Protestierende auf Bauerndemo in Berlin am 15. Januar 2024
reportage

Bauernprotest in Berlin Sie wollen mehr

Stand: 15.01.2024 17:45 Uhr

Buhrufe für Finanzminister Lindner, lautstarke Kritik an der Ampel: Bei der Bauern-Demo in Berlin zeigt sich, dass es vielen Landwirten nicht nur um den Agrardiesel geht.

Die Bauern haben gerufen, gekommen sind auch Gastronomen, Handwerker und Spediteure. In den Straßen rund um das Brandenburger Tor stehen an diesem Montag Traktoren, Lkws und Kleintransporter aus ganz Deutschland. Um die zehntausend Menschen werden es am Ende nach Schätzungen sein, die Versammlungsbehörde zählt 8.500.

Vielen geht es um mehr als Kürzungen

Den Männern in der ersten Reihe sind das zu wenig. "Eigentlich sollte das ganze Land demonstrieren", meint ein Zimmermann aus Sachsen. In seiner Branche, dem Bau, sei die Nachfrage eingebrochen. Gleichzeitig treibe die Ampelkoalition die Materialkosten nach oben. Es brauche Neuwahlen. Der Landwirt und der Dachdecker neben ihm nicken.

Weiter hinten hat ein Bauer aus Niedersachsen drei Figuren in Anzügen vor seinen Traktor gespannt. Auf ihnen kleben die Gesichter von Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, darunter steht: "Die Geißel unseres Landes". 

"Gerade noch okay", findet das eine Transportunternehmerin aus Baden-Württemberg. Auf ihrem eigenen Schild steht "Fair und demokratisch protestieren". Sie fordert eine Rücknahme der Doppelbelastung durch höhere CO2-Steuer und Lkw-Maut. Dafür brauche es keinen Regierungswechsel.

Lindner verteidigt Pläne der Ampel bei Abschlusskundgebung der protestierenden Landwirte

Andre Kartschall, RBB, tagesthemen, 15.01.2024 21:45 Uhr

Ampel unterbreitet Kompromissvorschläge

Und die Ampel? Die ist zumindest den Landwirten noch vor Beginn der Protestwoche, die hier ihren Höhepunkt findet, ein Stück entgegengekommen. Die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung entfällt, das Dieselprivileg wird nur noch schrittweise abgebaut. Mehr Bewegung werde es nicht geben, so Bundeskanzler Scholz.

Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat stattdessen gerade eine Tierwohlabgabe in Aussicht gestellt: höhere Preise für Fleisch, Milch, Eier - mehr Geld für Landwirte. Finanzminister Christian Lindner von der FDP schwebt hingegen ein Bürokratieabbau vor.

Schrille Töne bei den Demos

Die SPD-Landwirtschaftspolitikerin Franziska Kersten, die den Protest vor Ort beobachtet, unterstützt beide Vorschläge. Eine Tierwohlabgabe etwa "würde den Verbraucher in die Verantwortung nehmen". Auch eine Änderung der Düngeverordnung sei denkbar.

Den Demonstrierenden dürfte das zu wenig sein. Es brauche die vollständige Rücknahme der Änderungen bei Lkw-Maut, Agrardiesel, Kfz-Steuer, so ist es hier wieder und wieder zu hören. Und manche fordern gleich Neuwahlen.

Es gab schrille Töne bei den Demos der vergangenen Tage. Stellenweise versuchten AfD und Rechtsextremisten, die Proteste zu vereinnahmen.

Bauernpräsident will "selbstbewusster" werden

So sehen es auch die Verbandsvertreter, die nun auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor sprechen. Bauernpräsident Joachim Rukwied, ein Getreide- und Weinbauer aus der Nähe von Heilbronn, spricht von einem "faulen Kompromiss".

"Unsere Themen müssen weg", ruft Rukwied. "Zu viel ist zu viel." Die Politik müsse raus "aus der Berliner Blase", sonst drohten langfristig Versorgungsengpässe, weil die Landwirtschaft verschwinde. Deshalb würden die Landwirte künftig noch selbstbewusster als bislang auftreten.

Wenig konkret wird Rukwied allerdings dabei, was er außer der Rücknahme der Ampel-Beschlüsse will. Er sagt, dass Öko-Regeln "an die Praxis angepasst" werden müssten. In der Vergangenheit hatten sich die Landwirte zumindest gegen eine Verschärfung der Düngeverordnung und verpflichtende Stilllegung von Flächen für Naturschutzziele gerichtet.

Jetzt gibt sich Rukwied entschlossen: Bis zu einer Lösung bliebe man "mit den Treckern auf der Straße". Gleich nach ihm stellt Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) einen mehrtägigen Streik seiner Branche in Aussicht.

Gelbe Karte für Lindner

Finanzminister Lindner hört sich das alles auf der Bühne an. Theresa Schmidt, Vorsitzende des Bunds Deutscher Landjugend, überreicht Lindner eine gelbe Karte. Die Ampel sei damit verwarnt.

Viele Demonstrierende sind schon weiter. Sie buhen und pfeifen, wenn die Namen Scholz oder Özdemir fallen. Mehrfach gibt es "Ampel muss weg"- oder "Lügner"-Sprechchöre.

Als Lindner selbst ans Pult tritt, buht die Menge solange, dass Bauernpräsident Rukwied um Mäßigung bittet. Dabei hatte das Moderationsteam selbst die Demonstrierenden immer wieder vor Lindners Auftritt angeheizt.

Lindner bleibt hart beim Agrardiesel

Der Finanzminister präsentiert sich als Streiter für die Bauern. Er versucht, als Pferdehalter und Jäger Sympathiepunkte zu sammeln - vergebens. Er redet von der "linksextremistischen Unterwanderung der Klimabewegung" und von Kürzungen bei Asylleistungen und Bürgergeld. Auch das lässt den Unmut nicht verstimmen.

Schließlich geht Lindner in die Offensive. Er ruft: "Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen dem Agrardiesel da sind." Er sagt, dass die Proteste "bereits erfolgreich" gewesen seien. Weil eine Kürzung zurückgenommen wurde, die andere nun zeitlich gestreckt werden soll.

Damit bleibe "ein fairer Beitrag" der Landwirte, findet Lindner. Das Pfeiffen, Buhen, Rufen ist jetzt am lautesten. Der bayerische Bauernpräsident Günther Felßner steht neben Lindner auf der Bühne und kurbelt mit den Armen die Menge an. Rauchtöpfe werden geworfen. Die Polizei muss eingreifen.

Lindner zeigt sich davon unbeirrt und nennt Beispiele für Bürokratieabbau, die er den Bauern stattdessen vorschlägt: Steuerbefreiung von Risikorücklagen, leichtere Züchtung, runter mit den "seit Renate Künast überzogenen Ökostandards". Jetzt sei die Gelegenheit, um darüber zu diskutieren, ruft Lindner.

Bauern und CDU setzen auf Haushaltsberatungen

Die Diskussion wird sich dennoch nach diesem Auftritt weiter um den Agrardiesel drehen. Die Union macht Druck. Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze sagt am Rande der Demo, der Ball liege im Bundestag. "Ich appelliere an die Ampel-Abgeordneten, beide Streichungen ganz zurückzunehmen", so der CDU-Politiker.

Da ist Bauernpräsident Rukwied schon unterwegs zu einem Treffen mit den Spitzen der drei Ampel-Fraktionen. Etwas mehr als zwei Stunden später steht er konsterniert in der Geschäftsstelle des Bauernverbands und sagt: "Es gab keine Ergebnisse." Man sei keinen echten Schritt vorangekommen.

Auch Rukwied hofft jetzt auf die Haushaltsberatungen in dieser Woche. Sollten die Kürzungen dort nicht zurückgenommen werden, werde man weiter protestieren. In Sachsen haben Landwirte derweil bereits neue Autobahnblockaden angekündigt.