddeutschen AKW wirbt, versichert er: Ein Zurück zur Atomkraft sei das nicht - das werde auf keinen Fall mit den Grünen passieren.
Umweltministerin Steffi Lemke redet gar nicht erst drum herum: Das, was der Bundesvorstand vorgelegt habe, sei eine "Zumutung". Und jetzt stehe sie hier und werbe für diese Zumutung. Am Ende folgen die Delegierten auch hier ihrer Parteispitze und stimmen für eine vorübergehende Einsatzreserve von Isar 2 und Neckarwestheim 2.
Rote Linien gibt es dennoch: Keine neuen Brennelemente, ruft Parteichefin Ricarda Lang den Delegierten zu. Außerdem soll am 15. April Schluss sein mit dem Reservebetrieb. Eine Entscheidung, die Habeck bei den Verhandlungen mit der FDP über die Atomkraftfrage wenig Spielraum lässt, und für weiteren Konfliktstoff in der Ampel-Regierung sorgen dürfte. Und damit wird das größte Dilemma der Grünen von Bonn nach Berlin vertagt. Wie der Streit gelöst wird, darauf müssen jetzt andere Antworten finden. Vielleicht der Kanzler, indem er im grün-gelben Streit ein Machtwort spricht?
Überzeugungen treffen auf Erkenntnis des Machbaren
Die Grünen wollen Antworten geben - und Verantwortung übernehmen. Sie betonen selbstbewusst ihre Rolle als Regierungspartei. Grünen-Chef Omid Nouripour drückt es so aus: "Wir tragen diesen Staat, diese Gesellschaft." Dafür gibt es viel Applaus, genauso wie für Robert Habeck, der die Basis fast beschwört: "Es lohnt sich, in der Regierung zu sein", ruft er in den Saal. In einer "wahnsinnigen Geschwindigkeit", sagt er, habe die Partei in den vergangenen Monaten schwere Entscheidungen treffen müssen und bewiesen, dass sie "zu Recht" in der Verantwortung stehe.
Aber es ist eben ein Dilemma, wenn grundsätzliche Überzeugungen auf die Erkenntnis des Machbaren stoßen. "Wir machen Politik nicht für die Realität, die wir uns wünschen, sondern für die, die da ist", das hatte Parteichefin Ricarda Lang auch schon vor dem Parteitag gesagt, und sie wiederholt es an diesem Wochenende. Die Grünen folgen dem pragmatischen Kurs.

"Wir machen Politik nicht für die Realität, die wir uns wünschen, sondern für die, die da ist" - Parteichefin Ricarda Lang. Bild: dpa
Zwar werden intensiv kontroverse Debatten geführt, aber ohne großes Aufbegehren, ohne Streit auf offener Bühne. Zahlreiche Gegenanträge werden geeint, in Leitanträge eingefügt, zurückgenommen. Ein Großteil der Delegierten ist zum ersten Mail bei einem Präsenz-Parteitag dabei - viele junge Grüne, selbstbewusst, zugleich zielorientiert und kompromissbereit.
Die Grüne Jugend will den Anschluss an die Klimabewegung nicht verlieren. Trotzdem ist sie bereit Kompromisse beim Thema Klimaschutz einzugehen und ihrer Parteispitze zu folgen, auch Wirtschaftsminister Habeck und Außenministerin Baerbock. Zumindest jetzt, in Krisenzeiten.