Ein Kampfflugzeug vom Typ F-16 der US Air Force startet von der US-Air Base Spangdahlem.

"Air Defender 2023" Wie das Luftwaffenmanöver bisher läuft

Stand: 16.06.2023 04:01 Uhr

Seit Montag läuft die größte Luftwaffenübung in der Geschichte der NATO. Die Auswirkungen auf den zivilen Flugverkehr sind bisher gering. Doch was bringt Air Defender eigentlich militärisch?

Captain Tyler Knickerbocker ist einer der US-amerikanischen F-16 Piloten, die für die "Air-Defender"-Übung nach Deutschland gekommen sind. Am dritten Tag des Luftwaffenmanövers gab seine Einheit auf der Airbase Spangdahlem in Rheinland-Pfalz eine Pressekonferenz.

Bis hierhin sei die Übung mit weit mehr als 200 Flugzeugen, an der 25 Nationen teilnehmen, reibungslos verlaufen, sagt er vor den Journalisten. "Ich bin sehr beeindruckt, wie die Deutschen diese Übung vorbereitet haben. Für jüngere, unerfahrene Piloten ist es eine große Chance, Erfahrung zu sammeln. Sie hatten vielleicht noch nie die Gelegenheit, so viele Flugzeuge gleichzeitig im Luftraum zu sehen."

Ute Otterbein, Pressesprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS), berichtet, dass für die Zeit der Luftübungen zusätzliche Fluglotsen eingesetzt werden, die sowohl zivile als auch militärische Maschinen lotsen. "Es handelt sich in Deutschland um eine zivil-militärisch integrierte Flugsicherung. Das heißt, auch alle Militärmaschinen werden von der DFS geführt. Meine Kolleginnen und Kollegen bringen sie bis zum Übungsluftraum. Dort fliegen sie nach Sichtflugregeln. Nach Abschluss der Übung werden sie von uns zu ihren Stützpunkten zurückgeführt."

Karte Luftwaffenmanöver "Air Defender 23"

An der NATO-Luftstreitkräfteübung "Air Defender 23" nehmen 25 Staaten (grün; USA und Japan nicht im Bild) teil. Das Manöver findet vor allem in drei Lufträumen (schraffiert) statt. Außerdem gibt es Flüge zur NATO-Ostgrenze.

Verspätungen bisher im Rahmen

Der zivile Luftverkehr muss in den Übungszeiten um diese Bereiche herumgeführt werden. Dabei kann es zu Verspätungen kommen. Doch die hielten sich in den ersten Tagen in Grenzen. Am Montag gab es nur wenige Übungsflüge, erst Dienstag ging es richtig los. Aber auch da blieben die Verspätungen deutlich unter der prognostizierten Zahl. "Eine endgültige Auswertung wird es erst nach der Übung geben", sagt Otterbein. "Die Angaben aus den regionalen Kontrollzentren müssen wir auswerten und um die Verspätungsgründe bereinigen, die nichts mit 'Air Defender' zu tun haben - Wetter oder andere Gründe. Die Validierung wird etwas dauern."

Prognostiziert waren 55.000 Verspätungsminuten für Dienstag. Aber was heißt das eigentlich? Otterbein gibt einen Vergleich: "Gibt es ein Gewitter in Deutschland, ist die Verspätungszeit genauso hoch. Schon wenn wegen Rückenwind in Frankfurt die Startbahn West gesperrt ist, haben wir es mit rund 30.000 Verspätungsminuten pro Tag zu tun."

Wie viele Verspätungsminuten genau bisher angefallen sind, möchte die DFS aus diesen Gründen noch nicht sagen. Doch die große Luft-Verlegeübung dauert noch bis zum 23. Juni, es ist nicht ausgeschlossen, dass es noch zu größeren Verspätungen kommt.

Technische Probleme zu Beginn

Oberstleutnant Matthias Boehnke, vom Presseinformationszentrum der Luftwaffe, gibt sich am Telefon entspannt. Anfragen von Journalisten aus aller Welt laufen bei ihm auf. Er beantwortet viele Fragen, gibt Pressekonferenzen und hält sich auf dem Laufenden über den Fortgang der Übung. "Alles lief bisher reibungslos. Einzig am Anfang gab es einige Abstimmungsprobleme mit dem DARS, dem verlegefähigen Radar der NATO aus Italien. Es ist mit für die Kontrolle des Übungsluftraumes Ost zuständig. Es gab einige technische Probleme."

Eine solche Konzentration von Kampfflugzeugen, Transportmaschinen und Tankflugzeugen haben die meisten Piloten noch nie erlebt. Moderne Jets wie die F-35 haben ganz spezielle Anforderungen an die Datenübertragung. Die Technik muss mitspielen, sonst könnte es gefährlich werden. Doch auch hier sind die Offiziere der Air Force voll des Lobes: "Die deutsche Luftwaffe hat phänomenale Arbeit gemacht. Sie unterstützt alle Anforderungen der internationalen Truppe, vor allem sorgt sie für die notwendige IT", sagt Nathaniel Hofmann, Kommodore beim 52. US-Jagdgeschwader.

Was bringt "Air Defender" überhaupt?

Der Großteil der Bevölkerung bekommt von dieser gigantischen Übung kaum etwas mit. Dennoch hätte vor zwei Jahren ein groß angelegtes Manöver, das eine Reaktion auf den Angriff eines imaginären Militärbündnisses aus dem Osten simuliert, womöglich mehr Proteste und Unbehagen ausgelöst. Zu Zeiten der russischen Aggression in der Ukraine hat sich das geändert.

Niklas Schörnig, Senior Researcher des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, unterstreicht die Sinnhaftigkeit der Übung. Trotz ihres defensiven Charakters übe sie eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Aggressoren aus: "Sie stellt auf jeden Fall ein deutliches Signal dar, dass eine schnelle Reaktion auf einen möglichen Bündnisfall geübt wird. Da keine Bodentruppen eingebunden sind und es sich im Wesentlichen um eine Verlegeübung handelt, ist das Provokationspotenzial gering."

"Vertrauensbildende Maßnahme"

Immer wieder wird von NATO-Seite betont, die Übung habe nichts mit dem russischen Überfall auf die Ukraine zu tun. Der Beleg sei, dass die Planungen bereits fünf Jahre liefen. Friedensforscher Schörnig relativiert diese Erklärung: "Die Planungen der Übung fanden vor dem Hintergrund der 2014 erfolgten Annexion der Krim statt. Die Bedrohung von Bündnispartnern stand seitdem als Möglichkeit im Raum. Der Überfall auf die Ukraine 2022 zeigt, dass die Befürchtungen gerade der östlichen Bündnispartner nicht unbegründet waren und sind."

Neben einem gewaltigen Trainingseffekt, den Kommodore Nathaniel Hofmann als "vertrauensbildende Maßnahme" beschreibt, wird "Air Defender" sicher auch zu einer weltweit steigenden Wahrnehmung der NATO beitragen. Ganz offensichtlich sollte sie auch dem Vorwurf der "hirntoten NATO" entgegenwirken.

Befragt nach der Nachhaltigkeit einer solchen Machtdemonstration, sagt Oberstleutnant Boehnke: "Man lernt immer etwas. Während der Übung, nach jedem Durchgang, wird ausgewertet und gesehen, was gut und was weniger gut lief, um dies gleich anzusprechen. Nach der Übung wird dann auch eine formale Auswertung erstellt und ein Erfahrungsbericht. Der hilft uns dann für zukünftige Planungen und Übungen. Gemeinsam werden wir durch solche Übungen wie 'Air Defender 2023' stärker."

Mario Kubina, ARD Berlin, zzt. Lagerlechfeld, 16.06.2023 07:06 Uhr