Das Ortsschild der Ortschaft Bitterfeld in Bitterfeld-Wolfen.
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AfD gegen CDU (K)eine normale Wahl in Bitterfeld-Wolfen

Stand: 07.10.2023 21:29 Uhr

In Bitterfeld-Wolfen hofft die AfD auf die Wahl ihres allerersten Oberbürgermeisters. Der CDU-Amtsinhaber hält dagegen. Doch in der Stadt ist die Partei längst akzeptiert.

Die Frau auf dem Bitterfelder Marktplatz schaut ihren Oberbürgermeister einigermaßen ratlos an. "Was soll denn noch alles passieren?", ruft sie. Wie lange soll denn noch gemeckert werden. Armin Schenk, der Oberbürgermeister, pflichtet ihr bei: "Wir haben doch mit wenig Geld viel erreicht."

Keine zehn Meter von Schenk entfernt stehen an diesem Freitagvormittag diejenigen, die hier in Bitterfeld-Wolfen den Unmut sammeln: die AfD. Schenk, ein CDU-Politiker, und der AfD-Kandidat Henning Dornack treten hier am Sonntag zur Stichwahl um das Rathaus an. Dornack war im ersten Wahlgang auf 33,8 Prozent der Stimmen gekommen, Schenk nur auf 29 Prozent. Eine Wahl Dornacks wäre alles andere als ein Ausweis von Zufriedenheit.

Amtsinhaber kämpft mit CDU-Image

Bei so einer Stimmungslage könnte man große Unterstützung aus der eigenen Partei erwarten. Doch Schenk steht hier fast allein. Die CDU im Stadtrat ist gespalten, der Stadtverband heillos zerstritten. Kurz vorm ersten Wahlgang sind zwei Ortsbürgermeister aus der Partei ausgetreten.

Stattdessen unterstützen jetzt zwei ältere Herren Schenk. "Wenn Henning Dornack gewählt wird, scheint ab Montag kein blauer Himmel mehr über Bitterfeld", sagt einer der beiden. Die AfD rede die Leute besoffen, sagt der andere. "Wir müssen Bitterfeld aus der negativen Berichterstattung herausholen."

Bundespolitiker kommentieren die Wahl. Viele Journalisten sind in diesen Tagen in Bitterfeld-Wolfen unterwegs. Schenk nennt das Interesse "nachvollziehbar". Er listet noch einmal die Erfolge seiner ersten Amtszeit auf: Die Schulden seien von 80 Millionen Euro auf 15 Millionen Euro gesunken. Der örtliche Technologie- und der Chemiepark treiben die Gewerbesteuereinnahmen nach oben, auch weil die Solarindustrie einen zweiten Anlauf im ehemaligen "Solar Valley" im Ortsteil Thalheim wagt.

Doppelstadt mit vielen Umbrüchen

Schenk wirkt agil. Er war in der DDR Ingenieur in der Wolfener Filmfabrik. Mit der Wende ging er in die Wirtschaftsförderung. Vor sieben Jahren wurde er Oberbürgermeister.

Manche in der Stadt halten ihn für eine One-Man-Show, die vor allem sich selbst verkaufe. Mit Schenk sei "der Schlips ins Rad" der Kommunalpolitik geraten, sagt etwa der Ortsbürgermeister von Wolfen, André Krillwitz, selbst Dritter im ersten Wahlgang. Der Stadtrat traue Schenk nicht mehr. Es gab Streit um die Sanierung des Bitterfelder Innenstadtrings, um die Schließung des Wolfener Spaßbads, um die Beteiligung der insgesamt acht Ortschaften.

Bitterfeld-Wolfen ist eine Doppelstadt, ein "Verwaltungskonstrukt", wie manche sagen. Wolfen wurde von der Chemieindustrie geprägt, Bitterfeld vom Kohleabbau. Mit der Wende endete die Umweltverschmutzung, aber auch der Tagebau. Die Chemie blieb. Aus der einst schmutzigsten Stadt Europas wurde zur selben Zeit das grüne, biedere Bitterfeld-Wolfen von heute. Die Einwohnerzahl von rund 38.000 war am Ende der DDR allerdings doppelt so hoch.

Die Stadt ist ein Brennglas für Strukturumbrüche. In solchen "von Transformation betroffenen Industrieregionen" ist die AfD in ganz Deutschland stärker als anderswo. Das hat eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaft ergeben. Und je mehr Umbrüche es gibt, desto höher sind die AfD-Werte.

AfD: "Dieses Mal sind wir dran"

Bei der Landtagswahl 2016 holte die AfD im Wahlkreis Bitterfeld fast 32 Prozent der Zweitstimmen - so viel wie nirgendwo sonst. Fünf Jahre später holte AfD-Mann Kay-Uwe Ziegler das Direktmandat bei der Bundestagswahl. Im benachbarten Raguhn-Jeßnitz wurde im Juli Deutschlands erster hauptamtlicher AfD-Bürgermeister gewählt.

Kay-Uwe Ziegler ist an diesem Freitag mit auf dem Marktplatz. Er war Wortführer bei den Corona-Protesten, zu denen die AfD hier oft über tausend Menschen versammeln konnte. "Dieses Mal sind wir dran", sagt er. "Das sagt mir die Stimmung außerhalb unserer Blase." Noch vor sieben Jahren war er selbst Oberbürgermeisterkandidat, kam aber nur auf Platz drei. Jetzt soll es mit einem neuen Kandidaten klappen.

"Ich polarisiere", sagt Ziegler, der auch im Stadtrat und Kreistag sitzt. Henning Dornack hingegen sei nicht politisch. "Der redet im Stadtrat selbst mit Leuten, mit denen ich nie reden würde."

"Wir haben hier keine Brandmauer"

Henning Dornack ist derweil auf einen anderen Platz in der Innenstadt gezogen. Er sagt, die Leute trieben die Energiepreise um, die "Entwicklung mit den Migranten". Das seien aber sicherlich Sachen, "die man hier nicht in der Stadt lösen kann". Er wolle vor allem die Verwaltung effizienter machen und "den Investitionsstau lösen".

Dornack ist Polizist im Ruhestand. Er trägt Bürstenschnitt und ein kleines paar goldene Handschellen am Revers. Schon jetzt arbeite man "im Stadtrat alle miteinander zusammen", sagt Dornack. "Wir haben hier keine Brandmauer." Vor drei Jahren wurde er in geheimer Wahl zum Vizechef des Stadtrats gewählt. 

Ist Dornack doch nicht politisch, so wie Ziegler es gesagt hat? Er sagt: "Ich stehe vollumfänglich hinter dem Programm der AfD." Auf den Bierbänken hinter ihm verdrücken Dutzende Menschen Bratwurst und Spritzgebäck. Kinder springen über eine aufgebaute Hüpfburg.

Tagebau wurde Skandal-See

Torsten Weiser steht auf der anderen Straßenseite und sagt: "Bei der AfD ist immer Volksfest." Der Sozialdemokrat und 36-jährige Steuerfachwirt führt die Stadtratsfraktion von SPD, Grünen und FDP. Er nimmt einen mit zur Goitzsche, einem Reizthema in Bitterfeld.

Der "Goitzsche" genannte Goitzschesee in Bitterfeld-Wolfen.

Für 300 Millionen Euro wurde der Bitterfelder Tagebau geflutet und saniert. Der See ist ein beliebtes Ausflugsziel, die Grundstücke beste Wohnlage. Davon hatte die Stadt allerdings nichts: Viele Flächen soll die kommunale Betreibergesellschaft zu Spottpreisen verkauft haben.

Zu den Profiteuren sollen mehrere Lokalpolitiker zählen, ein CDU-Mann war Käufer und Aufsichtsratsmitglied zugleich. Er bestreitet Interessenkonflikte, doch seit Ende 2022 wird der mutmaßliche Skandal durch den Stadtrat neu aufgerollt.

Weiser und mehrere Stadtratskollegen kamen nach einer ersten Prüfung von Unterlagen zu dem Schluss: Das kann nicht rechtens gewesen sein. Es gab eine gemeinsame Presseerklärung - auch mit der AfD. Nun liegen Tausende Seiten Akten bei einer Kanzlei.

Auch SPD stimmt bisweilen mit AfD

Für Weiser war es nicht das erste Mal, dass er mit der AfD gearbeitet hat. Seine Fraktion haben nur sechs Abgeordnete, drei davon sind in der SPD. "Was willst Du mit drei Mann allein bekleistern?", sagt Weiser. Es bleibe nichts anderes übrig, als fraktionsübergreifend zu arbeiten - auch mit der AfD. Die CDU hingegen sei zerstritten. Viele andere Stadträte würden oft mit Abwesenheit glänzen. So würfelten sich Mehrheiten immer wieder neu zusammen

Der heutige Oberbürgermeister Schenk hat sich an der Goitzsche nicht bereichert. Das steht selbst für die AfD fest. Dennoch färbt der Skandal auf ihn ab, weil das Geschäft vor allem der CDU angelastet wird.

Und bei der Goitzsche gehen für Weiser die Probleme weiter. Bitterfeld-Wolfen schöpfe sein Potenzial nicht aus. Andere Städte in der Umgebung würden weit mehr von der Nähe zu Berlin und Leipzig profitieren. "Wir vermarkten uns zu schlecht", sagt Weiser. Unter Schenk werde viel geplant und zu wenig umgesetzt.

Bündnis gegen AfD

Am Samstag wird Weiser mit seiner SPD dennoch an einem "Fest für Demokratie" in Bitterfeld teilnehmen. Ein lokales Bündnis mobilisiert gegen die Wahl des AfD-Kandidaten - und für den angeschlagenen Amtsinhaber. Es gibt eine überregionale Petition. Auch Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff appelliert an die "staatsbürgerliche Verantwortung" der Bitterfeld-Wolfener.

Für Sonntag rechnen alle Seiten mit einem knappen Wahlausgang. Und wenn Henning Dornack gewinnt? Torsten Weiser zögert, dann sagt er es doch: "Dann geht die Welt nicht unter." Journalisten würden noch ein paar weitere Wochen nach Bitterfeld-Wolfen kommen. Danach wäre bis zur nächsten Wahl wieder Stille.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR am 06. Oktober 2023 um 19:00 Uhr.