Christian Lindner
Analyse

Bundeshaushalt 2024 Der Streit ist nur verschoben

Stand: 04.04.2023 13:02 Uhr

Eigentlich ist es üblich, dass ein Finanzminister für den Haushalt zuerst Eckwerte vorlegt. Doch weil sich die Ampel in einigen Fragen uneins ist, will Lindner darauf verzichten. Mehr als ein Zeitgewinn ist das nicht.

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin

"Haushalts-Eckwerte" - das klingt nach einem Detail für finanzpolitische Feinschmecker. Doch die nüchternen Zahlen haben es in sich: Sie legen fest, mit welchen Ausgaben der Bund insgesamt plant und wie viele Milliarden jedem einzelnen Ministerium im kommenden Jahr zustehen. "Ziel ist, die haushaltspolitische Marschrichtung festzulegen", heißt es dazu auf den Internet-Seiten des Bundesfinanzministeriums.

Doch auf eben diese Eckwerte verzichtet Finanzminister Christian Lindner nun - mit Rückendeckung von Bundeskanzler Olaf Scholz. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte dazu am Montag: "Ich nehme nicht wahr, dass er" - gemeint ist Scholz - "das als gravierendes Problem ansieht." Schließlich gebe es keinen juristischen Zwang, diese Eckwerte aufzustellen.

"Natürlich gibt es Auseinandersetzungen darüber"

Für Lindner bedeutet der Verzicht auf die Eckwerte einen Zeitgewinn. Leichter wird es aber nicht. Während im Fall eines Eckwerte-Beschlusses jedes Ministerium seinen Haushalt dann innerhalb des beschlossenen Rahmens relativ eigenständig vorbereiten kann, muss nun über alle großen Projekte der Regierung gemeinsam abgestimmt werden.

Aus Sicht des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Andreas Audretsch, ist das aber kein Problem: Schließlich spiegelten sich in der Haushaltspolitik Entscheidungen über politische Prioritäten wider, so Audretsch im Deutschlandfunk: "Und natürlich gibt es Auseinandersetzungen darüber, wie wir diese Prioritäten am Ende am besten setzen."

Bei keinem Thema zeigt sich das derzeit mehr als beim Streit um die so genannte Kindergrundsicherung: Sollen dafür jährlich 12 Milliarden Euro mehr in die Hand genommen werden? So lautet die Forderung von Familienministerin Lisa Paus von den Grünen. Oder sollen die vorhandenen Leistungen im Grundsatz bleiben und nur gezielter verteilt werden? So sieht das die FDP - wobei sich auch Bundeskanzler Scholz im Bundestag ganz ähnlich geäußert hat.

Lindner: "Haushaltspolitik aus den Augen der Kinder"

Eigentlich betrifft diese Frage erst den Haushalt 2025, weil die von der Ampelkoalition vereinbarte Kindergrundsicherung erst dann greifen soll. Doch die Grundlage für diese Entscheidung soll bereits jetzt gelegt werden, im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung. Dass es dabei nicht vorangeht, empört Linken-Chef Martin Schirdewan: Mit den Diskussionen um den Haushalt vollführe die Regierung "ein unwürdiges Schauspiel auf dem Rücken der ärmsten Familien in diesem Land".

Finanzminister Lindner wiederum bremst seit Wochen die Ausgabewünsche seiner Ministerkollegen - und zwar mit Hinweis auf die Interessen der jungen Generation, die durch höhere Schulden über Gebühr belastet würden: "Wir sind gefordert, Haushaltspolitik wieder aus den Augen der Kinder zu betreiben, die auch einen handlungsfähigen Staat erwarten dürfen." Es sei "Kinderzukunftssicherung", den Staat nicht dauerhaft in seinen Finanzierungsmöglichkeiten zu überfordern, so der FDP-Vorsitzende.

Nach Darstellung des Finanzministers kann kaum ein Berliner Minister-Kollege damit rechnen, dass seine zusätzlichen Ausgabewünsche - die Rede ist von rund 70 Milliarden Euro - erfüllt werden. Sogar ohne die zusätzlichen Wünsche gebe es eine Deckungslücke von bis zu 18 Milliarden Euro im Haushalt des kommenden Jahres, so Lindner. Schließlich habe die Koalition bereits zusätzliche Ausgaben beschlossen - vom höheren Kindergeld über das Bürgergeld bis hin zu steuerlichen Entlastungen.

Wadephul: "Bundesregierung ist stehend k.o."

Aus den Reihen der Opposition hagelt es Kritik an der Entscheidung, auf die Eckwerte ganz zu verzichten. Von einem "völlig unüblichen Vorgehen" spricht der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Peter Boehringer, im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: Es zeige nur, wie heillos zerstritten die Koalition sei. Boehringer vermutet, die Regierung wolle sich durch den Verzicht auf die Eckwerte in die Sommerpause retten.

Ganz ähnlich klingt es bei Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul: "Diese Bundesregierung ist stehend k.o.", schreibt dieser auf Twitter und beklagt, dass es gerade bei all den Fragen zur Finanzierung der Bundeswehr nicht vorankommt. Christian Görke, Finanzpolitiker der Linken, spricht gar von einer "Arbeitsverweigerung der Regierung".

Wie fällt die Steuerschätzung aus?

Mitglieder der Ampelparteien jedoch beschwichtigen. Auch ohne die Haushalts-Eckwerte könne die Regierung ein Haushaltsgesetz vorbereiten, so der Grünen-Politiker Audretsch: "Wir werden im Mai die Steuerschätzung kriegen und dann einen Haushalt aufstellen, der im Juni im Kabinett verabschiedet werden soll, das ist die Zeitschiene - und bis Juni ist noch einiges an Zeit."

Sollte die Steuerschätzung besser ausfallen als zuletzt, könnte das den Streit ums Geld innerhalb der Regierung etwas besänftigen. Die Grundsatzfrage, wer wie viel bekommt, muss aber so oder so geklärt werden - womöglich in einem neuen Spitzentreffen der Koalitionspartner. Denn der Haushalt spielte beim rund 30-stündigen Treffen des Koalitionsausschusses in der vergangenen Woche nach Angaben der Teilnehmer nur eine geringe Rolle.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 04. April 2023 um 12:12 Uhr.